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Stuttgarter unikurier Nr. 89 April 2002
Tethya wilhelma - der Schwamm, der aus dem Aquarium kommt:
Rund und schnell und biologisch aktiv
 

Jeder im Zoo geborene Nachwuchs einer aussterbenden Art ist eine kleine Sensation. Dass an diesem geschützten Ort sogar Tiere leben können, von denen wir bislang noch gar nichts wußten, hat jetzt wieder einmal ein Fund in der Stuttgarter Wilhelma gezeigt. Dr. Michael Nickel und Prof. Dr. Franz Brümmer vom Biologischen Institut der Universität Stuttgart beziehen seit vielen Jahren das Meerwasser für ihre biologischen Forschungsarbeiten aus der Wilhelma. Zufällig entdeckten sie dabei vor einigen Monaten eine neue Schwammart, Tethya wilhelma, wie der Winzling heute nach bestandener zoologischer Kartierung genannt werden darf. Die Entdeckung im Stuttgarter Aquarium wurde zu einem medialen Ereignis, sogar russische Medien haben inzwischen über den kleinen Schwamm berichtet. Doch die Erforschung von Schwämmen ist bei weitem kein wissenschaftlicher Selbstzweck.

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Tethya wilhelma. (Foto: (C) Dr. Michael Nickel, Universität Stuttgart)

Tethya wilhelma ist eine fragile Schönheit und darüber hinaus auch eine sportliche Erscheinung. Mit bis zu vier Millimetern in der Stunde kann sich Tethya fortbewegen; das ist Rekord unter den Schwämmen, von denen die allermeisten lebenslang an einem Ort verharren müssen, weshalb diese Lebewesen oftmals auch als Steine oder Pflanzen mißdeutet wurden. Wie Tethya vorankommt, weiß man noch nicht genau; durch Zellverlagerungen wird vermutet, und auch warum sie es überhaupt so eilig hat, wird am Biologischen Institut der Universität Stuttgart noch erforscht. Wiederkehrende Sedimentablagerungen in ihren eigentlichen Heimatgewässern, den flachen Lagunen pazifischer Korallenriffe könnten sie dazu veranlaßt haben, immer wieder einen neuen Standort aufzusuchen, vermuten Nickel und Brümmer in ihrer jüngst erschienenen Beschreibung des Fundes in den Stuttgarter Beiträgen zur Naturkunde (Ser. A, Nr. 631, 2001).
Tethya wilhelma ist klein, weiß und fast rund. Der Wilhelma-Schwamm besitzt anders als der wohlbekannte Badeschwamm kein faseriges Skelett, mit dessen Überresten wir uns in der Wanne den Rücken schrubben, und er ist auch viel kleiner, meistens nur zwischen einem und vier Zentimetern im Durchmesser. Der Körper der Wilhelma Art ist weiß, vermutlich bedingt durch das Aquarienleben; wenn sich Algen an der Oberfläche absetzen, schimmert Tethya auch grünlich. Mineralische Nadeln stützen das Korsett der Körperform. Diese aus Silikat bestehenden Nadeln sind ein wichtiges Merkmal, um den Schwamm zu bestimmen oder zu beschreiben. Weil viele Schwämme ganz unterschiedliche und teilweise bizarre Nadelstrukturen ausbilden, kann man sie daran gut unterscheiden. Tethya wilhelma besitzt neben langen Nadeln auch sehr schöne mikroskopische „Weihnachtssterne“ in unterschiedlichen Größen.

