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Stuttgarter unikurier Nr.80/November 1998
45. Internationaler Sommersprachkurs:
„Die ganze Welt ist hier“
 

15. Stock, Dachcafé, Max-Kade-Heim. Ivaldo, Yasar, Carla, Monika und Joanna proben dort zusammen mit etwa 25 Kurskollegen für ihren Auftritt auf dem Abschlußfest. Die drei Frauen singen im Chor mit anderen „Mamor, Stein und Eisen bricht“ oder „Mama mia“, was sie im Chanson-Workshop einstudiert haben. Die beiden Herren führen mit ihren Kolleginnen und Kollegen kurze Stücke vor, denn sie machen beim Theater-Workshop mit.

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Anfang August kamen 53 Studentinnen und Studenten aus 19 Nationen für vier Wochen nach Stuttgart, um im internationalen Sommersprachkurs der Universität ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und neben der Sprache auch die fremde Kultur kennenzulernen. Nach einem Einstufungstest am ersten Kurstag wurden die Schüler - je nach Leistungsstärke und Sprachkenntnissen - in drei Gruppen eingeteilt. Allein 21 Teilnehmer fanden sich bei den Fortgeschrittenen. Neun Lehrkräfte unterrichteten die Schüler in Sprache und Landeskunde. Vorträge über Sokrates und Kant oder zur Drogenpolitik, Arbeitsgruppen zu Medien, Politik und Geschichte oder zum deutschen Rechtssystem standen auf dem Programm. Dabei wurde viel Wert auf die Verbindung zwischen Theorie und Praxis gelegt: Im Literaturunterricht erfuhren die Studenten etwas über den Glöckner von Notre Dame, bei einer Freilichtaufführung in Schwäbisch Hall konnten sie sich einen Eindruck von der szenischen Umsetzung machen. Außerdem konnten sich die Studenten künstlerisch betätigen und an einem Theater-Workshop unter der Leitung des Stuttgarter Schauspielers und Spielleiters Michael Heinsohn sowie an einem Chanson-Workshop bei der Sprecherzieherin und Künstlerin Anne Weiß teilnehmen. Beide Angebote waren neu im Programm und standen für den verstärkten kulturellen Akzent des Sommersprachkurses.
Ivaldo Ferreira reiste aus Brasilien an und ist schon zum zweiten Mal beim Stuttgarter Sommerkurs dabei. Er wohnt bei einer deutschen Gastfamilie, um Land und Leute besser kennenzulernen. Die meisten seiner Mitschüler haben sich allerdings für ein Zimmer im Studentenwohnheim entschieden. Dort habe man seine Freiheiten und „kommt mit den anderen Studenten leicht ins Gespräch“, findet Monika aus Krakau. Beim ersten Mal hat Ivaldo Stuttgart mit dem Finger auf der Landkarte ausgewählt. Berlin sei ihm zu groß gewesen und den Dialekt habe er nicht verstan-den. Beim zweiten Mal entschied er sich für die Universität, weil es ihm dort zuvor so gut gefallen hatte. Vor zwei Jahren hat der Brasilianer sein Maschinenbaustudium abgeschlossen und arbeitet inzwischen als Dozent an der Universität von Belém. Den Kurs macht er, um kurze Anleitungen und andere Texte auf Deutsch besser verstehen zu können und um sich besser mit seinen deutschen Kollegen verständigen zu können. Er habe hier viele Ausdrücke aus der Umgangs- und Alltagssprache gelernt, die er zu Hause benutzen könne. In den vier Wochen hat Ivaldo zu 95 Prozent deutsch gesprochen, „ein bißchen Portugiesisch, Spanisch und Englisch mit den Kurskollegen ist aber auch dabei gewesen“, räumt er ein. Er plant, Anfang 1999 vielleicht seine Doktorarbeit in Stuttgart zu machen.
