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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Architekturstudenten in Mexiko, Brasilien, Oman, China:
Andere Städte, anderes Bauen
 

Die Globalisierung macht nirgendwo halt. Das gilt auch für die Stadtplanung und den Städtebau, die in Europa im Zuge des postindustriellen Strukturwandels vor völlig neuen Aufgaben stehen. Noch mehr gilt dies für die Verstädterung und Metropolisierung, die weltweit mit großer Dynamik verläuft. Dies fordert die Architekturfakultäten heraus, sich intensiver mit den außereuropäischen Baukulturen zu beschäftigen. An Interesse fehlt es nicht, wie die rege Beteiligung an auslandsorientierten Studienprojekten zeigt. Im folgenden werden einige aktuelle Studienprojekte des Städtebau-Instituts vorgestellt.

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„Bauen ohne Architekten“
Die 20-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt ist eine der größten Städte der Welt und deshalb besonders geeignet, deutsche Studenten mit dem Chaos, aber auch mit der Vitalität schnell wachsender Megastädte zu konfrontieren. Das „Bauen ohne Architekten“ war das Thema einer Exkursion nach Mexiko-Stadt. Gemeinsam mit Studierenden der Universidad Autónoma Metropolitanan (UAM) wurden einige informelle Stadtrandgebiete untersucht und aufgemessen, um die Leistungsfähigkeit, aber auch die Grenzen des massenhaften Selbsthilfe-Städtebaus zu dokumentieren. Die Fallstudien waren Teil eines DFG-geförderten Forschungsprojekts, das sich mit der langfristigen Entwicklung von Spontansiedlungen beschäftigt. Das Thema der „wachsenden Häuser“ wurde in Stuttgart weiter vertieft, wobei die Entwürfe zeigen, daß das spontane Bauen auch unserer hochentwickelten, aber auch oft überregulierten Baukultur wertvolle Anregungen geben kann.

Workshops in Südamerika
Eine andere Exkursion führte nach Brasilien, zunächst nach Rio de Janeiro, wo es einige interessante Städtebau-Projekte gibt: Hauptziel der Reise war jedoch die südbrasilianische Hafenstadt Porto Alegre, um gemeinsam mit Studenten der Universidade Federal de Rio Grande do Sur (UFRGS) einen Entwurfsworkshop zu realisieren. Bearbeitet wurde ein 100 Hektar großes Hafen- und Eisenbahngelände in unmittelbarer Nähe des Zentrums, das als neue „Waterfront“ ein enormes Potential für die Stadtentwicklung von Porto Alegre besitzt. Dabei nahmen die Stadtplaner, Presse und Öffentlichkeit von Porto Alegre regen Anteil am Workshop und seinen Ergebnissen. Die Exkursion führte weiter nach nach Buenos Aires, Montevideo und Sao Paulo, wobei die historischen Altstädte und die Architektur-Klassiker der lateinamerikanischen Moderne auf dem Programm standen. In Stuttgart wurde das Workshop-Thema „Waterfront Porto Alegre“ in Entwürfen und Diplomarbeiten fortgeführt, wobei eine umfangreiche Ideensammlung entstand.

Neue Wohnformen in Europa
Ein universitärer Austausch ist keine Einbahnstraße; bereits im Juni gab es einen Gegenbesuch in Stuttgart. Zwei Wochen lang beschäftigten sich deutsche und brasilianische Studenten mit neuen Wohnformen in Europa. Hierzu gehörten Vorträge am Städtebau-Institut, Projektbesuche in Stuttgart, Tübingen und Freiburg sowie ein kurzer Entwurfsworkshop, in dem ein Industrieareal am Neckar bearbeitet wurde. Wie in Porto Alegre waren in Stuttgart die brasilianischen Studenten bei ihren deutschen Kommilitonen untergebracht, die auch für ein intensives Freizeitprogramm sorgten. Die brasilianische Gruppe schloß an den Stuttgarter Aufenthalt eine vom DAAD organisierte Deutschland-Rundreise an.

