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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
Experten im Gespräch:
Stadt und Verkehr ­
Positionen und Perspektiven
 

In den Zentren der Städte sorgen Staus für allseitigen Unmut, Ladeninhaber und Einkaufszentren in der City fordern bessere Parkmöglichkeiten, auch nach Feierabend bricht der Straßenverkehr mit schöner Regelmäßigkeit zusammen ­ die Städte gleichen sozusagen großen Parkplätzen. Diese Szenarien sind an der Tagesordnung. Verantwortlich dafür werden im allgemeinen die Stadt- und Verkehrsplaner gemacht; letztere reagieren häufig gleichermaßen hilflos wie wankelmütig: Einmal wird die “Grüne Welle“ abgeschafft, um Automobilisten das Fahren zu verleiden, dann folgen sie dem Wunsch nach zügigem Verkehrsfluß und weiterem Ausbau der Straßen, sind die Liebhaber des Individualverkehrs allen Maßnahmen zum Trotz doch kaum in Bus und Bahn zu bringen. Folge: Die Umwelt wird ruiniert, der Öffentliche Nahverkehr schreibt rote Zahlen, der Stadtverkehr kollabiert immer wieder durch steigende Kraftfahrzeugzahlen.

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Städtebau
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Wir brauchen eine Denkpause in der städtischen Verkehrspolitik, die genutzt werden sollte, um ein Konzept zu diskutieren, das die Stadt- und Umweltverträglichkeit vom Stigma des Ausstiegs und Verzichts befreit. Im Vordergrund sollte stehen ein Gewinn an Lebensqualität, Komfort und Sicherheit.
    Prof. Dr. Franz Pesch

 

Verkehrsplanung

t36b.gif (4101 Byte)Wir haben früher Generalverkehrspläne für Städte erstellt, sozusagen als Anpassungsplanung an stattgefundene Siedlungsentwicklungen, ohne die Möglichkeiten der Verkehrssteuerung und -lenkung in ihrer Auswirkung auf die Stadt zu nutzen. Heutige Verkehrsentwicklungsplanungen beinhalten sehr viel mehr Vorstellungen über die Entwicklungen unter Beachtung der gegenseitigen Abhängigkeiten in diesem Bereich.
    Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerl

 

Fahrzeugtechnik
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Das Kraftfahrzeug und sein Antrieb ­ der Verbrennungsmotor ­ haben inzwischen einen hohen technischen Stand erreicht. Trotz zunehmendem Fahrzeugbestand konnten die Abgasemissionen in den letzten Jahren deutlich reduziert werden, verbunden mit einer Minderung des Kraftstoffverbrauchs und der Geräuschentwicklung. Weitere Innovationen werden im Normalfall keine revolutionären, sondern evolutionäre Prozesse sein, bei denen die Summe vieler kleiner Verbesserungen in der Verknüpfung weiteren Fortschritt erbringen wird.
    Prof. Dr.-Ing. Michael Bargende

 

Verkehrsleittechnik
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Mit dem Mobilitätsmanagement soll den einzelnen Verkehrsteilnehmern Hilfestellung gegeben werden, effizienter und umweltfreundlicher Mobilität wahrzunehmen. Im Vordergrund steht dabei die zeitnahe Information über das zur Verfügung stehende Angebot der verschiedenen Verkehrsmittel.
    Manfred Wacker

 

Raumordnung
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Die Verkopplung von Stadt als dem Standort von Wirtschaft und Handel mit den anderen Städten, auch auf anderen Kontinenten, ist die eigentlich entscheidende Frage. Eine der großen Hoffnungen ist, daß sich der Städtebau und die kommunalen, regionalen Entwicklungen im gemeinsamen Dialog finden werden.
    Prof. Dr. sc. pol. Peter Treuner

 

Ökologie
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Wir müssen Umwelt und Verkehr zu Recht als besonders schwierigen Bereich und große Herausforderung betrachten, da mit der Verkehrsinfrastruktur immer Sekundärfolgen bewußt oder unbewußt erzeugt werden. Deren ökologische Folgen sind um ein Vielfaches größer als die Verkehrsinfrastruktur selbst. Es setzt eine Dynamik ein, die nur sehr schwer oder gar nicht geplant werden kann.
    Prof. Dr. Giselher Kaule

Dieses zum Teil paradoxe Chaos entwirren helfen will die Forschungsgruppe FOVUS (Forschungsschwerpunkt Verkehr Universität Stuttgart). Im Frühjahr 1999 trafen sich die in diesem Schwerpunkt kooperierenden Wissenschaftler der unterschiedlichsten Disziplinen zu einem Meinungsaustausch im größeren Kreis. “Stadt und Verkehr ­ Positionen und Perspektiven“ lautete das Thema der von Professor Frank Englmann vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht moderierten Podiumsdiskussion.

