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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Geburtstagsveranstaltung für Max Bense:
Im Zeichen der Rationalität
 

Philosoph, Mathematiker, Semiotiker, Ästhetiker, Wissenschaftstheoretiker, dazu Querdenker, Ketzer, Aufklärer, Hecht im Karpfenteich und Dichter - die Palette der Charakterisierungen von Max Bense ist breit gefächert. Der 1910 in Straßburg geborene Bense wäre am 7. Februar 90 Jahre alt geworden. Die Fakultät Philosophie der Universität Stuttgart lud aus Anlaß seines Geburtstages an diesem Tag zu einer Vortragsveranstaltung ein. Schon der Termin sei Erinnerung, denn immer montags um 17 Uhr c.t. strömten über viele Jahre Hörer aller Fakultäten in die Vorlesungen des Philosophen Bense, stellte der emeritierte Professor der Informatik und Bense-Schüler Rul Gunzenhäuser, der die Veranstaltung mitorganisiert hatte, in seiner Begrüßung fest.

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FPhilosoph, Mathematiker, Semiotiker, Ästhetiker, Wissenschaftstheoretiker, dazu Querdenker, Ketzer, Aufklärer, Hecht im Karpfenteich und Dichter - die Palette der Charakterisierungen von Max Bense ist breit gefächert. Der 1910 in Straßburg geborene Bense wäre am 7. Februar 90 Jahre alt geworden. Die Fakultät Philosophie der Universität Stuttgart lud aus Anlaß seines Geburtstages an diesem Tag zu einer Vortragsveranstaltung ein. Schon der Termin sei Erinnerung, denn immer montags um 17 Uhr c.t. strömten über viele Jahre Hörer aller Fakultäten in die Vorlesungen des Philosophen Bense, stellte der emeritierte Professor der Informatik und Bense-Schüler Rul Gunzenhäuser, der die Veranstaltung mitorganisiert hatte, in seiner Begrüßung fest. In seinem Grußwort zeichnete Uni-Rektor Prof. Dr. Günter Pritschow einige Stationen des akademischen Lebens des Jubilars nach. Der auf Einladung von Fritz Martini nach Stuttgart gekommene Bense habe 1956 das Promotionsrecht für Philosophie mitbewirkt und das Studium Generale an der Universität Stuttgart wesentlich mitinitiiert. Bis heute bleibe die gelebte Verbindung von Geistes- und Ingenieurwissenschaften das bleibende Vermächtnis Max Benses.

„Schutzheiliger“ der Fakultät
„Dekanlich“ wolle er sich dem zu Ehrenden nähern, kündigte Prof. Horst Thomé seine mit feiner Ironie durchzogenen Bemerkungen zum literarischen Max Bense an. „Dekanlich“ betrachtet sei Max Bense heute zu einer Art Schutzheiligem oder Mythos der Fakultät geworden, der, ähnlich wie Friedrich Theodor Vischer oder Käte Hamburger, bei Gefahr angerufen wird. Eine kritische Stimme sei Bense jedoch bereits in der literarischen Welt der fünfziger Jahre gewesen, erinnerte der Dekan der Fakultät Philosophie, da er unter anderem auch an die experimentelle Literatur der zwanziger Jahre anzuknüpfen verstand. Fachwissenschaftlich näherte sich alsdann der heutige Inhaber des Lehrstuhls für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie der Universität Stuttgart, Prof. Dr. Christoph Hubig, dem Mathematischen Existentialismus bei Bense. Der Stuttgarter Philosoph gehöre zu den unbedingten Verfechtern einer rationalen Geisteshaltung, die mit den Werkzeugen der Mathematik und Semiotik die Bewohnbarkeit der Welt wiederherstellen wollten. Die auch surreale Situation des geistigen Menschen in der technischen Welt führe bei Bense zu keiner Fundamentalkritik an der Technik. Im Vertrauen auf Zweifel und Beweis gründe seine bewußte rationale Haltung, mit der die existierende Spannung zwischen unvollendeter technischer Welt und endgültiger Bewohnbarkeit auszuhalten sei. Das Drei-Stadien-Schema des Kleistschen Marionettentheaters von unwillkürlicher ästhetischer Harmonie, ungelenkem Versuch der bewußten Wiederherstellung der Harmonie und des resultierenden Programms unendlicher Annäherung sei auch für Benses Denken grundlegend gewesen.