Sternförmige, winzige Silikatpartikel von 15-60 µm Durchmesser,
sogenannte Spherastern, sind Bestandteile des Skeletts und tragen zum
Schutz des wichen Schwammkörpers bei. (Rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme: (C) eye of science, Meckes & Ottawa)

Pharmazeutisch wirksame Stoffe
Was aber machen Stuttgarter Biologen mit dem Meerwasser aus der Wilhelma und warum interessiert man sich in Schwaben überhaupt für die Schwämme aus dem Pazifik? Zoologische Klassifizierung a la Linné ist hier nicht das vorrangige Ziel, eher schon eine moderne Verbindung ökonomischer und ökologischer Intentionen. Seit Jahrhunderten wurden allein die morphologischen Eigenschaften der vielporigen Schwämme als Badeutensilien genutzt. Schwämme besitzen jedoch darüber hinaus außerordentliche Fähigkeiten als biologische Produzenten hochwirksamer pharmazeutischer Stoffe. Die von den stark ortsgebundenen Schwämmen zumeist als Fraßschutz und Immunsystem gegen Feinde produzierten Stoffe wie Latrunculin wirken auch gegen Tumore und Viren beim Menschen. Auch ein Medikament gegen das Herpesvirus wird aus einem Schwamm gewonnen, ebenso wie Avarol, das aus Schwämmen isoliert und in Zellkulturen getestet wird und einmal gegen Aids eingesetzt werden soll. Es sind jedoch nur sehr geringe Mengen, die aus den in der Natur vorkommenden Schwämmen gewonnen werden können. Eine wirtschaftliche Nutzung würde in kürzester Zeit zur Zerstörung der weltweiten Schwammpopulationen führen. Deshalb werden gegenwärtig intensiv die Lebensbedingungen 
und Möglichkeiten der Kultivierung von Schwämmen untersucht. Und manchmal findet man dabei auch eine neue Art, die zeigt, dass sie auch im Aquarium zurechtkommt - wie Tethya wilhelma. /eng

KONTAKT
Prof. Dr. Franz Brümmer und Dr. Michael Nickel, Universität Stuttgart, Biologisches Institut, Abteilung Zoologie, Pfaffenwaldring 57, 70569 Stuttgart, 
Tel. 0711/685-5083, Fax 0711/685-5096
e-mail: franz.bruemmer@po.uni-stuttgart.de, michael.nickel@po.uni-stuttgart.de sowie unter 
www.uni-stuttgart.de/bio/zoologie

Das Kompetenzzentrum BIOTECmarin
Im Februar diesen Jahres wurde in den Räumen des Fundortes von Tethya wilhelma, im Aquarienhaus der Stuttgarter Wilhelma, der Start des bundesweiten Kompetenzzentrums BIOTECmarin gefeiert. Ziel des wissenschaftlichen Kompetenzzentrums ist die Suche nach neuen Wegen zur schonenden und nachhaltigen Nutzung der Rohstoffquelle Schwamm. Dazu werden die Schwämme, 9.000 Arten sind bislang bekannt, möglichst genau bestimmt, um sie in sogenannten „Marikulturen“ im Meer oder in reinen Zellkulturen für die Gewinnung der interessanten Wirkstoffe zu züchten. Auch über Genomanalysen und chemische Synthesen will man an die Produktionsbedingungen der gesuchten Wirkstoffe herankommen. Mit insgesamt rund vier Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium unterstützt, arbeiten seit Anfang des Jahres zehn Forschergruppen im Kompetenzzentrum BIOTECmarin gemeinsam auf diesem Feld; etwa 800.000 Euro davon fließen an die Universität Stuttgart. Auch das Land Baden-Württemberg und die Universität Stuttgart unterstützen die Forschungsarbeiten. Beteiligt sind neben der Uni Stuttgart die Universitäten Mainz, Düsseldorf, Kiel und Würzburg sowie ein Ingenieurbüro aus Mannheim und die Meeresbiologische Station in Rovinj (Kroatien). Im Rahmen des Kompetenzzentrums planen die beteiligten Forschergruppen auch die Gründung einer Verwertungsgesellschaft (BIOTECmarin GmbH i.G.). Aufgabe dieses Unternehmens wird es sein, die wirtschaftlich verwertbaren Ergebnisse zu patentieren, Lizenzen zu vergeben, Forschungsprojekte zu finanzieren und eigene Produkte zu entwickeln, die über Partner produziert und vertrieben werden.
http://www.biotecmarin.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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