Umweltqualität bei der Stadtentwicklung
Bei der Veranstaltung im Pfaffenwaldring 7 wurde die Spannweite der aus den unterschiedlichen Fachdisziplinen eingebrachten Ansätze deutlich. Für die einen steht die städtische Lebensqualität im Vordergrund. Stadtplaner Professor Franz Pesch bezeichnete die Umweltqualität als eine der wichtigsten Säulen der Stadtentwicklung im kommenden Jahrhundert, besonders vor dem Hintergrund der Globalisierung. Gefordert seien dabei sowohl die eigenen Kollegen als auch die anderen Berufsstände. Er schlug vor, bei städtischen Bauprojekten künftig auf eine Durchmischung von Kultur, Freizeit, Arbeit und Ökonomie zu achten. Darüber hinaus müsse die gegenwärtige Art der Mobilität, die eine “fast ungebrochene Lust an der Windschutzscheibenperspektive“ kennzeichne, überdacht werden. Er regte an, daß Stadtplaner und Verkehrsexperten sich über Möglichkeiten der Fahrradförderung Gedanken machen sollten und fragte danach, ob ein Teil Mobilität in das Internet verlagert werden könnte.Mit dem Ruf nach Ressourceneffizienz wandte er sich an seine Mitstreiter aus dem technischen Bereich. Diese mußten jedoch feststellen, daß bei ihren Bemühungen um eine Verringerung des Energieverbrauchs der Kraftfahrzeuge keine Revolutionen mehr zu erwarten seien. Dies gelte auch für die Reduzierung der Emissionen, verdeutlichte Professor Michael Bargende vom Lehrstuhl für Verbrennungsmotoren. Nach den großen Fortschritten der vergangenen Jahrzehnte seien allenfalls noch sehr kleine Verbesserungen zu erwarten. Auch alternative Antriebe stünden in naher Zukunft nicht zur Verfügung, wie die Fahrzeugingenieure im Verlaufe der Diskussion zum Unwillen mancher Visionäre eingestanden. Bisher würden Versuche allenfalls demonstrieren, daß neue Antriebe noch zu teuer oder zu wenig leistungsfähig seien. Verbrennungsmotoren könnten in absehbarer Zeit wohl kaum ersetzt werden.

 

Weniger Schadstoffe durch Verkehrsmanagement
Angesichts dessen forderte Bargende die Verkehrsplaner auf, mit durchdachten Verkehrssteuerungssystemen ihren Beitrag zur Schadstoffbegrenzung zu leisten. Die Emissionen könnten durch die Erleichterung des Verkehrsflusses um 20 bis 30 Prozent reduziert werden. Die Veränderung des Fahrverhaltens der einzelnen Verkehrsteilnehmern ließe zudem Verminderungen zu.
Verkehrsmanagement und Verkehrssteuerung ­ diese beiden Möglichkeiten standen auch bei anderen Teilnehmern des Gesprächs an oberster Stelle. Manfred Wacker vom Institut für Straßen- und Verkehrswesen hielt dies angesichts steigender Fahrzeugzahlen bei gleichzeitigem Rückgang der Bevölkerung gerade für den Standort Stuttgart für unabdingbar. Bessere Auslastung und höhere Effizienz der Verkehrsnetze und Verkehrsmittel seien Möglichkeiten, dem Chaos nebst Folgen für die Umwelt und Lebensqualität Herr zu werden. Zu denken sei dabei an neue Instrumente wie PTAs, die Personal Travel Assistants, die beispielsweise in Form einer Armbanduhr den Verkehrsteilnehmern Informationen über die besten Möglichkeiten und Mittel, von A nach B zu gelangen, zur Verfügung stellten. Die Untersuchung der Lebensstile, die das Mobilitätsverhalten des einzelnen bestimmen, war eine Forderung des Verkehrsexperten Professor Gerhard Heimerl. Er beklagte die Fehler einer Vergangenheit, in der die Steigerung des Bruttosozialprodukts mit der Steigerung des Verkehrs synonym gesetzt worden war. Dem Stadtplaner Professor Pesch gab er zu bedenken, daß früher Generalverkehrspläne für Städte erstellt worden seien, ohne daß Pläne für Verkehrssteuerung und -lenkung entworfen worden wären. Professor Peter Treuner vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung wies jedoch darauf hin, daß heute bereits Lenkungsprozesse in der Verkehrsplanung berücksichtigt würden.
Professor Heimerl ging jedoch noch weiter: Die aktuellen Rahmenbedingungen des Verkehrs, das Verkehrsverhalten sowie die Möglichkeiten der Telekommunikation müßten in die Überlegungen einbezogen werden. Er setzt auf integrale Konzepte für künftige Planungen, die auch die Professoren Treuner und Giselher Kaule (Institut für Landschaftsplanung und Ökologie) befürworteten. Meist löse man lediglich einen Teil des Verkehrsproblems, beklagte Kaule. Genau dieses Defizit bildet den Hintergrund für die Zusammenarbeit der Stuttgarter Wissenschaftler im Forschungsschwerpunkt FOVUS. Daß dies bisher kaum praktiziert wurde, zeigte Treuner am Beispiel der bundesdeutschen Städte und Verkehrsminister: Diese hätten sich am europäischen Raumordnungskonzept EUREK nicht beteiligt.

