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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Aus der Sicht der Schule - Lehrer berichten (2):
Das Hochschulstudium und die Kosten-Nutzen-Analyse
 

Das Hohenstaufen-Gymnasium in Bad Wimpfen besuchen rund 860 Schülerinnen und Schüler. Drei Viertel stammen aus den überwiegend ländlich oder kleinstädtisch geprägten Gemeinden des Umlandes. Die Schule liegt im Einzugsgebiet der drei großen Universitäten Stuttgart, Heidelberg und Mannheim und einiger regionaler Fachhochschulen und Berufsakademien. Der Besuch aller Bildungsinstitutionen ist mit einem gewissen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden, so daß es keine mit dem Heimatort verbundene Präferenz für eine spezielle Bildungseinrichtung gibt, wie sie bei Schülern vermutet werden kann, deren Heimatstadt eine Universität beherbergt. Im folgenden werden einige Gesichtspunkte vorgestellt, die mit dazu beigetragen haben, daß ein Hochschulstudium nicht unbedingt als einziger Königsweg der Ausbildung mehr gilt.

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Die vor sechs Jahren eingeführte „Berufsorientierung am Gymnasium“ (BOGY) weckte und weckt die überwiegende Zahl der Schülerinnen und Schüler aus einer Art berufsperspektivischem Dornröschenschlaf. In jedem Jahrgang können wir als betreuende BOGY-Lehrer neu erleben, wie schwer es vielen Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums fällt, sich ca. zwei bis drei Jahre vor dem Start in Studium oder Ausbildung ernsthaft Gedanken über persönliche berufliche Präferenzen, Anforderungen oder berufliche Chancen zu machen. Inzwischen haben sich vor allem die einwöchigen Berufserkundungen für die Klassen 10 bis 12 zu einer festen Institution innerhalb des Schullebens entwickelt. Die Resonanz der Schüler ist fast ausschließlich positiv. 

Erfahrungen mit dem unitag
Nachgefragt wird auch der traditionelle „Studien-“ oder „Unitag“ für die Stufen 12 und 13, der von den meisten Universitäten einheitlich Mitte November angeboten wird. Diese Einheitlichkeit erleichtert sehr die schulische Organisation dieses Tages und erzeugt zudem eine Art Sogwirkung auf die Schüler. An unserer Schule nutzen über drei Viertel der Oberstufenschüler diese Möglichkeit. Der Besuch verteilt sich mehrheitlich überwiegend auf die drei großen Universitäten der Region. Die Universität Stuttgart wird vor allem für technische Studiengänge präferiert.

Straffe Organisation hilfreich
Die Erfahrungen der Schüler sind recht heterogen. Abhängig von Universität und besuchtem Studiensegment sind sie oft überwältigt von den aus ihrer Sicht „Massen“ von besuchenden Schülern, ganz zu schweigen von der Zahl der Studenten. Es hängt anscheinend sehr von der Organisation des Tages ab, wie die Schüler ihr Erlebnis „Universität“ verbuchen. Als eher positiv werden bei uns meistens Veranstaltungen rückgemeldet, die zu Beginn des Tages die oft noch unsicheren Schüler relativ stark in einen gegliederten Veranstaltungsablauf einbinden. Selbst Mensabesuche tragen bei einem solchen Tag zu einem positiven Gesamtbild „Uni“ bei. Unterschiedlich bewertet wurde die Menge der anscheinend fast immer frontal dargebotenen Einführungsinformationen, die oft einfach zu lang sind. Durch eine lenkende Organisation werden Frustrationen vermieden, von denen Schüler berichten, denen nach einer knappen Einführung die Gestaltung ihrer Universitätserkundung vollkommen selbst überlassen wird. Damit hat wohl auch zu tun, daß die Möglichkeit zu Schnupperstudien, die sich sogar über mehrere Tage hinziehen, nach unserer Kenntnis so gut wie gar nicht genutzt wird. Ein Schnupperstudium setzt bei Schülern ein gewisses Maß an Selbstorganisation, Selbstvertrauen, Mut und vor allem berufliche Entschlossenheit voraus.

