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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
Wahlkampfführung, Berichterstattung und Wählerverhalten unter der Lupe:
Gibt es eine Amerikanisierung der Politik?
 

Was ist dran an der „Amerikanisierung der Politik”, fragt der Stuttgarter Politologe Frank Brettschneider, der in diesem Jahr eine Professur an der Universität Augsburg angetreten hat, in seiner Habilitationsschrift. Zum festen Bestandteil der politischen Kommunikation vor allem in den Medien gehört die These von der „Amerikanisierung” der Bundestagswahlen, ja der Politik insgesamt. Diese Entpolitisierung sei aus demokratietheoretischer Sicht eine Gefahr, denn schließlich habe sich der Wähler bei seiner Stimmabgabe an den politischen Positionen der Parteien und der Kandidaten zu orientieren.

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Auch wird behauptet, die Amerikanisierung von Bundestagswahlen sei eine neuere Entwicklung. Wahlen seien reine Beauty-Contests, entworfen und gestylt von Handlers und Spin-Doctors, von Polit-PR-Profis, die im Hintergrund wirken und ihren Kandidaten mediengerecht „verpacken”. Dabei wird unterstellt, dass sich die Personalisierung automatisch in einem entsprechenden Wählerverhalten niederschlage.

Personalisierung der Politik ist alt
Doch was bedeutet „Amerikanisierung” der Politik? Als Amerikanisierung werden der Vorrang der Kandidaten gegenüber den Parteien, die Professionalisierung der Wahlkampforganisation und die Konzentration des Wahlkampfes auf das Medium Fernsehen gewertet. Eine neue Entwicklung sei dies alles jedoch nicht, stellt Brettschneider heraus, einige Wahlkämpfe sind stärker, andere etwas schwächer auf die Spitzenkandidaten zugeschnitten - je nach der politischen Ausgangslage und nach der Kandidatenkonstellation. Personalisierung der Politik sei so alt wie die Politik selbst.

Parteien als Wahlkampfapparate
Die Professionalisierung von Wahlkämpfen und die hohe Bedeutung des Fernsehens seien allerdings Phänomene, die in den letzten Jahren von den USA auf die westlichen Länder übergegriffen haben. Medienvermittelte Kontakte zwischen Wählern und Parteien werden immer wichtiger. Aus dem Parteienwahlkampf früherer Jahre ist ein Fernsehwahlkampf geworden. Bereits seit den sechziger Jahren entwickelten sich die Parteien von klassischen Programmparteien hin zu Wahlkampfapparaten mit dem Hauptziel des nächsten Wahlerfolgs. Kennzeichnend für diesen Prozess sei allerdings nicht der verkürzende Begriff einer „Amerikanisierung“, meint Brettschneider, sondern die Prozesse der Entideologisierung, der Professionalisierung und der Mediatisierung.

Medien: Wahlen sind Pferderennen
Die Amerikanisierung der Medienberichterstattung wird jedoch deutlich seltener diskutiert als die Amerikanisierung der Wahlkämpfe selbst. Journalisten werfen den Parteien gerne Entpolitisierung und Personalisierung ihrer Wahlkämpfe vor, fragen aber kaum, ob ihre Medien nicht zu gerne auf eine entpolitisierende und personalisierende Art und Weise berichten. Wie beim Pferderennen wird über Umfragen ermittelt, wer gerade vorne liegt und wer zurückfällt. Dabei werden Pseudoevents gerne aufgegriffen, und statt über Inhalte zu berichten, werde die Länge des inszenierten Beifalls auf einem Parteitag sekundengenau gemessen. Empirische Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Fernsehberichterstattung vor der Bundestagswahl 1994 sich lediglich zu 39 Prozent mit den politischen Vorstellungen der Kandidaten beschäftigte, stattdessen wurden die personenbezogenen Eigenschaften in aller Detailtiefe ausgebreitet. Die personalisierte Berichterstattung sei keine Folge der Personalisierung der Politik. „Ein Großteil der Personalisierung und Amerikanisierung geht gerade von jenen aus, die die Entsachlichung der Politik am lautesten anprangern: von Journalisten, die über den Wahlkampf berichten.”

Parteibindung langfristig entscheidend
Lässt sich der Trend zur mediengestützten Personalisierung auch im Wählerverhalten wiederfinden? Von der vermeintlichen Amerikanisierung der Wahlkämpfe wird gerne umstandslos und ohne weitere Prüfung auf eine Amerikanisierung des Wählerverhaltens geschlossen. Doch anders als vermutet hat die empirische Wahlforschung ermittelt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in den USA etwa 15 bis 20 Prozent der Wahlentscheidung „ausschließlich” auf die Kandidaten zurückgeführt werden konnten, in der Bundesrepublik lediglich null bis vier Prozent. Daraus zu folgern, Kandidaten seien in der Bundesrepublik für das Wählerverhalten unbedeutend, wäre jedoch falsch. Sie entfalten allerdings ihre volle Wirkung vor allem im Verbund mit Themenorientierungen und langfristigen Parteibindungen. Die Bedeutung der Persönlichkeitsmerkmale ist dabei individuell stark unterschiedlich, aber aufs Ganze gesehen, rangieren die Merkmale der Kandidaten für die Wahlentscheidung an hinterer Stelle. Wähler orientieren sich dann stärker an den Personen, wenn die Positionsunterschiede der Parteien geringer werden. Brettschneider kommt zu dem Ergebnis, dass die Rede von der Amerikanisierung der Politik zu unpräzise sei, einzig in der Medienberichterstattung sei die Tendenz zur Entpolitisierung und Personalisierung auf ‚amerikanischem Niveau‘. /eng

Frank Brettschneider, Spitzenkandidaten und Wahlerfolg: Personalisierung - Kompetenz - Parteien: Ein internationaler Vergleich” Habil. Universität Stuttgart, 2002

Kontakt
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Tel. 0821/598 5665, brettschneider@web.de

 


last change: 25.11.02 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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