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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Stuttgarter Studierende testen bei Parabelflug ein Multifunktions-Kochgerät:
Kochen in der Schwerelosigkeit
 

Im Februar 1999 schrieb die Europäische Raumfahrtorganisation (ESA) den „SUCCESS“-Wettbewerb aus. Dabei wurden Studierende aufgefordert, Experimente zu entwerfen, die an Bord der Internationalen Raumstation ISS durchgeführt werden sollten. Zwei Stuttgarter Studierende der Luft- und Raumfahrttechnik, Sandra Podhajsky und Georg Grillmayer, entwarfen dafür ein Multifunktions-Kochgerät: Globular Cooking Facility (GCF). Über mehrere Auswahlverfahren wurden aus den über 500 Einreichungen die 15 besten Vorschläge am „50. International Astronautical Federation Congress“ in Amsterdam vorgestellt. Der Deutsche ESA-Astronaut Ulf Merbold war von dem Stuttgarter Projekt so begeistert, daß er den beiden Studierenden die Teilnahme an der „29. Parabelflugkampagne der ESA“ ermöglichte. Diese fand vom 21. bis 24. November 2000 in Bordeaux / Frankreich statt.

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Der Parabelflug
Der Sinn eines Parabelfluges ist das Erzeugen von „Schwerelosigkeit“ in Erdnähe. Es gibt weltweit nur drei Flugzeuge, die speziell für den Einsatz in Parabelflügen eingesetzt werden: Die Caravelle KC 135 der NASA und die Ilyushin IL-76 MDK der Russen und den für das Stuttgarter Experiment verwendete Airbus A300 ZERO-G der ESA. Das Nutzungsspektrum der Parabelflüge reicht von der Erprobung von Technologien und Prozeduren über die Qualifikation von Experimenten oder Subsystemen bis hin zum Training von Astronauten. Die Flugzeugkabine ist bis auf die Experimente leergeräumt und mit Matten ausgepolstert. Jeder Flug dauert im Normalfall zwei bis drei Stunden. Wenn man die einzelnen Positionen aufsummiert, kommt man auf etwa eine halbe Stunde „Schwerelosigkeit“.

Die Cooking-Facility: Der Kochtopf im Weltraum hat eine
Kugelgestalt. (Foto: ESA)

Die Idee für das Kochgerät
Aus sogenannten „Weltraumgärten“, die von der NASA bereits erprobt werden, könnten den Astronauten bei langen Raumflügen in der Zukunft frische Kartoffeln, Reis, Spinat und Weizen zur Verfügung stehen. Doch wie kann man in der Schwerelosigkeit die frische Nahrung zubereiten? Die beiden Stuttgarter Studierenden haben mit der Global Cooking Facility ein Gerät entwickelt, das in der Schwerelosigkeit den Umgang mit heißem Wasser handhaben kann und damit mehrere Zubereitungsmethoden ermöglicht. 
Das Herzstück des GCF ist eine Hohlkugel aus Glasfaserlaminat unter Verwendung eines Hochtemperaturharzes. An der Innenseite sind sehr dünne Widerstandsdrähte aus Konstantan, die zu einem Heizgewebe verwebt sind, eingebettet. Da die Kugel rotiert, sind diese elektrischen Heizfelder über Schleifringe an die Stromversorgung angeschlossen. Durch einen Mikrocontroller wird mittels eines Programms über ein Tastenfeld der Heizstrom der drei Heizkreise und die Einstellung der Umdrehungszahl und Drehrichtung vorgenommen. Die maximale Heizleistung beträgt 1100 Watt bei 28 Volt.
Ein Kohlefaserrahmen sorgt für die Aufhängung der Kugel und Halterung der Trocken-Keramiklager, damit die Heizkugel durch einen Motor rotiert werden kann. Die Kugel ist für einen Überdruck von einem bar ausgelegt und mit einem Aluminium-Deckel verschließbar.

