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Stuttgarter unikurier Nr. 89 April 2002
Hochschulreform in der Kritik:
Nachwuchsforscher als „Lost Generation“? 
 

Nicht nur an den Universitäten, sondern auch in den Medien ist die am 23. Februar in Kraft getretene 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes heftig diskutiert worden. Unruhe und Besorgnis hat die Novelle vor allem beim wissenschaftlichen Nachwuchs ausgelöst. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Befristung der Qualifizierungsphase auf insgesamt zwölf Jahre, davon jeweils sechs vor und sechs nach der Promotion. Auf diese Zeit werden alle befristeten Arbeitsverhältnisse an deutschen Hochschulen oder öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen angerechnet. Ihre Kritik verdeutlichten Angehörige des Mittelbaus in einem Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung und der Redaktion des Uni-Kuriers am 22. Januar. 

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„Der Mittelbau ist sehr beunruhigt“, betonte Dr.-Ing. Manfred König, Mitarbeiter des Instituts für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen und Senatsmitglied. Er forderte Übergangsregelungen im künftigen Universitätsgesetz des Landes und verdeutlichte die wichtige Rolle der so genannten Funktionsstellen für die Institute. König erinnerte an das Positionspapier des Senats, in dem empfohlen wird, den Zugang zur Professur über drei Wege zu erhalten: die Berufung aus der Wirtschaft, die Habilitation und die Juniorprofessur (der Uni-Kurier berichtete).
Vor allem für Habilitanden und Funktionsstelleninhaber ergeben sich durch das neue Gesetz teilweise erhebliche Nachteile. Bei Doktoranden hoffe man, dass die Problematik durch entsprechende Übergangsregelungen - wie es zum Teil bereits der Fall sei - entschärft werden könne. Ein Beispiel, das für viele ähnliche Lebensläufe steht: Dr. rer. nat. Tanja Asthalter hat in Konstanz Chemie studiert. Promoviert hat sie im Fach Physikalische Chemie. Danach hat sie als Postdoc in Grenoble gearbeitet. Diese Stelle wurde allerdings von Deutschland aus bezahlt. Jetzt ist sie Habilitandin am Institut für Physikalische Chemie der Universität Stuttgart. „Wenn ich meine Dienstjahre zusammenzähle, wäre nach dem neuen Gesetz Ende 2003 Schluss für meine Arbeit“, berichtet sie. Damit würde Tanja Asthalter mitten aus ihrer Habilitation gerissen.
Dr. rer. nat. Götz Riefer, Akademischer Rat am Physikalischen Institut und AKAM (Akademischer Mittelbau)-Vorsitzender warnt: „Wenn das Gesetz ohne Übergangsregelung in Kraft tritt, besteht die Gefahr, dass die jetzigen Habilitanden zur Lost Generation werden.“ Für viele Nachwuchsforscher ist ein befristeter Arbeitsvertrag eine Möglichkeit, die Zeit nach der Habilitation zu überbrücken, bis man eine Professur oder eine feste Stelle erhält. Wäre man während dieser Zeit ohne Anstellung, hätte man kaum eine Chance, aus der Arbeitslosigkeit heraus eine Stelle zu finden. Nach dem neuen Gesetz wäre dies kaum noch möglich, weil normalerweise das Zeitkontingent dann schon ausgeschöpft ist.
Privatdozent Dr. rer. nat. Dieter Jendrossek vom Institut für Mikrobiologie sieht - wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen - die Einführung der Juniorprofessuren sehr kritisch. Die Zeitdauer einer Habilitation ist von vielen Faktoren abhängig, viel hängt vom Fach oder den Institutsgegebenheiten ab. Jendrossek befürchtet, dass durch die Sechs-Jahresregelung künftige Habilitanden bzw. Juniorprofessoren zu Egoisten werden müssten. Um in kurzer Zeit ihre Habilitation fertig zu stellen, könnten sie eigentlich nur „Dienst nach Vorschrift“ machen. „Für die Lehre, insbesondere Übungen Praktika und Seminare (zum einem Teil auch Vorlesungen) sowie zahlreiche andere Aufgaben, die an vielen Instituten vorwiegend von Doktoranden und Habilitanden getragen werden, bliebe dann keine Zeit mehr.“
Dr.-Ing. Heiner Kuhlmann vom Institut für Anwendungen der Geodäsie im Bauwesen befürchtet, dass das Instrument der Juniorprofessur vor allem für Ingenieurwissenschaften „absolut ungeeignet“ ist. „Die Möglichkeit, breite Erfahrungen in Projekten zu sammeln, wird ausgebremst“, meint er. 
Alle sind sich darüber einig, dass es insgesamt zu wenige unbefristete Verträge für Funktionsstellen gibt. Viele typische Daueraufgaben in Forschung und Lehre sowie in der Institutsverwaltung werden von befristet beschäftigten Mittelbauern getragen. Besonders in den technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen gilt es teure Grossgeräte zu betreuen, was mit wechselndem Personal kaum qualifiziert zu leisten ist. Zudem wünschen sich die Vertreter des Mittelbaus eine Übergangsregelung zu der Reform, die im Universitätsgesetz verankert werden könnte, damit jetzige Habilitanden wie bisher abschließen können. Damit wäre das neue Gesetz vielleicht gar nicht so schlecht, meinen einige Diskussionsteilnehmer, allerdings nur, unter bestimmten Randbedingungen - wie beispielsweise mehr unbefristeten Funktionsstellen.

B. Vennemann/zi

 


last change: 29.04.02 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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