Verkehr und Stadt versöhnen
Verkehrssteuerung durch unterschiedliche Ansätze, Mobilitätsmanagement, technischer Fortschritt ­ drei Instrumente zur Krisenbewältigung kristallisierten sich im Laufe der Diskussion heraus. Dabei wollen die Wissenschaftler der Forschungsgruppe nicht stehenbleiben. Mit ihren je eigenen Möglichkeiten wollen sie Gesamtkonzepte erarbeiten, die dem zukünftigen Städtebau unter der Zielvorgabe, Verkehr und Stadt zu versöhnen, einen Orientierungsrahmen bieten. Treuner wies allerdings darauf hin, daß dem Grenzen gesetzt sind: “Das Zusammenspiel von technisch Möglichem, philosophisch Wünschbarem und Organisierbarem muß mit dem finanziell Machbaren abgestimmt werden“, brachte er in die Runde ein.
Daß FOVUS den Stein der Weisen findet, nimmt niemand an. “Die Stadt entwickelte sich in einem Trial- and Error-Verfahren“, hatte Stadtplaner Pesch zu Beginn weit in die Geschichte zurückgeblickt. Dies gilt für alle menschlichen Bereiche: Für die Politik wie für die Wissenschaft und eben auch für die Stadt- und Verkehrsplanung. Von Fehlern der Vergangenheit zu sprechen, wie Heimerl dies tat, trifft die Sache daher nur halb. Daß die fächerübergreifende Zusammenarbeit positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte haben wird, bleibt zu hoffen. Bei der Umsetzung haben indes noch andere mitzureden: Die Wirtschaft, die Fahrzeuge verkaufen will, die Menschen, die Arbeit haben wollen, um nur zwei weitere Beispiele neben der finanziellen Machbarkeit zu nennen.

Hans-Joachim Graubner

 

Autoren und Institute

Prof. Dr.-Ing. Michael Bargende, Lehrstuhl Verbrennungsmotoren am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen, Pfaffenwaldring 12, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-5645, -5646, Fax 0711/685-5710, e-mail: info@ivk.uni-stuttgart.de

Apl. Prof. Dr.-Ing. Günter Baumbach, Abteilung Reinhaltung der Luft am Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen, Pfaffenwaldring 23, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-3489, -3487, Fax 0711/685-3491, e-mail: baumbach@ivd.uni-stuttgart.de

Dr.-Ing. Harry Dobeschinsky, Geschäftsführer Forschungsschwerpunkt Verkehr Universität Stuttgart (FOVUS), Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6370, -6368, Fax 0711/685-6666, e-mail: harry.dobeschinsky@po.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Frank C. Englmann, Abteilung für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie am Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3542, -3543, Fax 0711/121-3555, e-mail: englmann@sofo.uni-stuttgart.de

Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerl, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen/Verkehrswissenschaftliches Institut an der Universität Stuttgart, Sprecher FOVUS, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6367, -6368, Fax 0711/685-6666, e-mail: euv.vwi@po.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Johann Jessen, Städtebau-Institut, Fachgebiet Grundlagen der Orts- und Regionalplanung, Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-2213, -3331, Fax 0711/121-2209, e-mail: johann.jessen@po.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Giselher Kaule, Institut für Landschaftsplanung und Ökologie, Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3380, -3375, Fax 0711/121-3381, e-mail: gk@ilpoe.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Reinhart Kühne, Lehrstuhl Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik am Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-2480, -2482 Fax 0711/121-2484, e-mail: kuehne@isvs.uni-stuttgart.de

Dr. Barbara Lenz, Institut für Geographie, Azenbergstr. 12, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-1453, Fax 0711/121-1455, e-mail: barbara.lenz@po.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. Franz Pesch, Städtebau-Institut, Fachgebiet Stadtplanung, Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3350, -3865, Fax 0711/121-3356, e-mail: franz.pesch@Si.uni-stuttgart.de

Prof. Dr.-Ing. Eckhart Ribbeck, Städtebau-Institut, Fachgebiet Planen und Bauen in Entwicklungsländern, Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3370, -3371, Fax 0711/121-3745, e-mail: eckhart.ribbeck@Si.uni-stuttgart.de

Prof. Dr. sc. pol. Peter Treuner, Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6333, -6332, Fax 0711/685-6965, e-mail: treuner@ireus.uni-stuttgart.de

Dipl.-Kfm. Uwe Umbach, Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, , 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6367, -6368, Fax 0711/685-6666, e-mail: euv.vwi@po.uni-stuttgart.de

Dr.-Ing. Walter Vogt, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6440, Fax 0711/685-6966, e-mail: isv@isvs.uni-stuttgart.de

Dipl.-Ing. Manfred Wacker, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6443, Fax 0711/685-6966, e-mail: isv@isvs.uni-stuttgart.de


Anmerkung

Hier sind die Autoren dieser Ausgabe genannt. Es ist beabsichtigt, in einem zweiten Heft die innerhalb dieses umfangreichen Forschungsfeldes zu bearbeitenden technischen Aspekte darzustellen.

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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