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Stuttgarter unikurier Nr. 89 April 2002
Theodor-Heuss-Gedächtnisvorlesung: 
„Demokratie ist keine Glücksversicherung...“
 

Am 11. Dezember 2001 fand zum fünften Mal die Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung statt. Jedes Jahr laden die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus und die Universität Stuttgart dazu ein, um an den ersten Bundespräsidenten zu erinnern, der vor nunmehr 38 Jahren am 12. Dezember in Stuttgart verstarb. Diesmal konnte eine Zeitzeugin als Rednerin gewonnen werden, die den ersten Bundespräsidenten nicht nur persönlich kannte, sondern ihn auch als ihren politischen Ziehvater bezeichnen kann: Dr. Hildegard Hamm-Brücher. Unter den Gäs-ten war auch die bisherige Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach, die Mitte April 2002 ihre neue Aufgabe als Präsidentin des Goethe-Instituts übernommen hat.

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Für den Rektor der Universität Stuttgart, Prof. Dieter Fritsch, war es „Ehre und Freude zugleich“, die Rednerin des Abends willkommen zu heißen. Die Gedächtnisvorlesung zum Andenken an Theodor Heuss, der mit der Universität eng verbunden war und sich nach dem Krieg für deren Aufbau einsetzte, versuche auch immer, einen aktuellen Bezug herzustellen, so Fritsch. Für viele sei die Demokratie in den letzten Jahren zur Selbstverständlichkeit geworden, doch der 11. September habe sie in ein anders Licht gerückt. Nach 1945 sei es noch ungewiß gewesen, ob die Demokratie in Deutschland erfolgreich sein würde, erinnerte die Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Gabriele Müller Trimbusch der damaligen Zeit. 
Hildegard Hamm Brücher, die nach dem frühen Tod der Eltern in Salem zur Schule ging und nach dem Abitur in München studierte - zur Zeit der Weißen Rose - setzt sich immer wieder mit den Möglichkeiten der Demokratie auseinander, mit der Frage einer politischen Kultur und den Anforderungen einer Bürgergesellschaft. Mit der Theodor-Heuss-Stiftung unterstützt sie schon seit 1964 vorbildliches politisches Handeln.

"Freiheit ist ein kostbares und zerbrechliches Gut", mahnte
Hildegard Hamm-Brücher. (Foto: Eppler)

Wie gefestigt ist die Demokratie?
Im Schatten globaler und nationaler Herausforderungen und Veränderungen gehe sie ihren Vortrag*) „Demokratie ist keine Glücksversicherung.... Über die Anfänge unserer Demokratie nach 1945 und ihre Perspektiven für die Gegenwart und Zukunft“ an, sagte Hildegard Hamm-Brücher, denn nach dem 11. September sei nichts mehr wie zuvor und es stelle sich die Frage: „Wie gefestigt und funktionsfähig ist unsere Demokratie bei diesen Herausforderungen?“ 
„Für die 1945 von den Siegermächten angebotene demokratische Struktur können wir heute dankbar sein“, mahnte die Rednerin. Ihr Ziel war es damals: Nie wieder Diktatur, nie wieder Unfreiheit, und dazu beizutragen - in Erinnerung an die Weiße Rose. Mit der Zeit arrangierten sich immer mehr Deutsche mit der Demokratie, und Heuss habe mit seinem Humor, seiner Redekunst und seinem Wissen viel dazu beigetragen. Er sah die Demokratie als eine von den Bürgern erfahrbare und getragene Verfassungsreform an, warnte aber auch schon 1946 vor zuviel Heilserwartungen. „Demokratie ist keine Glücksversicherung...“ soll Theodor Heuss schon in der Weimarer Republik gesagt haben. Zeit seines Lebens ließ er aber keine Zweifel daran, daß es für ihn die beste aller möglichen Staatsformen war.

Die Vergangenheit im Blick behalten
„Wir Deutsche müssen beim Wort Demokratie ganz von vorne beim Buchstabieren anfangen“, auch das hat Heuss gesagt, der sich wie sonst keiner mit der Vergangenheit auseinandersetzte. Vergessen zu können sah er als eine Gnade an, aber er hatte Angst davor, daß die Deutschen zu schnell vergessen könnten und forderte daher eine ständige Auseinandersetzung mit den Folgen des NS-Regimes. Viele Politiker seiner Zeit nahmen dagegen damals an, die Bevölkerung würde diesen Reinigungs- und Selbstfindungsprozeß nicht verkraften. Jede Gelegenheit nutzte Theodor Heuss, um auf die positive Freiheitserfahrung hinzuweisen, zum demokratischen Geschichtsbewußtsein beizutragen, das Selbstbewußtsein der jungen deutschen Demokratie zu stärken, und er warnte immer vor verjährten Gesinnungen. 

Demokratische Bildung als Erfahrungsprozess 
Hildegard Hamm-Brücher zeigte sich besonders von dem nationalsozialistischen Gedankengut der Jugendlichen bedrückt; doch wie sei eine Wertevermittlung in unserem heutigen hektischen Politikbetrieb möglich, der eher einer Talkshow gleiche? „Die demokratische Bildung und Erziehung ist kein Schulfach, sondern ein Lern- und Erfahrungsprozess, der sich durch die ganze Schulzeit ziehen muß“, stellte sie fest. Heute verfügen wir über eine nie gekannte Form von Freiheit, doch gerade jetzt haben wir erlebt, daß die Freiheit ein kostbares und zerbrechliches Gut ist, wenn wir nichts für ihre Erhaltung und Stärkung tun, schloß Hildegard Hamm-Brücher ihren Vortrag.

Julia Alber

*) Der SWR hat den Vortrag „Demokratie ist keine Glücksversicherung.... Über die Anfänge unserer Demokratie nach 1945 und ihre Perspektiven für die Gegenwart und Zukunft“ aufgezeichnet und am 11. Januar 2002 in der Sendereihe „Der Rede wert“ ausgestrahlt. 

 


last change: 29.04.02 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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