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Stuttgarter unikurier Nr. 86 September 2000
Biophysik - Einblicke in die molekulare Maschinerie des Lebens:
Leben ganz aus der Nähe betrachtet
 

Die rasanten Fortschritte im Bereich der Biotechnologie werden in den nächsten Jahren zu einer technologischen Revolution führen. Schlagworte wie Gentherapie oder Klonen sind in aller Munde. Ein Motor dieser Entwicklung ist eine breit angelegte interdisziplinäre Grundlagenforschung, die ein beständig detaillierteres Bild der Molekular- und Zellbiologie entstehen läßt. Die Physik hat an vielen Stellen maßgeblich beigetragen. Wo etwa stünde unser Kenntnisstand über die Struktur von Proteinen, Enzymen oder der DNA ohne die Kernspinresonanz oder die Röntgenstrukturanalyse? Mit modernen Synchrotronanlagen gelingt es uns heute, Schnappschüsse von großen Biomolekülen innerhalb von wenigen Milliardstel Sekunden zu machen und so eine der spannendsten Fragen der Biophysik, nämlich den Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion großer Biomoleküle, zu beantworten. Auf diese Weise ergibt sich zunehmend das Bild einer molekularen Maschinerie des Lebens, deren effizienter Funktionsweise eine elegante Ausnutzung physikalischer Prinzipien zugrunde liegt. 

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Proteine als Maschinen
Ganz allgemein führen viele Biomoleküle, also Proteine oder Enzyme, ihre Funktion dadurch aus, daß sie ihre äußere Gestalt ändern. Diese Tatsache gibt dazu Anlaß, die Moleküle mit Maschinen zu vergleichen. Einige Proteine beispielsweise bewegen sich entlang von DNA- Strängen und lesen die darin enthaltene Information aus bzw. reparieren diese. Zusammen mit anderen Proteinen bilden sie ein hocheffektives biomolekulares Informationsverarbeitungssystem. In ersten Versuchen konnte diese Maschinerie bereits dazu genutzt werden, mittels künstlicher DNA einfache kombinatorische Probleme zu lösen. Daraus ist ein ganz neues Gebiet entstanden: das DNA-Computing. Eine weitere spektakuläre Variante solcher Maschinen sind molekulare Motoren. Dies sind Motorproteine oder Enzyme, die gezielt dazu eingesetzt werden, Transportaufgaben zu übernehmen. Ein besonders interessantes Motorprotein ist die sogenannte ATPase, ein Enzym, das sich mit einem elektrochemischen Wankelmotor vergleichen läßt. Das Enzym wird eigentlich dazu genutzt, den biochemischen „Brennstoff“ ATP zu synthetisieren, funktioniert aber auch in umgekehrter Richtung unter Abbau von ATP. Die ATPase besteht aus einem zentralen Schaft, der relativ zu sechs statischen Proteinuntereinheiten gedreht wird. Das Motorprotein ist nur fünf Nanometer groß, kann aber bezogen auf seine Abmessungen ein Drehmoment erzeugen, das etwa hundertmal größer ist als das moderner Benzinmotoren. Biophysikalische Methoden erlauben es seit einiger Zeit, einzelne solcher Motoren in Funktion zu beobachten, die von ihnen entwickelten Kräfte zu ermitteln und die Kopplung zwischen chemischer und mechanischer Energie, also ihren Wirkungsgrad zu studieren.


Bestimmte Proteine verhindern das Auslesen von 
DNA-Information dadurch, daß sie den DNA-Strang
verknoten.

Vorbild Natur
Von ähnlich grundlegendem Interesse ist die Energiegewinnung in der Natur selbst. Der am meisten untersuchte Prozeß ist die Photosynthese, in dem einfallendes Sonnenlicht mit einer Effizienz von 90 Prozent in chemisch verfügbare Energie umgesetzt wird. Dieser erstaunlich hohe Wert wird in der Natur durch die geschickte Ausnutzung quantenmechanischer Mechanismen erreicht. Photosyntheseapparate sind in verschiedene, spezialisierte Einheiten unterteilt. Pro Zelle existiert nur eine geringe Anzahl von Reaktionszentren, in denen das eingefangene Sonnenlicht in eine Ladungstrennung und damit eine elektrische Spannung umgesetzt wird. Unter Umständen muß daher eingefangenes Sonnenlicht als Anregungsenergie über weite Strecken möglichst verlustfrei zum Reaktionszentrum transportiert werden. Hierzu verfügen einige Photosyntheseapparate über ein ausgedehntes Netzwerk molekularer Ringe, zwischen denen ein Energietransfer stattfinden kann. Die Besonderheit besteht darin, daß die ringförmige Anordnung der Moleküle und die Wechselwirkung der Moleküle in den Ringen dazu führt, daß die Verluste während des Energietransfers minimiert werden. In ähnlicher Weise benutzt die Natur im Reaktionszentrum eine geschickt zusammengestellte Anordnung ausgewählter Moleküle dazu, schließlich ein Elektron über eine Distanz von einigen Nanometern zu transportieren und dort solange stabil zu halten, bis es von einem Elektronenakzeptor abgeholt wird. Einige Schritte dieses Energietransferprozesses geschehen innerhalb weniger Femtosekunden (10-12s) und werden mittels Ultrakurzzeit-Laserspektroskopie untersucht. 
Das Ziel der Biophysik ist es, in einem interdisziplinären Arbeitsumfeld ein detailliertes Verständnis molekularbiologischer Prozesse zu entwickeln. Auf diese Weise können grundlegend neue Konstruktionsprinzipien aufgedeckt werden, die möglicherweise eines Tages zum Nachbau von molekularen Maschinen führen.

J. Wrachtrup

KONTAKT
Prof. Dr. Jörg Wrachtrup,
Tel. 0711/685-52 78

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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