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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
Buch-Tipps:
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Die kurze Geschichte der deutschen Literatur

Wenn Resonanz ein notwendiges, gar hinreichendes Anzeichen für Relevanz ist, hat Professor Heinz Schlaffer, Ordinarius für Neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart, mit „Die kurze Geschichte der deutschen Literatur” ein bemerkenswertes Buch vorgelegt. Seit der ersten Ankündigung im Spiegel und nach dem Erscheinen des Essays bei Hanser wurde im europäisch-deutschsprachigen Feuilleton über die Thesen des Stuttgarter Literaturwissenschaftlers kontrovers diskutiert.

Die hauptberuflichen Kulturredakteure der Blätter heben bei der Beurteilung von Schlaffers Essay-Buch die sprachliche Exzellenz des Essays hervor und kommen in der Abwägung der Thesen des Buches mehrheitlich zu einem positiven Urteil. Was ist deutsch an der deutschen Literatur? In einheitlicher Interpretation folgt man Schlaffers These, dass die pietistisch-religiösen Wurzeln der Literatur mit ihrer Koppelung an die säkularen Bedürfnisse des Bildungsbürgertums die Grundlage für die beiden Hochzeiten der deutschen Literatur zwischen 1770 und 1830 und dann noch einmal in modifizierter Weise zwischen 1900 und 1950 bildeten. Davor „missglückte Anfänge” und danach ein bisschen „Fortgang, Wiederkehr und Ende”. Wenn mehr zur Hauptthese geäußert wird, dann ist es die Erinnerung an Vorgedachtes bei Albrecht Schöne oder Vorformuliertes bei Thomas Mann oder sind es allgemeine Hinweis auf die Vorbildlichkeit der These. „Ein bisschen zu gut für seine Zeit”, bewertet etwa Ulrich Raulff den Essay von Heinz Schlaffer und seine spürbare Lust an der Polemik. Mit Blick auf neuere Werke sei inhaltlich jedoch ein bisschen zu sehr im „Schatten des Pfarrhauses gegraben” worden. Die Beobachtung, dass die religiösen Wurzeln der deutschen Literatur, die zu den Großzeiten mächtig ausgetrieben haben, seit den fünfziger Jahren nicht mehr so recht sprießen, sei als Maßstab vielleicht unangebracht, weil moderne Literatur sich aus anderen Wurzeln nähre. Dass Schlaffers Raster „unbrauchbarer wird, je näher er der Gegenwart” kommt, so Martin Halter im Zürcher Tages-Anzeiger, merken mehrere der Rezensenten einschränkend an.

Nicht einschränkend und einordnend sind dagegen die Stimmen zumeist der Fachkollegen. Aus „federnder Eleganz” (Raulff) und „glänzend geschrieben” (Greiner, Die Zeit) werden da ganz schnell „flapsige Sentenzen”, die inhaltlich „Irrtum” und „blanken Unsinn” transportieren. So urteilt der Mediävist Rüdiger Krohn in der Stuttgarter Zeitung. Wenn Schlaffer die mittelalterlichen Werke nicht mehr zum Kernbestand der deutschen Literatur zähle, wittert der Mittelalterexperte einen kanonischen Angriff des Fachkollegen auf akademische Besitzstände. Einen „klassizistischen Geschichtsbegriff” und einen „privatistischen” Literaturbegriff präpariert der Germanist Klaus Weimar für die Süddeutsche Zeitung aus „Schlaffers Kanon” heraus. Ebenfalls in der „Süddeutschen” listet der Schriftsteller Martin Mosebach zahlreiche Schriftsteller auf, die Schlaffer „nicht nennt” oder „nicht sieht”. Schlaffers Literaturgeschichte, „gereizt und bitter”, sei Ausdruck einer „Frustration des Germanisten”.

Hat Schlaffer mit seinem Essay also einen „Molotowcocktail in der Germanistik gezündet”, wie Holger Jergius in der Nürnberger Zeitung vermutet, oder eine „cool-nostalgische Flaschenpost” mit einer Liebeserklärung zur Literatur ins Feuilleton geworfen, so Johannes Saltzwedel im Spiegel, oder hat der Wissenschaftler „für die gebildeten Stände dieses Landes” „die Frage nach der deutschen Innerlichkeit” endlich wieder aufgegriffen, wie Tilmann Krause in „Die Welt” lobt? Wie immer sucht oder vermisst jeder zumeist nur das seine. Zu wenig Österreicher moniert Juliane Vogel in „Die Presse” aus Wien, vermerkt aber lobend, doch nicht unwidersprochen, den Verzicht auf die „deutsche Fußnote”. Denn gleich hebt der Pädagoge Christof Laumont in dem in Bern herausgebrachten Blatt „Der Bund” mahnend den Finger: „Auch fehlt ein Register”.

