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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
3. Stuttgarter Symposium “Kraftfahrwesen und Verbrennungsmotoren“:
Der Fahrer denkt, das System lenkt
 

“An der nächsten Kreuzung rechts abbiegen. Dann zweihundert Meter geradeaus und links in die Einbahnstraße fahren.“ Nichts Neues. Moderne Navigationssysteme machen es dem Autofahrer leichter, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden. Künftig kann es aber heißen: “Achtung, langsamer fahren. Gefährliche Kurve nach einem Kilometer.“ oder “Stau auf der Autobahn 8. Bitte nächste Ausfahrt nehmen.“ Denn die Kraftfahrzeug-Systemtechnik befaßt sich mit vorausschauenden Fahrstrategien, bei denen Fahrzeuge ihren Fahrern intelligente Ratschläge geben und die Fahrstrategie so beeinflussen, daß von Anfang an sicher und optimal gefahren wird. Aber nicht nur um Systemtechnik, sondern auch um Motoren und Kraftfahrzeuge ging es beim 3. Stuttgarter Symposium “Kraftfahrwesen und Verbrennungsmotoren“ vom 23. bis 25. Februar an der Universität Stuttgart.

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Veranstalter waren das Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen der Universität Stuttgart (IVK) und das Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) in Zusammenarbeit mit der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik. Rund 1000 Fachleute aus der Automobilindustrie, von Zulieferfirmen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Technischen Hochschulen und Universitäten trafen sich an der Universität Stuttgart, um den Stand der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Fahrzeug- und Motorentechnik zu diskutieren. 57 Fachvorträge, drei Plenarvorträge und eine Podiumsdiskussion standen auf dem Programm, das mit einer Fachausstellung für Fahrzeug-, Motoren- und Meßtechnik einherging, an der sich 31 Firmen beteiligten.

Das Symposium spannte den Bogen von direkteinspritzenden Otto- und Dieselmotoren, Abgasnachbehandlung und Motorkomponenten über Fahrzeugaerodynamik, Fahrdynamik, Fahrzeugakustik und Aeroakustik bis zu Simulation, Softwaretools, Fahrerassistenz und Echtzeitanwendungen in der Simulationstechnik.

Neue Techniken für den Windkanal
Professor Dr. Jochen Wiedemann, der am 1. Juli 1998 den Lehrstuhl für Kraftfahrwesen am IVK*) übernommen hat und zuvor Projektleiter für das AUDI Windkanalzentrum war, will die Forschung an der Windkanalanlage fortsetzen. Dies sei eine der Nischen, die das Institut besetzen könne, da der Kanal zu den modernsten in Europa und Asien zähle, erklärte Wiedemann. Neue Techniken sollen eingebaut werden, um dort Fahrzeuge mit drehenden Rädern prüfen zu können. Außerdem will Wiedemann Bewertungsmaßstäbe für die Fahrstabilität bei Seitenwind erarbeiten. Eine Kooperation mit der Industrie sei angestrebt. Zulieferfirmen werden einbezogen. Für beide Seiten ergebe dies gute Synergieeffekte: In der Motorakustik verfüge das Institut über eine Prüfeinrichtung, die Zulieferer nicht besäßen.

Abgaswerte weiter reduzieren
Bei Otto- und Dieselmotoren wolle das IVK vom kleinen Zweitakter bis zum großen Nutzfahrzeug das gesamte Forschungsfeld abdecken, “allerdings nicht in der Gänze des Motors“, betonte Professor Dr. Michael Bargende, der seit 15. April 1998 den Lehrstuhl Verbrennungsmotoren am IVK inne hat. Bargende, bis zu seiner Berufung bei DaimlerChrysler verantwortlich für die Verbrennungsanalyse von Pkw-Otto- und Dieselmotoren, konzentriert sich auf die Zusammenführung der Disziplinen und entwickelt modellbasierte Optimierungstrategien bei der Direkteinspritzung bei Otto- und Dieselmotoren. Der Dieselmotor mit Direkteinspritzung werde nicht zuletzt aufgrund seines günstigen Kraftstoffverbrauchs vermehrt in Pkws eingebaut. Durch die Optimierung im Bereich der Gemischbildung sei es gelungen, Abgasgrenzwerte gemäß der Norm EURO III zu erreichen. Im Vordergrund der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten stünde nun die Erreichung der Grenzwerte gemäß EURO IV, erklärt Bargende. Dies sei ein gigantischer Schritt, obwohl es sich sehr bescheiden anhöre. Denn EURO IV halbiere die Grenzwerte von EURO III. Für problematisch hält Bargende die Abgasemission. Hier soll eine Verbesserung erreicht werden, ohne daß die Kosten explodierten. Bargende schätzt, daß die EURO IV-Grenzwerte Einrichtungen zur Abgasnachbehandlung unumgänglich machen. Schwierigkeiten sieht er in der Lebensdauer solcher Systeme sowie darin, daß der Schwefel im Kraftstoff die Katalysatoren vergifte. Beim Ottomotor mit Direkteinspritzung ­ ein zentrales Entwicklungsthema fast aller Automobilhersteller ­ wolle sich das IVK mit der Umsetzbarkeit des theoretisch vorhandenen Verbrauchspotentials befassen. Denn mit zunehmender Annäherung der Entwicklung an die Serienproduktion scheinen die theoretisch und auch stationär nachweisbaren Verbrauchsvorteile des Motors immer geringer zu werden. Einsparungen zwischen 20 und 25 Prozent wurden ursprünglich genannt, inzwischen ist nur noch von acht bis zehn Prozent die Rede.