Studium oder Beruf?
Nach unserem Eindruck zieht nur etwas mehr als die Hälfte unserer Schüler überhaupt ein Universitätsstudium nach dem Abitur in Betracht. Das hat mehrere Ursachen. Überwiegend sind es die Kinder aus bildungsbürgerlichen Häusern der lokalen Eliten beziehunsgweise oberen Mittelschicht, für die ein Studium eher selbstverständlich zu sein scheint. Andere Schüler müssen sich nach wie vor von den Vorbehalten und/oder den ökonomischen Zwängen ihrer Elternhäuser befreien. Häufig sind wohl auch in ihren sozialen Kontexten Chancen und Möglichkeiten einer Universitätsausbildung gar nicht bekannt. Sie gilt als zu lang, zu teuer und, bezogen auf eine spätere Beschäftigung, als zu ungewiß. Oft wird sie dann im Reflex von diesen Schülern selbst als zu unbequem, anstrengend und pekuniär uninteressant beurteilt.

Beispiel IT-Bereich
Als bezeichnend für die heutige Bedeutung des konkreten Nutzen von Ausbildung, speziell universitärer Ausbildung, ist die Situation im IT-Bereich. Immer wieder erhalten Schüler unserer Schule konkrete Angebote, z.B. von 6000 DM brutto Einstiegsgehalt, um für namhafte Firmen Netzwerke zu betreuen, den E-Commerce zu organisieren oder die Internetpräsentation zu lancieren. Nicht nur die betroffenen Schüler, sondern auch die Mitschüler stellen sich dann intensiv die Frage nach dem Sinn einer Universitätsausbildung. Sinn wird hierbei errechnet aus der aufzuwendenden Zeit für das maximal erreichbare Einkommen und dem damit verbundenen sozialen Status. In der Diskussion der Schüler ist unschwer das Grundproblem der öffentlicher Debatten um Bildung und Ausbildung wiederzuerkennen, bei der „Sinn“ meist mit „Zweck“ und „Nutzen“ gleichgesetzt wird.

Die Konkurrenz schläft nicht
Als eine weitere Ursache für die relativ geringe Zahl an einem Studium interessierter Schüler muß die in den letzten Jahren auch an unserer Schule deutlich bemerkbare Konkurrenz durch die anderen Bildungs- bzw. Ausbildungsinstitutionen genannt werden. Berufsakademien und vor allem die Fachhochschulen sind ausgesprochen aktiv bei der Darstellung ihrer Vorteile und kreativ bei der Gestaltung immer neuer oder geänderter Studiengänge. Hier wird meist eine optimal an die Erfordernisse der Zukunft angepaßte Ausbildung mit hohem persönlichen Nutzen versprochen. Fragen ließe sich an dieser Stelle auch, welchen Anteil der politische Diskurs über die Qualität deutscher Universitäten und ihre angebliche Reformunfähigkeit an dem bemerkbaren Imageverlust der Universitäten bei den potentiellen Studienanfängern beigetragen hat.

Infomaterial wichtig
Einen zentralen Stellenwert erhält im schulischen Bereich somit die Informationspolitik der jeweiligen Bildungsinstitute. Erstaunlicherweise wird nach unserer Erfahrung das schriftliche Informationsangebot von den Schülerinnen und Schülern häufig genutzt. Eine Ursache dafür kann im ländlichen Charakter unseres Schulumfelds liegen, das anderweitig eher weniger Informationsmöglichkeiten bietet. Berufsorientierende Informationsveranstaltungen finden nach unserer Erfahrung um so größere Resonanz, je berufs- und ausbildungsunspezifischer das Informationsangebot ist. Seit zwei Jahren bietet die Studienberatung der Uni Stuttgart z.B. die Veranstaltung „Studieninformationen im Internet“ bei uns an, die von fast 30 Prozent genutzt wird. In diesen Situationen erhält die „Uni“ hier ein erstes „Gesicht“, das der jeweiligen Beraterin.
Vielleicht läßt sich als Fazit die Behauptung wagen, daß ein Hochschulstudium für viele Schülerinnen und Schüler offensichtlich schon seit längerem nicht mehr der Königsweg der Ausbildung ist. Es gerät immer mehr zu einer mäßig attraktiven Variante unter vielen schillernden Alternativen.

Kontakt
Cajus Wypior, Hohenstaufen Gymnasium, Schulstr. 23, 74206 Bad Wimpfen
Tel. (Schule) 07063/6011

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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