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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Neue Instrumente für die Verkehrsplanung:
Logistikmethoden zur Gestaltung der Mobilität
 

Vergleicht man die um die Jahrhundertwende in der damaligen Gesellschaft und Infrastruktur statistisch erfaßten Verkehrsdaten für Personen und Güter mit denen des Jahres 1990, so kann man feststellen, daß die Transportleistungen pro Kopf der Bevölkerung um etwa eine Größenordnung gestiegen sind: So hat der Personenverkehr etwa um den Faktor 20, der Güterverkehr etwa um den Faktor 40 zugenommen. Gleichzeitig haben sich die damit verbundenen Eigengewichte der Verkehrsträger zwangsläufig sehr stark vergrößert. Nach vorsichtiger Schätzung von Auslastung, Anzahl der Leerfahrten und Ladefaktoren der Verkehrsträger transportieren wir mit der Nutzlast heute mehr als die 200-fachen Tara-Gewichte unserer Urgroßeltern. Alle Versuche, hier die notwendigen technischen Veränderungen am Bestand der Verkehrsträger herbeizuführen, treffen auf nur schwer änderbare Vorschriften und Sicherheitsregeln.

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Die Wertschöpfungsketten von Industrie, Handwerk und Handel funktionieren so, daß ein Kundenauftrag Materialien in Bewegung setzt, die Produktionstechnik daraus Teile erzeugt, die zu Produkten zusammengebaut werden können, und die Logistik alle notwendigen Verknüpfungen von Arbeitsplätzen und die Ordnungsvorgänge in der Distribution bis hin zur Entsorgung plant und durchführt. Die Logistik konzipiert und steuert also den von einem Kunden gewünschten Ordnungsprozeß zur Abwicklung seines Auftrags und stellt damit die Ordnung aller Komponenten einer Bestellung zu einer bestellten Zeit, am bestellten Ort, in dem bestellten Produkt her; dort erfüllt das Produkt seine Funktion und wird nach seinem Verschleiß möglichst wieder in den Anfangszustand zurückversetzt.

Logistikmethoden bei Verkehrsproblemen
Im Transportbereich muß das Logistikmanagement gleichzeitig teilweise widersprüchlichen internen und externen Zielen gerecht werden: der Einhaltung der Termine, der Minimierung von Transportzeit und -kosten für jeden Transportauftrag, der Maximierung der Verkehrsträgerauslastung oder der Minimierung des bereitgestellten und des mobilen Transportgutes. Es ist klar, daß solche Randbedingungen nur durch eine Optimierung sinnvoll zu einem Ausgleich geführt werden können. Zur gesamtheitlichen Optimierung komplexer, „großer“ Strukturen sind bisher noch keine brauchbaren Verfahren bekannt geworden. Deshalb zergliedert man solche Systeme in der Logistiksystemplanung, betrachtet den Material-, Informations- und Wertefluß getrennt als synchronisierbare Ereignisketten in der Zeit und achtet auf deren logische Verknüpfungen. Diese großen Ereignisketten lassen sich weiter vereinfachen durch Auftrennung an Stellen geringer Aktivität in analysierbare „kleinere“ Prozeßabschnitte, welche dann - jeweils unter plausiblen Randbedingungen an den Schnittstellen - berechnet werden. So läßt sich wenigstens eine in der Nähe des Optimalpunktes liegende Lösung für das betreffende Teilproblem finden.

