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Stuttgarter unikurier Nr. 90 November 2002
Stuttgarter und Kölner Physiker zeigen neue Wege in die Nanowelt:
Wenn Spin und Ladung getrennte Wege gehen
 

Elektronen, welche für den Stromtransport verantwortlich sind, haben neben der elektrischen Ladung auch einen Spin (‚Drall’), der ihre magnetischen Eigenschaften bestimmt. Ladung und Spin des Elektrons treten im allgemeinen zusammen auf. Schon lange gibt es jedoch Vermutungen, dass dieses fundamentale Gesetz seine Gültigkeit verliert, wenn die Elektronen so eingeengt werden, dass sie sich nur in einer Richtung bewegen. Physikern der Universitäten Köln und Stuttgart ist nun erstmals der Nachweis der Trennung von Spin und Ladung in eindimensionalen Kristallen gelungen (siehe Wissenschaftsmagazin NATURE vom 8. August 2002). 

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Die experimentelle Bestätigung ist wichtig für die Entwicklung zukünftiger elektrische Drähte, die nicht viel dicker sind als die Ausdehnung eines Elektrons. Es gibt auch schon Überlegungen, Informationen nicht nur durch den elektrischen Strom zu übertragen, wie es heute weitgehend geschieht, sondern durch den Spin der Elektronen. Ähnlich wie bei der Verwendung von Lichtquanten ergeben sich daraus völlig neue Möglichkeiten wegen der Gesetze der Quantenmechanik, deren Ausnutzung für die Entwicklung neuer Konzepte von Computern in jüngerer Zeit intensiv untersucht werden.
Eigentlich dürften Flugzeuge in der Luft nicht zusammenstoßen, da sie ja in alle Richtungen ausweichen können. Immer noch relativ leicht können sie sich aneinander vorbei bewegen, wenn sie auf dem Fluggelände rollen. Auf der Startbahn aber kann nur eines nach dem anderen abheben. Der Unterschied liegt in der Dimension, in der die Bewegung stattfindet: ist man auf eine Richtung beschränkt, so kann man nicht aneinander vorbei. Wir machen diese Erfahrung jeden Tag, wenn wir im Straßenverkehr ständig aufpassen müssen, nicht mit dem Vorder- oder Hintermann zusammenzustoßen.


Blick entlang eines molekularen Drahts, gebildet aus
Stapeln des organischen Metalls (TMTSF)2PF6.
(Abb.: Institut)

Auf der Suche nach dem atomaren Draht
Elektronen, die für den Stromtransport verantwortlich sind, machen die gleiche Erfahrung, wenn sie sich in einem Metall bewegen. In einem großen Klotz spüren sie sich kaum, doch wenn es enger wird, nimmt die Wechselwirkung zwischen den Elektronen zu; sie stoßen einander ab. Besonders wichtig ist die elektronische Wechselwirkung im eindimensionalen Bereich, in diesem Fall in elektrischen Leiterbahnen, die nicht sehr viel breiter sind als die Elektronen selbst. Solche atomaren Drähte existieren in Kristallen, bei denen die Moleküle sich so in Stapeln anordnen, dass die Elektronen sich nur entlang der Stapelrichtung noch ungehindert bewegen können, während dies senkrecht dazu nicht geht. Eine Art atomarer Draht also, der vielleicht einmal die Basis für eine molekulare Elektronik sein könnte, bei welcher die Stukturen der Computerchips tausendmal kleiner sind als heute. Solche eindimensionalen Leiter aus organischen Molekülen werden am Physikalischen Institut der Universität Stuttgart seit vielen Jahren hergestellt und untersucht.

Neue Phänomene
In diesen eindimensionalen Metallen spielt die Wechselwirkung zwischen den Elektronen eine große Rolle. Dies eröffnet die Möglichkeit zu ganz neuen Phänomenen, die wir aus unserer dreidimensionalen Welt nicht kennen. Theoretische Modelle sprechen davon, dass sich Elektronen in drei Dimensionen wie eine so genannte Fermi-Flüssigkeit verhalten, in einer Dimension aber wie eine Luttinger-Flüssigkeit. Die so genannte Fermi-Flüssigkeit besagt, dass die Wechselwirkung der Teilchen untereinander im Wesentlichen nur zu einem Verhalten führt, als wären die Teilchen schwerer. Wir kennen dieses Phänomen aus dem Alltag, wenn wir durch eine Menschenmenge laufen wollen, wir kommen nicht schnell voran, so als ob wir ein Vielfaches dicker wären. Bei der Luttinger-Flüssigkeit gibt es diese Bewegungen einzelner Teilchen gerade nicht, sondern nur kollektive Anregungen, ähnlich der ‚Welle’ in einem Fußballstadion. Seit Jahrzehnten gibt es hierüber ganz konkrete Vorhersagen, die jedoch lange auf ihre Bestätigung durch Experimente warten mussten, da die Realisierung dieser Stukturen und die Durchführung eindeutiger Versuche sehr schwierig ist. Die seltsamste und markanteste Eigenschaft der Luttinger-Flüssigkeit ist, dass sich die elektrische Ladung und der Spin der Elektronen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen.

Trennung von Spin und Ladung erstmals gelungen
Physikern der Universitäten Köln und Stuttgart ist nun erstmals der Nachweis der Trennung von Spin und Ladung in eindimensionalen Kristallen gelungen. Die Bewegung der elektrischen Ladung kann man durch die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstands untersuchen; auch die optischen Eigenschaften, wie die Reflexion von Licht an der Kristalloberfläche, geben hierüber Aufschluss. Diese dynamischen Eigenschaften niedrigdimensionaler Metalle werden am Institut von Prof. Martin Dressel an der Universität Stuttgart intensiv untersucht: anomale Eigenschaften der Reflexion gaben die ersten Hinweise auf eine Luttinger-Flüssigkeit. Michael Dumm, der heute als Wissenschaftler am 1. Physikalischen Institut arbeitet, zeigte in seiner Doktorarbeit, dass die magnetischen Eigenschaften dieser Molekülketten sehr ähnlich sind, auch wenn ihre elektrischen Eigenschaften sich stark unterscheiden. In der Gruppe um Prof. Axel Freimuth an der Universität Köln gelang es nun, die Wärmeleitfähigkeit von diesen Systemen zu untersuchen: auch sie verhält sich im Wesentlichen gleich, egal ob die Kristalle gute oder schlechte elektrische Leiter sind. Grund dafür ist der Wärmetransport durch magnetische Anregungen. Die Schlussfolgerung ist nun, dass sich der Spin unabhängig von der Ladung der Elektronen bewegt. Diese Trennung von Spin und Ladung ist ein eindeutiger Nachweis, dass es sich hier um eine Luttinger-Flüssigkeit handelt.

Kontakt:
Prof. Dr. Martin Dressel, 
1. Physikalisches Institut, 
Pfaffenwaldring 57, 70550 Stuttgart
Tel. 0711/685-4946
Fax 0711/685-4886
e-mail: dressel@pi1.physik.uni-stuttgart.de 
http://www.pi1.physik.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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