Home           Inhalt
Stuttgarter unikurier Nr.80/November 1998
Fachleute setzen auf Renaissance :
Der öffentliche Verkehr an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
 

Eine Renaissance des öffentlichen Verkehrs sehen Fachleute insbesondere in Ballungsräumen und Mittelstädten. Dies wurde beim internationalen Symposium „Der öffentliche Verkehr an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“ am 8. und 9. Juli an der Universität Stuttgart deutlich. 190 Teilnehmer aus acht Ländern Europas und Amerikas konnten Ehrensenator Manfred Bonz, Vorstandssprecher der Stuttgarter Straßenbahnen AG, und Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerl, Ordinarius für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Uni Stuttgart, zum gemeinsam vom Uni-Institut und der Stuttgarter Straßenbahnen AG in Zusammenarbeit mit der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft veranstalteten Symposium begrüßen.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Eine umweltverträgliche Gestaltung der Mobilität bildete das Leitmotto der Veranstaltung. Die Verkehrsüberlastungen besonders in den Verdichtungsräumen, die Erkenntnisse über Umweltbelastungen, an denen der Kraftfahrzeugverkehr einen gewichtigen Anteil hat, und das gestiegene Umweltbewußtsein erfordern eine verstärkte Abstimmung der Planungen. Dies kann jedoch keine grundsätzliche Ablehnung des motorisierten Individualverkehrs und bedingungslose Bevorzugung des öffent-lichen Verkehrs bedeuten. Dieser stellt zwar eine wichtige Alternative zum motorisierten Individualverkehr dar; er ist jedoch für sich allein, auch unter Umweltgesichtspunkten, nicht überall sinnvoll. Eine angemessene Funktionsteilung innerhalb eines integrierten Gesamtverkehrssystems ermöglicht vielmehr die optimale Nutzung der jeweils systemeigenen Vorteile.
Innerhalb des öffentlichen Verkehrs (öV) gilt es - im gewollten Wettbewerb der Verkehrsunternehmen -, sich vom Konkurrenten in Angebot und Qualität zu unterscheiden und gleichzeitig mit ihm zu kooperieren. Beim voranschreitenden Telematikeinsatz muß der öV darauf achten, nicht nur als „Überlaufbecken“ eingesetzt zu werden: nicht reine Autofahrerleitsysteme, sondern verkehrsträgerübergreifende integierte Systeme müssen das Ziel sein.
Die Ausgangslage des öffentlichen Verkehrs ist dabei denkbar unterschiedlich. Während in Westeuropa ein hoher Qualitätsstand erreicht ist und gehalten werden soll, wurden in Osteuropa die Verkehrsunternehmen unvorbereitet in den Markt geworfen und mußten sich quasi über Nacht vom praktisch konkurrenzlosen öffentlichen Monopolbetrieb zu einem am Markt agierenden Unternehmen wandeln. Mit mangelhaften finanziellen Mitteln sollen sie nun auf einem Markt agieren, der von rasch steigender Pkw-Motorisierung geprägt ist. Zum Überleben sind sie auf externe Hilfe mit unkonventionellen Lösungen angewiesen.

Stabilisierung des öffentlichen Verkehrs in den USA
Neuere Entwicklungen bei den konkret am Markt und in der Politik agierenden amerikanischen Verkehrsunternehmen zeigen vor allem bei schienengebundenen Angeboten Steigerungen, während der Busverkehr eher rückläufig ist. Die Entwicklung der Suburbanisierung bei Wohnungen, Arbeitsplätzen und zentralen Einrichtungen, niedrige Pkw-Investitionen und -Betriebskosten sowie hohe Flächenverfügbarkeit und eine extensive Straßeninfrastruktur haben den Verkehrsmarkt wesentlich zu Gunsten des motorisierten Individualverkehrs geprägt.
Dennoch hat sich der öV in den letzten Jahren stabilisiert, und nicht nur in Ballungsräumen sind viele neue Schienenstrecken im Bau oder bereits in Betrieb. Entsprechende Erfolge in New York City, Houston oder Seattle führten dazu, daß sich Politik und Investoren wieder stärker für den öffentlichen Verkehr engagieren.
Die im Zuge der Privatisierung ausgelösten Entwicklungen in Großbritannien mit der dort (außer in London) extremen Deregulierung führte zu großen Angebotsreduzierungen und teilweise dramatischen Fahrgastrückgängen. Einer erheblichen Verringerung der Betriebskosten steht nun die Unzufriedenheit der Kunden mit der Verringerung von Qualität und Quantität gegenüber.

Integration von Stadt- und Verkehrsplanung
Als immer wichtigeres Element einer zukunftsgerichteten Entwicklung der Städte bezeichneten Referenten die Integration von Stadt- und Verkehrsplanung. Ausgehend von Siedlungsbändern mit Konzentrationspunkten entlang der Verkehrsachsen bildet ein solches Konzept die besten Voraussetzungen für eine gemeinsame Planung. Es erlaubt aufgrund der konzentrierten Nachfrage ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Angebot und damit eine leistungsfähige öV-Anbindung und ermöglicht gleichzeitig kurze Wege zu den Naherholungsgebieten.
Der Zusammenhang von Umweltschutz und Verkehr wird die Diskussion in den nächsten Jahrzehnten bestimmen. Der Verkehr, einer der Hauptverursacher des Treibhauseffektes, trägt mit den mit fossilen Brennstoffen betriebenen Fahrzeugen wesentlich zu den CO2-Emissionen bei. Die bisherigen Versuche, die verkehrsbedingten Emissionen zu reduzieren, sind unbefriedigend.
Die Symposiumsbeiträge von Referenten aus den USA und Großbritannien, aus Dänemark und Ungarn, aus der Schweiz, Belgien und Deutschland wurden vom Auditorium in lebhaften Diskussionen aufgenommen. Besonders die Sorge um integrierte, kundenfreundliche Angebote kam deutlich zum Ausdruck.
Die Veranstaltung stand im Zeichen des internationalen und -disziplinären Gedankenaustausches und Wissenstransfers, wobei vor allem das Zusammenspiel von Praxis und Wissenschaft wertvolle Impulse vermit-telte. Zwei Ausstellungen zu Stuttgart 21 und zu den BMBF-Leitprojekten zur Mobilität in Ballungsräumen begleiteten das Symposium.

P. Möller/H. Dobeschinsky

KONTAKT
Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-6370, Fax 0711/685-6666

 


last change: 02.03.99 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt