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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
Ein klassischer Gelehrter mit Öffentlichkeitswirkung:
Eberhard Jäckel zum 70. Geburtstag
 

Am 29. Juni feierte einer der profiliertesten Professoren der Universität Stuttgart seinen 70. Geburtstag: der Historiker Eberhard Jäckel. Dreißig Jahre lang, bis zu seiner Emeritierung 1997, leitete er die Abteilung für Neuere Geschichte und hat in dieser Zeit wesentlich dazu beigetragen, der Stuttgarter Geschichtswissenschaft ein hohes internationales Ansehen zu erwerben.

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Die enorme Resonanz Jäckels hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß er stets die “harten“ Themen der Historie angepackt hat, in denen sich die gestalterische Kraft des Politischen wie auch die ­ häufig zerstörerische ­ Potenz historischer Persönlichkeiten offenbart. Von keinerlei Modeströmungen angekränkelt, hat er immer wieder die Weggabelungen und Weichenstellungen speziell der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, das er im letzten seiner zahlreichen Bücher “Das deutsche Jahrhundert“ getauft hat, in den Blick genommen. In seinem breit gefächerten Oeuvre fällt der Erforschung der NS-Zeit dabei eine besondere Rolle zu. Und da er unbeirrt an der für die breitere Öffentlichkeit selbstverständlichen, in fachwissenschaftlichen Zirkeln aber hier und da als altmodisch abqualifizierten Auffassung festgehalten hat, daß die nationalsozialistische Herrschaft ohne Hitler nicht gedeutet werden könne, ist schon frühzeitig die Person des Diktators in sein analytisches Visier geraten. “Hitlers Weltanschauung“ und “Hitlers Herrschaft“ heißen denn auch seine wohl bekanntesten und wirkmächtigsten Monographien, die seit ihrem Erscheinen nichts an Erklärungskraft eingebüßt haben. Und da vor allem die Ermordung der europäischen Juden untrennbar mit Hitlers Politik verbunden ist, hat sich Eberhard Jäckel maßgeblich an einer bis heute rege geführten Debatte beteiligt, die Entscheidungsprozesse auszuleuchten, die zum “Holocaust“ führten. Seine Fachkompetenz, aber auch seine Fähigkeit zu deutlicher Artikulation haben ihn zu einem bevorzugten Ansprechpartner der Medien gemacht. Auch wer seine Bücher nicht gelesen hat, dürfte ihn bei Vorträgen und speziell in einer der zahlreichen Diskussionsrunden im Fernsehen insbesondere zu Themen aus der NS-Zeit zu Gesicht bekommen haben. Eberhard Jäckel hat dies nie als lästige Pflichtübung betrachtet, sondern vielmehr die sich bietende Chance ergriffen, ein Millionenpublikum mit Ergebnissen akademischer Forschung in fein dosierter und verständlicher Weise vertraut zu machen. Er ist dabei sogar als Fernsehautor mit der vierteiligen Dokumentation “Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ hervorgetreten. Auch nach seiner Emeritierung hat die Zahl seiner Auftritte in Sachen historischer Aufklärungsarbeit eher zu- als abgenommen. Eberhard Jäckel hat dieses weite und zeitintensive Feld seiner Tätigkeit immer als staatsbürgerliche Pflichterfüllung verstanden. In diesem Sinne ist er auch einer Bitte des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann nachgekommen und hat für das Staatsoberhaupt eine Reihe von Reden historisch-politischen Inhalts verfaßt, die nicht zuletzt der demokratischen Traditionspflege dienten. Ohne seine politischen Überzeugungen zu verbergen, hat Eberhard Jäckel als ein Gelehrter klassischen Zuschnitts gewirkt, der seinen Beitrag dazu geleistet hat, das nie versiegende Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit über die deutsche Vergangenheit zu befriedigen. Der aufdringlich erhobene volkspädagogische Zeigefinger ist ihm dabei genau so wesensfremd wie die verletzende Schärfe mancher Fachkollegen.
Eberhard Jäckel ist dabei so etwas wie eine Stuttgarter Institution geworden ­ und er legt mit seiner Ausstrahlungskraft zugleich beredtes Zeugnis dafür ab, daß der öffentliche Nutzen der Geisteswissenschaften nicht auf Heller und Pfennig in Gestalt eingeworbener Drittmittel zu quantifizieren ist und daß der Forscher und Lehrer nicht von der ausufernden Tätigkeit des Wissenschaftsmanagers verschlungen werden darf. Eberhard Jäckel hat seinen Geburtstag in der Landeshauptstadt begangen, der er trotz mehrerer Rufe an andere Universitäten mehr als dreißig Jahre lang die Treue gehalten hat und in der er seinen Lebensmittelpunkt sieht. Seine zahlreichen Kollegen und Schüler sind sich gewiß, daß er sich von hier aus weiterhin zu den gewichtigen Fragen der deutschen Vergangenheit unüberhörbar zu Wort melden wird.

Wolfram Pyta

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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