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Reifen-Fahrbahn-Geräusche können sich im Stadtverkehr beim Beschleunigen auf den hundertfachen Wert im Vergleich zum unbeschleunigten Vorbeirollen erhöhen. Bestimmte Lkw-Reifen zeigen eine ausgeprägte Empfindlichkeit des Geräuschverhaltens auf die Antriebskräfte am Rad. Vor allem Fahrzeuge mit hoher Motorleistung können ­ besonders beim Beschleunigen oder bei Bergfahrten ­ schon bei relativ geringen Geschwindigkeiten deutliche Reifen-Fahrbahngeräusche verursachen.

Weniger Geräusche von Reifen und Fahrbahn
Bei der Aerodynamik des Kraftfahrzeugs, die zahlreiche Eigenschaften wie Fahrleistungen, Verbrauch, Richtungsstabilität, Komfort oder Windgeräusche beeinflußt, erwartet Wiedemann eine weitere Reduzierung des Luftwiderstandsbeiwertes ohne Konzessionen an die Gebrauchstüchtigkeit. Auch die Verringerung von Reifen-Fahrbahn-Geräuschen ist ein Thema für das IVK. Allerdings sei dies ein Kampf gegen Hydra: Schlage man einen Kopf ab, wachse ein anderer nach, betont Wiedemann. Bei 60 bis 70 Stundenkilometern seien die Reifengeräusche dominant. Bei 120 Stundenkilometern dominiere das Windgeräusch. Außerdem sollen die Fahrwiderstände reduziert werden. Der Rollwiderstand eines Pkw-Reifens ­ er macht einen bedeutenden Teil des Fahrwiderstandes aus ­ soll auf realen Fahrbahnen durch einen am FKFS entwickelten und gebauten Rollwiderstandsmeßanhänger gemessen werden. Mit Hilfe einer speziellen Meßtechnik werde nur der Rollwiderstand der Meßreifen erfaßt. Künftig soll überprüft werden, inwieweit geringer Rollwiderstand des Reifens und hohe Griffigkeit der Fahrbahn sowie ein geringes Reifen-Fahrbahn-Geräusch vereinbar sind.

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Optimal unterwegs sein: Die Fahrzeugumgebung wird durch erweiterte digitale Straßenkarten und durch aktuelle Informationen ergänzt.

Schulung für Lkw-Fahrer
Bei der Kraftfahrzeug-Systemtechnik steht die Simulation im Vordergrund. So können in der Entwicklung meist getrennt laufende Bereiche verknüpft werden. Dazu zählt zum Beispiel die Fahrsimulation zur Berechnung des Verhaltens von Fahrzeugen bei speziellen Fahrmanövern oder zur Schulung von Fahrern. Ein am FKFS aufgebauter Fahrsimulator für elektronisch gesteuerte Nutzfahrzeuggetriebe dient der Schulung von Lkw-Fahrern. Kernstück ist ein komplettes Lkw-Fahrerhaus und ein Getriebe mit elektropneumatischer Schaltung und zugehörigem Steuergerät. Die übrigen Elemente des Nutzfahrzeugs werden auf einem Echtzeitrechner nachgebildet. Der Fahrer steuert sein Fahrzeug wie gewohnt über Pedale, Schalter und Hebel und bekommt von einem Geräuschgenerator das Motorgeräusch zugespielt.
Neue telematische Einrichtungen und die zunehmende Detaillierung des digitalisierten Straßennetzes bieten neue Möglichkeiten, im voraus auf die Fahr- und Verkehrssituation zu schließen: Sogenannte Assistenzsysteme bewirken situationsbezogene Anpassungen und Optimierungen am Antriebsstrang. Anhand topographischer Daten entwickeln sie eine optimierte Fahrstrategie hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs. Dabei sei der Königsweg, so Bargende, daß der Fahrer denke, alles selbst zu beherrschen, was in Wirklichkeit das System übernehme.     la

KONTAKT
Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen, Pfaffenwaldring 12, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685- 5600, , -5645, Fax 0711/685-5710
e-mail: info@ivk.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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