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Stuttgarter unikurier Nr.80/November 1998
Zur Emeritierung von Professor Gunzenhäuser:
Informatik und Anwendung
 

Prof. Dr. phil. Dr.-Ing. E.h. Rul Gunzenhäuser, Leiter der Abteilung Dialogsysteme des Instituts für Informatik der Universität Stuttgart, wurde am 30. September 1998 emeritiert.

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foto70.gif (8541 Byte)Prof. Dr. Rul Gunzenhäuser studierte ab 1953 Mathematik, Physik und Philosophie in Tübingen und Stuttgart. 1959 legte er das erste und nach einer zweijährigen Referendarzeit das zweite Staatsexamen ab. Parallel hierzu erstellte er seine Dissertation aus dem Bereich der Anwendung statistisch-mathematischer Verfahren auf die Text-Ästhetik und promovierte 1962 bei Max Bense zum Dr. phil.
Schon im Studium kam er mit dem noch auf Röhrentechnik basierenden Computer Zuse Z 22 in Berührung; von 1962 bis 1966 befaßte er sich als wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Walter Knödel am Rechenzentrum der TH Stuttgart hauptberuflich mit Rechnern, Programmiersprachen und (als einer der ersten) mit Programmen zum Erlernen von Assemblersprachen. Bereits in dieser Zeit organisierte er zusammen mit Prof. Frank das erste Symposium in Deutschland über „Programmierter Unterricht und Lehrmaschinen". Seine Studien vertiefte er durch einen einjährigen Aufenthalt als Gastprofessor an der State University of New York.
Gunzenhäuser wurde 1966 als Professor für Angewandte Mathematik und ihre Didaktik an die Pädagogische Hochschule Esslingen berufen. Daneben hielt er regelmäßig Vorlesungen als Lehrbeauftragter an der TH/Universität Stuttgart. 1973 nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur für Informatik an der Universität Stuttgart an.
Gunzenhäusers wissenschaftliche Arbeiten lassen sich drei großen Gebieten zuordnen: erstens der Mensch-Computer-Kommunikation, zweitens der Nutzung von Computern für Blinde und Sehbehinderte und drittens der Ausbildung in Informatik. Bereits in den 60er Jahren war Prof. Gunzenhäuser als Pionier im Bereich des rechnerunterstützten Lehrens und Lernens tätig. Diese Aktivitäten führten zur Untersuchung aller möglichen Kommunikationsformen mit dem Computer. Es entstanden Lehr- und Lernprogramme, Programmierumgebungen, objektorientierte Arbeitsumgebungen, intelligente tutorielle Systeme, Benutzungsoberflächen und Hypertext- und Hypermediasysteme unter Berücksichtigung von Text, Graphik, Sprache und Multimedia. Ziel war es, den Nutzern Arbeitsumgebungen bereitzustellen, die sie von Rechnerdetails und Spezialwissen befreien und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf ihre Anwendungen zu konzentrieren. Sein umfangreiches wissenschaftliches Werk wurde 1996 mit dem Ehrendoktor Dr.-Ing. E.h. der Technischen Universität Dresden gewürdigt.
Schon 1977 begann eine Arbeitsgruppe mit der Erstellung von rechnerunterstützten Hilfsmitteln für Blinde. Diese Forschungen und Entwicklungen wurden konsequent fortgesetzt, die Ergebnisse wurden in Vorträgen und auf Messen vorgestellt und flossen in die bundesweite Blindenförderung ein. Es entstanden Codes, Modelle, Prototypen und Hilfesysteme, die zugleich die wissenschaftliche Basis für konkrete Unterstützungssysteme gelegt haben. Sein unermüdlicher Einsatz auf diesem Gebiet ist von hoher sozialer Verantwortung geprägt und wurde 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.
Mit Fragen der Ausbildung befaßte sich Rul Gunzenhäuser bereits im Studium. Er hat die Informatikausbildung seit 40 Jahren vorangetrieben und sowohl in Tagungen, Lehrplankommissionen, wissenschaftlichen Gesellschaften usw. als auch durch Lehrveranstaltungen und Weiterbildungskurse mit Nachdruck gefördert. Zusammen mit Anton Brenner schrieb er einen Leitfaden über didaktische Materialien für Informatikkurse in der Schule und 1986 das Buch „Computer und Informatik in der Schule“. Zugleich war er als Mitherausgeber der einzigen einschlägigen deutschen Zeitschrift in diesem Bereich, LOG IN, tätig. Prof. Gunzenhäuser prägte die inhaltliche Aufbereitung der Informatik, ihre Darstellung und Vermittlung entscheidend.
Neben seinen Leistungen als Wissenschaftler ist Prof. Gunzenhäuser ein hervorragender Lehrer. Die Studierenden der Universität Stuttgart gaben seinen Lehrveranstaltungen stets beste Noten, und seine Vorträge waren und sind in der Bundesrepublik und darüber hinaus sehr begehrt. Zugleich hat er sich für die Selbstverwaltung der Wissenschaft eingesetzt: Er war mehrfach Dekan der Fakultät und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Informatik, er ist seit über 20 Jahren Mitglied (darunter vier Jahre Vorsitzender) des Fachbereichs Ausbildung der Gesellschaft für Informatik sowie Mitglied beziehungsweise Sprecher in diversen weiteren Ausschüssen, und er war sechs Jahre im Vorstand des deutschen Fakultätentags Informatik, darunter vier Jahre lang dessen Sprecher. Nach der deutschen Einheit hat er als Mitglied der Informatik-Fachkommissionen für Sachsen und Thüringen am Neubeginn der dortigen Informatikfachbereiche intensiv mitgearbeitet.
Die Fakultät Informatik hat Prof. Gunzenhäuser sehr viel zu verdanken. Vor allem wird ihr der „Mensch" Gunzenhäuser in der Lehre, in der Forschung, in ihren Gremien und im Alltag fehlen. Denn seine Zielorientiertheit, seine geschickte Verhandlungsführung, seine Objektivität, seine Zuverlässigkeit und die Fähigkeit, auch in festgefahrenen Situationen gute Auswege aufzuspüren und durchzusetzen, waren von unschätzbarem Wert für die Stuttgarter Informatik und für die Universität.
Sein Rat wird uns auch weiterhin zur Verfügung stehen, und die Fakultät Informatik erhofft sich noch viele Jahre gemeinsamer Forschungs-, Entwicklungs- und Beratungstätigkeit. Die Mitglieder der Fakultät und die im Informatik-Forum Stuttgart zusammengeschlossenen Ehemaligen wünschen ihm einen unverändert produktiven Ruhestand.

Volker Claus

KONTAKT
Institut für Informatik, Breitwiesenstr. 20-22, 70565 Stuttgart. Tel.: 0711-7816-0.

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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