Die Funktionsweise
Nach dem Einfüllen der Nahrungsmittel wird Wasser aus dem Reservoir über die Zuleitung in die Kochkugel gepumpt, und die Kugel wird langsam rotiert. Die künstliche Beschleunigung wirkt wie eine Schwerkraft und drückt den Inhalt gegen die heiße Kugelinnenwand. Durch die somit erzeugte Konvektion findet ein Kochvorgang statt, der ähnlich wie auf der Erde abläuft. Zum „Umrühren“ wird die Rotationsrichtung des Gerätes geändert, so daß eine Durchmischung des Inhalts erfolgt.
Während des Parabelfluges wurden verschiedene Nahrungsmittel in der GFC getestet; Nudeln und Brokkoli, aber auch Kaffee wurden mit Wasser zubereitet. Für das Steak war eine Wasserzufuhr definitiv nicht nötig. Es blieb durch den eigenen Fleischsaft an der Kugelwand haften. Umdrehen muß man in diesem Fall mit einer Gabel, ohne dabei die Kugelwand auf der gegenüberliegenden heißen(!) Seite zu berühren.

Und nach dem Kochen...
Die Grundfunktionen des Gerätes für die Nahrungszubereitung konnten durch die Versuche überzeugend dargelegt werden. Es ist möglich, mit Hilfe kochenden Wassers in der Schwerelosigkeit etwa klare Suppe oder Tee und Kaffee zu kochen. Doch nach der Zubereitung entsteht ein weiteres Problem: Um die Nahrung in der Schwerelosigkeit zu sich nehmen zu können, müssen erst noch umfangreiche Studien über den Flüssigkeitsgehalt der Nahrung gemacht werden. Schließlich muß das Essen in Schwerelosigkeit auf dem „Teller“ haften und darf nicht Zerfließen oder in Brocken umherfliegen.

Auch das Essen in der 
Schwerelosigkeit ist nicht 
einfach. Sandra Podhajsky und
  der selbstgekochte Brokkoli.
(Foto: ESA)

Projektarbeit ist anstrengend ...
Für die Studierenden war das Projekt eine besondere Erfahrung mit nachhaltiger Wirkung. „Wir haben sehr viel durch diese Art der Arbeit gelernt“, sagt Sandra Podhajsky, „man lernt viel nachdrücklicher, sich an Termine zu halten und das an der Uni angeeignete, theoretische Wissen praktisch anzuwenden. Dadurch prägt es sich besser ein. Selbstverständlich kommt man um Teamwork und Delegation von Arbeiten nicht herum, man bekommt Einblick in die Fertigung und die Arbeitsweise der Zulieferfirmen, und lernt, nicht lieferbare Teile durch Improvisation zu ersetzen. Auch haben wir ein „Lieblingsproblem“ der Raumfahrt zu spüren bekommen: Metrische und Zöllische Maße zu kombinieren.

Man lernt vor allem, wochenlang unter Schlafentzug zu arbeiten sowie mit höchsten zeitlichen Beschränkungen und mit extremem psychischen Druck klar zu kommen – man lernt definitiv die eigenen äußersten Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit kennen.

... aber es hat sich gelohnt
Es ist offensichtlich, daß dabei weniger Zeit für das Studium übrig bleibt, was sich auch durchaus in den Noten und der Studiendauer niederschlägt. Aber in unserem Fall war die Belohnung für die Arbeit ein unvergleichliches Erlebnis in der Schwerelosigkeit - wir würden dieses Erlebnis durch nichts auf der Welt eintauschen! Für uns hat sich diese Arbeit mehr als gelohnt.“ /eng

http://discus.wh.uni-stuttgart.de/gcf/gcf1/index1.html

Kontakt
Georg Grillmayer

Sandra Podhajsky
Wasachstr. 26, 87561 Oberstdorf
Tel. 08322 - 6435
e-mail: sandra@podhajsky.de

 


last change: 12.12.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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