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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Ringvorlesung der Historiker:
Was haben Geistes-, Ingenieur- und Naturwissenschaften gemeinsam?
 

Im Rahmen einer Ringvorlesung beschäftigte sich das Historische Institut im Sommersemester mit den „Historischen Gemeinsamkeiten der Geisteswissenschaften mit den Ingenieur- und Naturwissenschaften“. Einen besonderen Reiz hat das Thema speziell an der Universität Stuttgart, da an der 1829 gegründeten Schule Technik, exakte Naturwissenschaften und Mathematik die Grundlage bildeten, das Lehrangebot aber auch historische, philosophische und wirtschaftswissenschaftliche Angebote enthielt. An acht Abenden beleuchteten Fachleute das Thema von verschiedenen Seiten, und so erfuhren die Zuhörer sowohl etwas über die Naturwissenschaften im Kloster als auch über Heinrich Schickhardt oder die Wissenschaft zur Zeit der NS-Diktatur.

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Den Einstieg gestaltete Prof. Dr. Eckart Olshausen, der über „die Anfänge der abendländischen Wissenschaft“ sprach. Zwischen unserem modernen und dem antiken Wissenschaftsverständnis gibt es einen Unterschied, lernten die Zuhörer: die modernen Naturwissenschaften befassen sich nur mit Teilen, die Philosophie und andere Geisteswissenschaften dagegen mit dem Ganzen. Die Einheit von Natur- und Geisteswissenschaften findet sich bei den Griechen, die eine zweckfreie Grundhaltung gegenüber der Wissenschaft hatten - Ziel war die Einsicht in die Strukturen.

Großes Wissenschaftsinteresse im 12. Jahrhundert
Im 12. Jahrhundert setzte im abendländischen Europa ein neues, intensives Interesse an den Wissenschaften ein. Gefragt waren neben der Theologie die Jurisprudenz und die Naturwissenschaften, berichtete Prof. Dr. Wolfgang Stürner. Die Wissenschaftler am Hofe des Stauferkaisers Friedrich II (1194 -1250) widmeten sich vielen Projekten. Das erste große abendländische Gesetzbuch wurde verfaßt, die Aristoteleskommentare des Averroes aus dem Arabischen übersetzt und der Hofastronom Michael Scotus faßte seine Kenntnisse in einer großen Enzyklopädie der Wissenschaften zusammen. Der hochbegabte Herrscher sandte seine Fragen zu Problemen der Mathematik, Optik oder Philosophie an die Gelehrten in aller Welt und verfaßte selbst ein berühmtes Falkenbuch. Mit mittelalterlichen Karten, die nicht nur geographische, sondern auch historische Informationen enthielten, beschäftigte sich Prof. Dr. Folker Reichert. „Von der christlichen zur exakten Kartographie“ lautete sein Vortragsthema, das die Zuhörer über die Symbol- oder Bedeutungskarten bis hin zur exakten Kartographie mit Windrosen, Maßstab und Gradnetz führte und vielleicht auch das eine oder andere Vorurteil korrigierte: „Die mittelalterlichen Kartenmacher waren keineswegs unfähig, die Oberfläche der Erde genau wiederzugeben.“ Der württembergische Baumeister Heinrich Schickhardt (1558 -1635) hat mit seinem Nachlaß von rund 1500 Skizzen und Zeichnungen zu einer einmaligen Dokumentation der Technikgeschichte beigetragen. Dr. Robert Kretzschmar, Archivdirektor im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, beschrieb am Beispiel dieses „bodenständigen und praxisorientierten Tüftlers“, welchen Aufstieg ein Bau- und Werkmei- ster um 1600 nehmen konnte, dessen Auftraggeber der Landesherr höchst persönlich war.

Verkehrswege in alter Zeit
Mit den „Verkehrswegen im Ancien Régime, dem Straßenbau in Vorderösterreich im 18. Jahrhundert“, machte am fünften Abend Dr. Bernhard Theil seine Zuhörer vertraut. Die Geschichte des Straßenbaus ist „Siedlungsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Technikgeschichte, politische Geschichte und vor allem Kulturgeschichte im weitesten Sinne“, so der Referent, der die Entwicklung des befestigten Straßenbaus im Widerstreit verschiedener Interessen darstellte. Unter dem inner- wie außerkirchlichen Druck der Aufklärung, der die Existenz der Klöster in Frage stellte, beschäftigten sich die Mönche verstärkt mit Mathematik und den Naturwissenschaften. „Sowohl ein Naturalienkabinett wie auch eine Physikalische Sammlung gehörten zur Standardausrüstung eines zeitgemäß ausgestatteten Konvents“, berichtete Prof. Dr. Franz Quarthal in seinem Vortrag „Die Rolle der Naturwissenschaften im klösterlichen Wissenschaftsbetrieb des 18. Jahrhunderts in Südwestdeutschland.“ Die Patres der damaligen Zeit widmeten sich nicht nur theoretischen Abhandlungen zur Mathematik, sie stellten physikalische Geräte her wie beispielsweise Blitzableiter, Erd- und Himmelsgloben, beschäftigten sich mit Weinbau, der Dreifelderwirtschaft und dem Wasserbau oder verbesserten mechanische Uhrwerke.

Wissenschaft in der NS-Zeit
In eine ganz andere Zeit führte der Vortrag „Die Sozialität des Raumes. Planbarkeit und Steuerung sozialräumlicher Einheiten in der NS-Diktatur“ von Prof. Dr. Wolfgang Pyta. Weit mehr als bislang angenommen, haben die Nationalsozialisten auf wissenschaftliches Expertenwissen zurückgegriffen und sich der freiwilligen Mitarbeit gerade einer jungen Elite aus fast allen Wissenschaftsbereichen versichert, berichtete Prof. Pyta, und verdeutlichte an mehreren Beispielen, wie anfällig und verführbar die Technokraten waren, denen staatlicherseits unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt wurden. Mit „den gesellschaftlichen Aufgaben der Physik und die staatliche Förderung“ beschloß Prof. Dr. Armin Hermann die Vortragsreihe. „Die Begründer der neuzeitlichen Physik im 17. Jahrhundert sprachen von der Doppelaufgabe der Wissenschaft“, so Hermann, „der Erkenntnisgewinnung und deren Anwendung zum Nutzen des Menschen.“ Wenngleich es zunächst mit der technischen Anwendung haperte, „bewiesen die elektromagnetische Telegraphie und die künstliche Düngung jedoch die Nützlichkeit von Physik und Chemie, und bald erhielten die exakten Naturwissenschaften einen Großteil der staatlichen Mittel.“

Julia Alber

Kontakt
Prof. Eckart Olshausen, Historisches Institut, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart
Tel. 0711/121-3450, -3456 Fax 0711/121-3584
e-mail: eckart.olshausen@po.hi.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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