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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Photogrammetrische Woche 1999:
Virtueller Flug über Stuttgart - live
 

Die Photogrammetrische Woche gilt als eines der weltweit führenden Treffen in der Fachwelt. Die große Anzahl von 476 Teilnehmern aus 54 Ländern aus aller Welt bei der 47. Photogrammetrischen Woche vom 19. bis 24. September 1999 an der Uni Stuttgart bestätigte dies erneut. Die Organisation teilten sich das Institut für Photogrammetrie und die neu gegründete Firma Z/I-Imaging, entstanden als Joint Venture der Photogrammetrieabteilungen von Zeiss Oberkochen und Intergraph. Trotz leicht geänderter Organisationsstruktur wurde an dem bewährten Konzept der Photogrammetrischen Woche festgehalten: Eine ausgewogene Kombination von wissenschaftlichen Vorträgen am Vormittag, anwenderbezogenen und praxisorientierten Demonstrationen am Nachmittag und dem mittlerweile fest etablierten Abendprogamm. Die erste Veranstaltung dieser Art fand übrigens vor 90 Jahren in Jena statt, damals noch als Ferienkurs Photogrammetrie.

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Drei Themenbereiche wurden vertieft behandelt: der Stand der digitalen Datenerfassung, der Weg zur vollautomatisierten photogrammetrischen Auswertung sowie die Erzeugung und Anwendung von 3D-Stadtmodellen.

Zukunft in digitalen Aufnahmesystemen
Die Zukunft der photogrammetrischen Datenerfassung liegt in digitalen Aufnahmesystemen. Die Bilddaten stehen zur unmittelbaren Weiterverarbeitung im Rechner zur Verfügung und müssen nicht wie bisher in einem zeitaufwendigen Scanprozeß digitalisiert werden: ein wesentlicher Fortschritt in der photogrammetrischen Auswertepraxis. Weltraumgestützte digitale Aufnahmesysteme auf Satelliten oder Raumstationen sind schon seit längerem im Einsatz und verfügen über ein hohes Leistungspotential. Vor allem die aktuellen Missionen von hochauflösenden Satelliten mit Bodenpixelauflösungen bis zu einem Meter werden dieses Leistungsspektrum noch einmal steigern können. Seit dem Start des ersten Satelliten dieser Leistungsklasse stehen zum ersten Mal hochaufgelöste Bilder aus Flughöhen von etwa 500 Kilometern zur Verfügung. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem weltweit ersten derartigen Bild, aufgenommen mit dem Ikonos Satellit, und demonstriert die hohe Qualität dieser Weltraumkameras: Das Bild wurde über Washington/DC aufgenommen, selbst die Fahrbahnmarkierungen und Autos sind eindeutig zu erkennen.

Neue Generation digitaler Kameras
Auch in der klassischen Luftbildphotogrammetrie befinden sich digitale Systeme in der Erprobungsphase oder stehen kurz vor ihrer Einsatzreife. Beim Design von digitalen Luftbildkameras werden zwei unterschiedliche Konzepte verfolgt: Flächenhaft erfassende Kameras stehen zeilenhaft abtastenden Aufnahmesystemen gegenüber. Die Flächenkamera funktioniert nach dem klassischen Ansatz filmbasierter Kamerasysteme - lediglich der Informationsträger Film ist durch ein entsprechendes digitales CCD-Matrixelement ausgetauscht. Im Gegensatz dazu verwendet eine Zeilenkamera ein oder mehrere lineare CCD-Zeilenelemente, die quer zur Flugrichtung eingebaut sind. Erst durch die Flugbewegung während der Bildaufzeichnung wird die flächenhafte Erfassung des Geländes realisiert. In Kombination mit integrierten Navigationssystemen unter Verwendung von GPS und INS können mit den neuen Kamerasystemen Objektpunkte mit einer Genauigkeit von weniger als einem Pixel bestimmt werden. Dabei entspricht ein Bodenpixel in Abhängigkeit von der Flughöhe und der verwendeten Kamera zum Beispiel einer Fläche von etwa 15x15 Quadratzentimetern (HRSC-Kamera, Flughöhe 3000 Meter über Grund), womit sehr feine Strukturen auf der Erdoberfläche erkannt werden können. Kennzeichen einer neuen Generation von digitalen Kameras ist der stark vergrößerte Dynamikbereich. So lassen sich auch in Schattenbereichen noch eindeutig Strukturen erkennen. Mit der unmittelbaren digitalen Erfassung der Bilder kann der gesamte photogrammetrische Auswerteprozeß vollständig digital vorgenommen werden. Der bisherige Stand der automatischen Auswertesoftware und vor allem deren Akzeptanz und Erfahrungen in der Praxis wurden im zweiten Themenblock behandelt. Der Schwerpunkt lag hier vor allem auf der Leistungsfähigkeit der automatischen Orientierungsbestimmung von Bildverbänden (automatische Aerotriangulation) und der automatischen Generierung von 3D-Geländemodellen oder allgemeiner Oberflächenmodelle aus Bild- oder Höhendaten. Stehen derartige Oberflächenmodelle mit einer sehr hohen geometrischen Auflösung zur Verfügung, so können sie zur Ableitung von 3D-Stadtmodellen verwendet werden.

3D-Stadtmodelle - viel nachgefragt
Entsprechend wurde im letzten Schwerpunktthema der Photogrammetrischen Woche der aktuelle Stand der semi-automatischen bzw. vollautomatischen 3D-Stadtmodellgenerierung beleuchtet. Solche Modelle werden von verschiedenen Seiten nachgefragt: der Stadtplaner macht seine neuen Ideen transparent, Mobilfunkunternehmen können ihre Antennenstandorte exakt planen, Umweltschützer genauer die Auswirkungen von Schadstoffen analysieren. Nicht zuletzt können sich Touristen vor ihrer Reise einen realistischen Eindruck der Situation vor Ort verschaffen und die Stadt virtuell erkunden. Zur Erzeugung dieser 3D-Stadtmodelle existieren zahlreiche Verfahren, die während der Veranstaltung auch vorgestellt wurden: sie unterscheiden sich grundsätzlich darin, aus welchen Datenquellen die Information abgeleitet wird und im Grad der dazu notwendigen Interaktion. Dieser reicht von rein manueller Auswertung bis hin zu vollautomatischen Verfahren. Ein virtueller Stadtrundflug wurde auch am Institut für Photogrammetrie generiert und als „Highlight" im einführenden Vortrag von Prof. Dieter Fritsch präsentiert. Grundlage dieses Rundflugs sind Laserscannerdaten, die eine 3D-Oberflächendarstellung erzeugen. Wird diese Repräsentation jetzt mit Grundrißdaten der digitalen Stadtgrundkarte verschnitten, entstehen daraus echte 3D-Gebäudemodelle, das heißt Objekte im Rechner, um die man virtuell herumspazieren kann, in die man sogar hineingehen kann. Einziger manueller Schritt in dem Gesamtprozeß ist das Anbringen der Fassade. Der Film, der auch im Internet abgerufen werden kann (http://www.ifp.uni-stuttgart.de/ifp/gallery/index.html
), zeigt eine Annäherung aus dem Weltraum, kreist dann über Stuttgarts Mitte, nähert sich dem Campus über den Hauptbahnhof und führt schließlich in den Tiefenhörsaal des Kollegiengebäudes in der Keplerstraße. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Demonstrationen aktueller Hardware und neuer Auswertesoftware. Das abendliche Beiprogramm bot den Teilnehmern ausreichend Gelegenheit zum Gespräch in entspannter Atmosphäre.

Michael Cramer/Monika Sester

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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