Exotische Baukultur in Oman
Zugang zu einer exotischen Baukultur bekamen Stuttgarter Architekturstudenten bei einer Exkursion im Oman. Auch diese stand im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt, das den Strukturwandel in Oasenstädten untersucht. Der Aufenthalt wurde zusammen mit der Sultan Quaboos University und omanischen Studenten realisiert. Die traditionell geprägte Kultur und das extreme Klima waren eine Herausforderung für die Gruppe, insbesondere bei den Feldarbeiten in den abgelegenen Oasen. Belohnt wurden die Teilnehmer durch die Einblicke in eine uralte Kultur, die aber akut gefährdet ist, weil die Menschen zunehmend die Oasen verlassen und in die Städte ziehen. Die anschließend in Stuttgart bearbeiteten Entwürfe und die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in der Hauptstadt Muscat präsentiert, eine erweiterte Ausstellung wird im Herbst dieses Jahres folgen.

Städtewachstum in Ostasien
Eine Exkursion nach Shanghai und Peking hatte zum Ziel, die Studierenden mit den explosiv wachsenden Städten Ostasiens zu konfrontieren. Die Exkursion begann in Shanghai, derzeit die größte Baustelle der Welt, wo mit dem Megaprojekt Pudong ein gewaltiger Kraftakt unternommen wird, um die Hafenstadt in wenigen Jahren in eine moderne „world city“ zu verwandeln. Dem rigorosen Stadtumbau fallen allerdings viele historische Quartiere zum Opfer, insbesondere die traditionellen Hofhausviertel in Peking werden großflächig abgerissen und neu bebaut. Diese Altstadtviertel oder „Hutongs“ waren das Thema eines Workshops, der in Zusammenarbeit mit der Tongji-University in Shanghai und dem College of Civil Engineering and Architecture in Peking zustande kam. Zehn Tage lang enwickelten deutsche und chinesische Studenten gemeinsam Vorschläge, wie die alten Quartiere teilweise erhalten, teilweise aber auch neu und dicht bebaut werden könnten, ohne den historischen Kontext zu zerstören. „Vom Hofhaus zum Hochhaus“ heißt der Entwurf, der am Städtebau-Institut bearbeitet wird.

Kooperation mit Algerien
Eine enge und langjährige Beziehung gibt es zur École Polytechnique d´Architecture et d´Urbanisme in Algier, wo es in den letzten Jahren aufgrund der politischen Lage aber unmöglich war, gemeinsame Studienprojekte zu realisieren. Um dennoch die Kontakte mit diesem wichtigen Mittelmeerland zu stärken, traf sich im November eine deutsche, algerische und französische Studentengruppe zu einem Workshop in Marseille. Thema war der riesige Hafen, der wie viele andere Industriehäfen in Europa teilweise funktionslos geworden ist und auf neue Nutzungen wartet. Viele Reisen finden innerhalb von Kooperations- und Forschungsprojekten ohne Studenten statt, wobei aber immer nach Möglichkeiten gesucht wird, die Kontakte auch für zukünftige Studienprojekte zu nutzen. Das ist auch in Nepal der Fall, wo es mindestens ein Dutzend Architekten und Stadtplaner gibt, die das Stuttgarter Aufbaustudium „Infrastructure Planning“ absolviert haben. Mit Unterstützung dieser Alumni ist eine Nepal-Exkursion und ein Workshop in der Altstadt von Katmandu geplant. Eine weitere Exkursion steht im Frühjahr an, die vor allem nach Guadalajara in Mexiko führen wird, wo gemeinsam mit mexikanischen Studenten ein Städtebau-Projekt bearbeitet wird. Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung von Exkursionen spielen die Doktoranden des Städtebau-Instituts, die aus China, Ägypten, Syrien und anderen Ländern kommen, das gleiche gilt für die ausländischen Gastdozenten, die sich fast ständig am Städtebau-Institut aufhalten. So fehlt es nicht an Internationalisierung, eher schon an Zeit und Mitteln, die vielen Kontakte auch langfristig zu pflegen und auszubauen.

E. Ribbeck

Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Eckhart Ribbeck, Städtebau-Institut, Breitscheidstr. 2,
70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3370 Fax 0711/121-3745
e-mail: eckhart.ribbeck@si.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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