Der Fall Bense
Soziologisch schließlich näherte sich der Frankfurter Technikphilosoph Günter Ropohl mit einem Rückblick in die sechziger Jahre dem sogenannten Fall Bense. Als Maschinenbaustudent war Ropohl 1959, angezogen von der Verbindung von Rationalität und Engagement des Vortrags, in die Vorlesungen Benses gekommen. Aus heutiger Sicht stehe Bense für die inzwischen ausgestorbene Spezies der Linksintellektuellen, die als Individualisten für Vernunft und Freiheit eintreten. Gegen Benses freiheitliche Haltung vor allem in religiöser Hinsicht wurde Anfang der 60er von seiten eines Ministeriumsvertreters intensiv Front gemacht. Gegen die versuchte ministerielle Einflußnahme protestierten Rektorat, Professoren und Studierende damals erfolgreich mit einer gemeinsamen Vollversammlung, berichtete Ropohl. Für ihn stellen die heutigen Hochschulreformansätze eine noch weitergehende Gefährdung der wissenschaftlichen Freiheit dar. Der überaus starke Applaus, mit dem sein Appell an die anstehende Aufgabe kritischer Existenz bedacht wurde, zeigte, daß zumindest im Hörsaal noch etliche Exemplare der für ausgestorben erachteten Spezies saßen. Persönlich waren die Schlußworte von Prof. Elisabeth Walther-Bense, in denen sie den Gästen und Sponsoren der Veranstaltung dankte. Das Prinzip Forschung habe das Leben ihres 1990 verstorbenen Mannes stets bestimmt, und er habe sich noch kurz vor seinem Tode zu seinem 90. Geburtstag einen „Freifahrtschein zum Mond“ gewünscht. Zwischen den Vorträgen wurden an diesem Abend zahlreiche Beispiele aus dem künstlerischen Schaffen von Max Bense vorgestellt. Die Gruppe „Exvoco“ führte seinen „Rosenschuttplatz“ auf; Gabriele Lange und Peter Gorges sprachen philosophische und poetische Texte und Silke Stolz und Julius Pfeifer brachten zwei moderne Musikstücke zu Gehör. /
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Max Bense
Max Bense studierte an den Universitäten Bonn und Köln Physik, Mathematik, Geologie und Philosophie. 1937 promovierte er zum Dr. phil. rer. nat. in Bonn mit einer Arbeit über „Quantenmechanik und Daseinsrelativität“. Bereits als Student veröffentlichte er drei Bücher und zahlreiche Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen und beim Rundfunk. Er habilitierte 1946 an der Universität Jena, wo er bis 1948 auch lehrte. Von 1949 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1978 leitete er das Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Universität Stuttgart. Gastprofessuren führten ihn unter anderem nach Hamburg, Ulm und Rio de Janeiro. In Stuttgart gründete Max Bense 1957 die Studiengalerie des Studium Generale, in der junge Künstler aus Deutschland und dem Ausland diskutiert wurden. Zusammen mit Elisabeth Walther gab er von 1955 bis 1960 die kulturpolitische Zeitschrift „augenblick“ heraus, die von 1960 bis 1976 von der Schriftenreihe „rot“ abgelöst wurde. In beiden Publikationen wurden zahlreiche literarische und wissenschaftliche Autoren vorgestellt, darunter Gotthard Günther, Arno Schmidt, Helmut Heißenbüttel, Reinhard Döhl, Helmut Mader, Manfred Esser, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Francis Ponge, Georg Nees, der amerikanische Pragmatist Charles S. Peirce und Vertreter der konkreten Poesie. Von 1976 bis 1990 schließlich gab er mit Gérard Deledalle und Elisabeth Walther die internationale Zeitschrift „Semiosis“ heraus, die nach seinem Tod noch bis 1999 bestand. Max Bense starb am 29. April 1990 in Stuttgart.

 

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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