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Stuttgarter unikurier Nr. 86 September 2000
Teilchenbeschleuniger simuliert Reaktionen im Sterninneren:
Wie entsteht das seltenste Isotop der Welt?
 

Spitzenergebnisse der Grundlagenforschung sind nicht nur in Großforschungseinrichtungen möglich, sondern auch an Universitätsinstituten mit entsprechender Ausstattung. Dies zeigen die Resultate der von der Fachwelt stark beachteten Messungen im Institut für Strahlenphysik der Universität Stuttgart an dem seltensten Isotop des Universums, Tantal-180, einer Variante des hellgrau glänzenden Metalls Tantal. Die Enträtselung der Entstehung des Isotops lieferte gleichzeitig wichtige Aufschlüsse über gegenwärtige Sternmodelle. Das Stuttgarter Experiment ist von der internationalen Fachpresse bereits kurz nach der Veröffentlichung der Ergebnisse aufgegriffen worden.

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Die meisten der schweren Elemente, die auf der Erde und im Universum vorkommen, werden über zwei Prozesse im Lebenszyklus der Sterne erzeugt; den langsamen Neutronen-Einfang im heißen Sterninneren (s-Prozeß) oder den schnellen Neutronen-Einfang bei sogenannten Supernova-Explosionen der Sterne (r-Prozeß). Mit dem vorhandenen Wissen über den Ablauf dieser Prozesse konnte die Entstehung fast aller in der Natur vorkommenden Isotope geklärt werden - das Vorhandensein von Tantal-180 jedoch nicht.

Das seltenste Isotop
Das Schwermetall Tantal ist bereits das seltenste in der Natur vorkommende Element. Wegen seiner außerordentlich hohen chemischen Resistenz gegen Säuren und seines hohen Schmelzpunktes wird das 1802 entdeckte natürliche Tantal heute für chemische Geräte und medizinische Instrumente benutzt. Auch bei der Herstellung von Elektrolytkondensatoren und als Legierungsbestandteil von Edelstählen kommt es zum Einsatz. Natürliches Tantal besteht fast ausschließlich aus dem Isotop Tantal-181; darin ist das Isotop Tantal-180 nur zu 0,012 Prozent enthalten. Und auch diese winzige Menge kann nur in einem physikalisch angeregten Zustand überleben und stabil bleiben; dann aber hat es eine Lebensdauer von mehr als einer Billiarde Jahre. In seinem unangeregten Grundzustand dagegen zerfällt Tantal-180 mit einer Halbwertszeit von rund acht Stunden.

Trotz beträchtlicher experimenteller und theoretischer Anstrengungen stellt die Nukleosynthese von Tantal-180 immer noch ein Rätsel dar. Das geringe Vorkommen erklärt sich im Prinzip daraus, daß es im sogenannten r-Prozeß grundsätzlich nicht entstehen kann und daß es im sogenannten s-Prozeß abseits des Hauptpfades der Elemententstehung liegt. Bei einer Entstehung von Tantal-180 durch eine s-Prozeß-Synthese im Sterninneren, die theoretisch möglich wäre, ergibt sich jedoch ein weiteres Problem. Während der s-Prozeß-Reaktionen herrschen in den Sternen Temperaturen von einigen Hundert Millionen Grad. Bei diesen Temperaturen existiert ein „Photonenbad“, in dem das Isotop an seinem langlebigen Zustand vorbei in den Grundzustand mit einer Lebensdauer von nur wenigen Stunden befördert werden müßte. Das heißt, das gesamte beim s-Prozeß erzeugte Tantal-180 würde im Photonenbad gleich wieder zerstört. Dieser mögliche „thermische Photoaktivierungsprozeß“ in Sternen wurde im Labor am Stuttgarter DYNAMITRON-Teilchenbeschleuniger simuliert und untersucht.

Sechs Milligramm für zwei Millionen Dollar
Die bewährte Bremsstrahlungs-Einrichtung am Stuttgarter DYNAMITRON-Teilchenbeschleuniger mit seiner Infrastruktur ist weltweit die am besten geeignete Anlage für Untersuchungen derartiger photo-induzierter Kernreaktionen. Daher gelang es einem Zusammenschluß von rund 20 Wissenschaftlern (einschließlich etlicher Doktoranden und Diplomanden) aus Stuttgart, Darmstadt, Karlsruhe, München und Youngstown, den gesamten Weltvorrat an angereichertem Tantal-180 für ein Jahr vom amerikanischen National-Laboratorium Oak Ridge nach Stuttgart auszuleihen. Die Probe bestand aus etwa 150 Milligramm Tantaloxyd, die zu 5,45 Prozent mit Tantal-180 angereichert war, das heißt die totale Menge an Tantal-180 betrug lediglich 6,7 Milligramm. Diese Probe hat allerdings einen Wert von 2,3 Millionen US Dollar. Daher waren besondere Vorsichtsmaßnahmen bei der Probenbearbeitung und den Bestrahlungen notwendig, aber auch erhöhte Sicherheitsvorkehrungen im Institut für Strahlenphysik.

Sternmodelle
Bei den Experimenten konnte die Empfindlichkeit der Messungen etwa um den Faktor 4000 gegenüber früheren Untersuchungen gesteigert werden. Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung für Sternmodellrechnungen. Denn geht man von einer stellaren Umgebung mit einem statischen Neutronenfluß bei konstanter Temperatur aus, wie es das sogenannte „kanonische“ Sternmodell vorsieht, hätten die Stuttgarter Ergebnisse zur Folge, daß sich die Lebensdauer von Tantal-180 in einer derartigen Umgebung drastisch um etwa 17 Größenordnungen auf weniger als einen Monat reduziert. Mit der Folge, daß alles erzeugte Tantal-180 im thermischen Photonenbad wieder zerstört würde. 

Die beteiligten Institute:

Institut für Strahlenphysik, Universität Stuttgart
Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
Institut für Kernphysik, Forschungszentrum Karlsruhe
Sektion Physik, Ludwig-Maximilians-Universität München
Dep. of Physics and Astronomy, Youngstown State University, Youngstown, Ohio, USA

Realistischere und aktuellere Sternmodell-Rechnungen Karlsruher Astrophysiker dagegen, in denen die zeitliche Dynamik der neutronenproduzierenden Reaktionen im Heliumbrennen der Sterne und der schnelle Transport des erzeugten Tantals in kühlere äußere Zonen der Sterne durch Konvektion berücksichtigt wird, haben jedoch gezeigt, daß zwischen 50 und 100 Prozent der beobachteten solaren Häufigkeit von Tantal-180 in einer solchen realistischeren s-Prozeß-Umgebung überleben kann.
„Der Erfolg der Stuttgarter Untersuchungen zeigt“, so betonte der Leiter des Instituts für Strahlenphysik, Professor Ulrich Kneißl, „daß Spitzenergebnisse der Grundlagenforschung nicht nur an Großforschungseinrichtungen erzielt werden können, sondern auch an Universitätsinstituten mit entsprechender Ausstattung und Förderung und begeisterungsfähigen Mitarbeitern.“  /eng

KONTAKT
Prof. Dr. Ulrich Kneißl, Institut für Strahlenphysik, Allmandring 3, Tel. 0711/685-3872, Fax 0711/686-3866
e-mail: kneissl@ifs.physik.uni-stuttgart.de
http://www.ifs.physik.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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