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Stuttgarter unikurier Nr. 86 September 2000
Neue Dimensionen in der Quantenwelt:
Der Quantencomputer
 

Computer umgeben uns nicht nur beruflich, sondern auch in unserem privaten Leben. Der Fortschritt bei der Entwicklung der neuesten Prozessoren hält uns alle in Atem. Obwohl diese Prozessoren hauptsächlich auf Silizium und den darin ablaufenden quantenphysikalischen Grundlagen beruhen, arbeiten sie klassisch, das heißt sie verarbeiten die anfallenden Informationen in Form von klassischen Bits (0 oder 1). Eine Leistungssteigerung kann unter diesen Bedingungen nur über höhere Taktraten, parallele Verarbeitung durch mehrere Prozessoren sowie zunehmende Miniaturisierung (siehe Beitrag Nanotechnologie) erreicht werden. Alternativ diskutieren Physiker aus verschiedenen Teilgebieten heute darüber, wie Information quantenmechanisch, also unter Ausnutzung des Überlagerungsprinzips, verarbeitet werden kann. 

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Hierbei wird die Information in Qu-bits (Quantenbits) gespeichert, die nicht nur zwei Werte, 0 und 1, annehmen können, sondern sich auch in jedem Überlagerungszustand der beiden befinden können. An diese neue Möglichkeit knüpfen sich nicht nur neue grundlegende Fragestellungen, sondern auch ein Ideenwettlauf um die beste Realisierung eines solchen Quantencomputers.

Perspektive Quantencomputer
Reale Quantencomputer sind noch Wunschtraum, aber in Stuttgart und weltweit arbeiten verschiedene experimentelle und theoretische Gruppen an Konzepten und Implementierungen. Angenommen, es gibt Quantencomputer, wozu wären sie denn nützlich? 
Betrachten wir hierzu einige Beispiele. 
Denken wir uns ein Telefonbuch mit zwei Millionen Teilnehmern. Die Aufgabe, zu einer gegebenen Telefonnummer den passenden Teilnehmer zu finden, würde mit einem klassischen Computer im Mittel etwa eine Million Suchschritte erfordern. Ein Quantencomputer könnte diese Aufgabe in ca. 1414 Suchschritten erledigen, wenn die anfallenden Daten in einem quantenmechanischen Register gespeichert wären.
Eine weitere mögliche Anwendung liegt im Bereich der geheimen Datenübertragung. Sie basiert heute auf der Tatsache, daß zwar die Bildung des Produkts n=p*q eine leichte Aufgabe für jeden klassischen Computer ist, jedoch der umgekehrte Vorgang, nämlich das Auffinden der Primfaktoren einer Zahl n eine schwierige Aufgabe darstellt, die exponentiell langwieriger wird, je größer die Zahl n ist. Dies wird heute zum Beispiel ausgenutzt, um die Sicherheit von Chiffrierschlüsseln zu garantieren.
Für einen Quantencomputer ist jedoch die Komplexität beim Auffinden von Primzahlen nicht mehr exponentiell größer, und er könnte daher die Chiffrierschlüssel in endlicher Zeit knacken. 
Dies zeigt das Potential von Quantencomputern auf: eine exponentiell (also schnell) anwachsende Datenmenge kann mit einer nur polynomial (also langsam) anwachsenden Zahl von Qu-bits verarbeitet werden. Quantencomputer können bei bestimmten komplexen Anwendungen klassischen Computern bei weitem überlegen sein.
In der Fakultät Physik gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, die sich theoretisch und experimentell mit den damit zusammenhängenden Fragen beschäftigen.

Ansätze für die Quanten-Hardware
Es gibt zwar noch keinen Quantencomputer, aber Physiker, die sich mit Quantenphänomenen befassen, haben in ersten Experimenten die grundlegenden Bausteine demonstriert. Grundsätzlich kommt jedes Quantensystem in Frage, bei dem die zwei Zustände eines jeden Qu-bits selektiv adressierbar sind. Zusätzlich müssen die Qu-bits logisch verknüpfbar sein.
Dies kann zum Beispiel mit ultrakalten Ionen bzw. Atomen in Fallen, Photonen (fliegende Qu-bits) oder auch mit Kern- oder Elektronenspins realisiert werden. Entscheidend ist hierbei, daß diese Quantenteilchen möglichst gut isoliert sind, um unkontrollierte Wechselwirkung mit der Umgebung zu vermeiden.
Eine Adressierung der Qu-bits erfolgt zum Beispiel durch Laserlicht, das sowohl eine Überlagerung der Qu-bits als auch ein Umschalten der Qu-bits erzeugen kann. 
Auch die Realisierung von Quantencomputern auf der Basis von Festkörpern ist in Vorbereitung. Es gibt hierzu bereits verschiedene Vorschläge, die entweder supraleitende Josephson Kontakte oder sogenannte Quantenpunkte, (beides bei sehr tiefen Temperaturen) verwenden. Allerdings sind bis zur Realisierung noch viele Hürden zu überwinden. Entscheidende Fortschritte in dieser Richtung werden vor allem mit Hilfe der Nanotechnologie möglich werden.

Grundlegende Fragen
In Quantencomputern werden Bereiche der Quantenwelt ausgelotet, zu denen es bislang in Experimenten keinen Zugang gab. Daran knüpfen sich auch neue grundlegende Fragen: Welche Quantenalgorithmen können die Kapazität des Quantencomputers am besten ausnutzen? Oder: Inwieweit lassen sich sehr große Quantensysteme durch letztlich immer klassische Kontrollmechanismen „von außen“ gezielt beeinflussen? Ab wann wird die klassische Ansteuerung eines Quantencomputers so komplex, daß seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird? Diesen Fragen müssen wir uns schon daher stellen, weil der Miniaturisierung durch die Gesetze der Quantenmechanik natürliche Grenzen gesetzt sind. 
Hier öffnet sich also am Anfang des neuen Jahrhunderts ein ganz neues interdisziplinäres Arbeitsgebiet mit neuen grundlegenden Fragen und weitem Anwendungspotential, das in der Fakultät Physik konsequent aufgegriffen wird.

M. Mehring, T. Pfau, G. Mahler

KONTAKT
Prof. Dr. Michael Mehring, 
Tel. 0711/685-5218
e-mail: m.mehring@physik.uni-stuttgart.de 

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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