Das Verkehrsproblem aus der Perspektive der Logistiksystemplanung
Mit der städtebaulichen Entwicklung entstand eine vernetzte Infrastruktur zur Ver- und Entsorgung der Ballungsräume und es entwickelte sich deren Anbindung an die makroökonomische Infrastruktur größerer Gemeinwesen. Viele Dienstleister von Stadtwerken, Verkehrsbetrieben, Speditionen, Bahn, Post, Telekom, Providern bis hin zu Taxi-Unternehmen und den Betreibern von Mobilfunknetzen bieten dem Bürger ihre Dienste an. Die Logistik befaßt sich bei ihrer Modellbildung nicht allein mit dem individuellen Mobilitätswunsch, sondern sie versucht, das Verkehrsproblem für ganze Nutzergruppen mit gleichen Mobilitätsmerkmalen zu lösen. Als Gruppenparameter werden Merkmale beschrieben, die von außen beeinflußbar sind und so das Mobilitätsverhalten der Nutzergruppen in einem bestimmten Zeitrahmen steuerbar gestalten. Für diese Cluster wird zuerst die bestmögliche Auslastung der einzelnen Verkehrsträger und danach eine etwa gleichmäßige Auslastung der gesamten Transportnetze im optimalen Modal-Split (Aufteilung auf die verschiedenen Verkehrsträger) gesucht. Als Optimierungsziel für die Transportlogistik wird das Minimum an Ressourcenverbrauch für die gesamte Transportarbeit angesehen, was sich im Einzelfall auf die Gestaltung jeder Transportrelation auswirken kann. Der Grad der Ressourceneinsparung in einer Gesellschaft, die hier vereinfachend selbst als Summe von Nutzergruppen für industrielle Produkte/Leistungen angesehen wird, hängt entscheidend auch davon ab, wie die Verfügungsrechte und -pflichten in jedem Auftrag zwischen Hersteller, Betreiber und Nutzer eines Logistiksystems aufgeteilt werden. Eine Gleichverteilung von Chancen und Risiken im gesamtheitlich betrachteten Leistungsprozeß sowie sinnvoll gestaltete Schnittstellenvereinbarungen zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen ersparen für alle Beteiligten sinnlosen Aufwand. Benötigen marktaktive Nutzergruppen ein vorhandenes Verkehrsmittel nicht zur gleichen Zeit, so stellt eine unter diesem Aspekt gut organisierte Mehrfachnutzung dieses Verkehrsmittels eine für jeden Nutzer ressourcensparende Alternative zum Kauf und damit zur Erzeugung eines entsprechenden Verkehrsmittels dar.

Erste Anwendungen von Logistikmodellen auf spezielle Probleme des Verkehrs
Die Lösung von Verkehrsproblemen ist für die Städte lebensnotwendig. Ein Modell der Ballungsraum-Logistik sollte für alle dort mobilen Gruppen gleichzeitig die Verkehrsnachfrage, das heißt Verkehrserzeugung, Verkehrsverteilung und Modal-Split, im Modellansatz berücksichtigen können. In den folgenden Beispielen wird die Clusterbildung für die Logistiksystemplanung in ihrer Anwendung auf das sozioökonomische System „Personen- und Güterverkehr“ gezeigt. Die Beförderung von Menschen im Berufs- und Geschäftsverkehr ist bei den heute existierenden Großfirmen (für Stuttgart beispielsweise DaimlerChrysler, Bosch, IBM, HP, SEL etc.) eine Notwendigkeit. Ein Projekt des Instituts für Fördertechnik und Logistik (IFT) zum „Car-Pooling“ zeigt eine neuartige Nutzung einer Pkw-Fahrzeugflotte durch Kurzzeitmiete für Personengruppen, welche die Mobilität nicht gleichzeitig benötigen, mit nebenbei erzielter sehr guter Entlastung des öffentlichen Raums. Die Aktivitäten im städtischen Berufsverkehr machen nur etwa 20 Prozent der gesamten Verkehrsleistung in Personenkilometern aus, führen jedoch regelmäßig zu Störungen in der „rush hour“, die durch eine, für das vorhandene Wegenetz unverträgliche, Gleichzeitigkeit von Mobilitätsnachfrage entsteht. Das Netzmodell des IFT für den Berufspendelverkehr arbeitet mit Bündelungsstrategien zur Bildung von Fahrgemeinschaften und einer Zeitsteuerung von Verkehrsgruppen im aus dem Wegenetz abgeleiteten Netzgraphen (zweistufige Clusterbildung) zur Bekämpfung solcher Störungen (siehe dazu auch im folgenden den Artikel über Fahrgemeinschaften). Aus diesem logistisch orientierten Modellansatz soll ein neues Instrument zur Problemlösung und zur Optimierung der Verkehrsplanung entwickelt werden.

Horst J. Roos

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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