Schlaffer sagt, die Kürze seines Buches schaffe Zeit für die Lektüre der eigentlichen Werke. Und es ist so kurz und präzise, dass ein Leser getrost auch ohne feuilletonistische Nachhilfe seinen Weg findet. 

Ulrich Engler

Heinz Schlaffer, Die kurze Geschichte der deutschen Literatur, München: Hanser, 2002, 158 S., ISBN 3-446-20149-1


Subjektive Technikbewertung

Die Einführung neuer technologischer Anwendungen, wie etwa der medizinische Einsatz der Gentherapie, wird immer häufiger von einer kontrovers geführten gesellschaftlichen Debatte um den Nutzen und die Risiken von neuen Technologien begleitet. Dabei wird oftmals behauptet, dass fehlendes Wissen und die Komplexität der in Frage stehenden Technologien eine individuelle Urteilsfindung unter Laien und Nicht-Experten sehr schwer oder gar unmöglich mache. Vor diesem Hintergrund gehen der Stuttgarter Ordinarius für Soziologie, Prof. Dieter Urban, und Martin Slaby in ihrer Studie über „Subjektive Technikbewertung” der Frage nach, ob man über kognitive Einstellungsmodelle in der Lage ist, die Strukturen dieser Urteilsbildung zu analysieren und zu erklären. Als Einstellungsmodelle gelten subjektive Urteile gegenüber technologischen Anwendungen, die in erster Linie als das Ergebnis eines „systematischen” Informationsverarbeitungsprozesses begriffen werden. Hierzu wurden die Daten einer breiten, bundesweiten Bevölkerungsumfrage zur Wahrnehmung und Beurteilung von neuen Anwendungen der modernen Gentechnik im Lichte verschiedener theoretischer Einstellungsmodelle ausgewertet und interpretiert. Dabei zeigte sich, dass das klassische Werterwartungsmodell der kognitiven Einstellungsforschung zur Erklärung von lnformationsverarbeitung und Einstellungsbildung bei der Bewertung neuer technologischer Anwendungen nicht ausreicht. Deshalb wurde untersucht, ob Prozessmodelle der Einstellungsbildung sinnvolle Ergänzungen liefern können, in denen zwischen systematisch-rationalen und heuristischen Strategien der Urteilsbildung unterschieden wird. Auch wurden funktionale Ansätze der Einstellungsforschung empirisch erprobt, mit denen die Herausbildung von subjektiven Technikbewertungen nicht mehr nur im Kontext einer instrumentellen Wahrnehmung und Bewertung bestimmter Einstellungsobjekte untersucht werden muss.

Martin Slaby, Dieter Urban: Subjektive Technikbewertung. Was leisten kognitive EinstelIungsmodelle zur Analyse von Technikbewertungen - dargestellt an Beispielen aus der Gentechnik, Lucius & Lucius, Stuttgart 2002, 194 S., ISBN 3-8282-0212-8


Wissenschaftsgeschichte zum Anfassen

Das Buch nimmt man gerne zur Hand, ein fein geprägter Leineneinband und ein ruhiger Satzspiegel machen das Lesen und Blättern in dem auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier gedruckten Werk auch zu einem sinnlichen Vergnügen. Und so muss es wohl sein, wenn mit einer Festschrift ein geisteswissenschaftlicher Traditionsverlag und der 75. Geburtstag seines langjährigen Leiters, Günther Holzboog, gewürdigt werden. Der Verlag frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt, zählt zu den ersten Adressen unter den Wissenschaftsverlagen und hat wesentlich dazu beigetragen, den Ruf von Stuttgart als Verlagsstadt zu festigen. Der Stuttgarter Ordinarius für Philosophie, Prof. Günther Bien, hat gemeinsam mit dem Sohn des Verlegers und gegenwärtigen Leiter, Eckhart Holzboog, und der Lektorin Tina Koch die Festschrift zum 275jährigen Bestehen des Verlages unter dem Titel „Wissenschaftsgeschichte zum Anfassen” herausgegeben. Und der Titel ist Programm in dreifacher Hinsicht, denn die Vermittlung von Wissenschaft, so zeigt die Verlagsgeschichte, war das Ziel seit den Anfängen unter Gottlob Benjamin Frommann 1727 zunächst in Züllichau, dann in Jena und seit 1886 in Stuttgart. Die Wissenschaft wurde dabei in Form von Büchern greifbar und damit allererst begreifbar gemacht. Spannend in dieser Hinsicht sind die Beiträge der Festschrift, die sich mit den 
Einflüssen der Digitalisierung auf die Buch- und Wissensproduktion befassen. Und die Jubiläumsschrift zeigt mit vielen Beispielen, inwiefern der Verlag mit seinen Editionen, lexikographischen Hilfsmitteln und Bibliographien selber Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat. / eng

Wissenschaftsgeschichte zum Anfassen: Von Frommann bis Holzboog. Hrsg. Günther Bien, Eckhart Holzboog, Tina Koch, Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 2002, 367 S., 40 Abb.

 


last change: 25.11.02 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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