Carla Santos aus Portugal, die in Coimbra an der ältesten Universität ihres Landes seit drei Jahren Deutsch studiert, braucht die Sprache ebenfalls für den Beruf. Denn sie will später Deutsch und Englisch unterrichten. Sie ist zum ersten Mal in Deutschland. Für die Teilnahme am Sprachkurs bekam sie - wie etwa die Hälfte ihrer Kurskollegen - ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Carla gefällt es hier besser als sie es sich ursprünglich ausgemalt hatte. „Ich habe die Deutschen für sehr distanziert gehalten. Aber jetzt sehe ich das anders. Die Leute sind sehr nett und hilfsbereit“, sagt sie. Die Portugiesin schätzt in Stuttgart die zahlreichen Gelegenheiten, Deutsch zu sprechen: „Das bringt viel für's Studium.“ Deshalb und weil ihr Musik Spaß macht, arbeitet sie im Chanson-Workshop mit. Die Gelegenheit zum Sprechen nutzt sie allerdings auch außerhalb des Kurses: Sie wohnt für die Dauer des Kurses mit Deutschen in einer Wohngemeinschaft, die ihr die Stadt zeigen.
Monika Zelek aus Krakau hat ebenfalls ein Stipendium für den Deutschkurs bekommen. Wie Ivaldo ist auch sie nicht zum ersten Mal in Stuttgart. „Vor fünf Jahren war ich mit dem Schüleraustausch schon mal hier. Da habe ich mich in die Stadt verliebt“, erklärt die temperamentvolle Polin. Deshalb wollte sie auch unbedingt nach Stuttgart. Manchmal - sofern der prall gefüllte Stundenplan es zuläßt - unternimmt sie etwas mit ihren Freunden aus der Austauschzeit. Daß für Freizeitaktivitäten kaum Platz ist - 60 Stunden Unterricht plus Workshops stehen auf dem Programm -, findet sie zwar anstrengend, aber es sei in Ordnung, da sie ja hier sei, um etwas zu lernen. Monika studiert am Lehrerkolleg Fremdsprachen. Wie Carla will sie in einem Jahr Deutsch und Englisch unterrichten. Dafür hat sie sich beim Sommerkurs auch schon etwas abgeguckt. „Die deutschen Lehrer, die ich kennengelernt habe, sind ganz anders als die polnischen. Sie sind viel lockerer und akzeptieren eher die Meinung ihrer Studenten“, findet Monika. Niemand habe Angst, etwas zu fragen. Vom Kurs ist sie ganz begeistert: „Alles ist toll: der Unterricht, die Lehrer und die Leute. Die ganze Welt sitzt hier zusammen.“ Vom Landeskundeunterricht habe sie am meisten profitiert. Es sei interessant, die Sitten und Gebräuche kennenzulernen und die Art, wie dies im Unterricht vermittelt wurde, habe ihr Anregungen für die künftige Tätigkeit gegeben. Mit ihren Mitschülern hat Monika Deutsch gesprochen, und das obwohl in ihrer Unterrichtsgruppe sieben Landsleute mit von der Partie waren.
Auch Yasar Özdirek, der seit drei Jahren in Istanbul Geschichte studiert, fährt nicht direkt nach Hause. Während des Kurses wohnt er bei seinem Onkel und bleibt danach noch ein paar Tage, um etwas auszuspannen und die Zeit mit der Familie zu nutzen. Er lernt Deutsch als zweite Fremdsprache, weil er später gerne im Export-/Import-Bereich arbeiten möchte. Probleme habe er mit den Redewendungen. „Die sind schwer zu verstehen,“ findet Yasar.
Joanna Chin Kiu Wong, die in Hongkong Übersetzen und Linguistik studiert, betrachtet Deutsch als Hobby. „Für mich ist es sehr schwer, diese Sprache zu lernen“, berichtet sie, „denn die Menschen in meiner Heimat sprechen kaum Deutsch und es ist schwierig, zu üben.“ Deshalb entschied sie sich auch für die Teilnahme an einem Sommersprachkurs. Nach Stuttgart kam sie auf Empfehlung ihres Lehrers: Frühere Studenten hätten gute Erfahrungen gemacht und den Kurs gelobt. Vor allem viele neue Vokabeln habe sie hier gelernt. Ihr falle es allerdings noch schwer, Sätze zu bilden und ihre Meinung auszudrücken, weil ihr die Worte in der fremden Sprache fehlten, erklärt die Asiatin. Deshalb will sie auch noch ein Wörterbuch in den Koffer für die Heimreise packen.
Da die Freizeitgestaltung im Kurs inbegriffen ist, lernen sich die jungen Leute bei Ausflügen zum Bodensee oder in den Schwarzwald, nach Freiburg oder Baden-Baden gut kennen. Damit die Studenten ungehemmter sprechen, standen außerdem kleine Gesprächsrunden auf dem Stundenplan, die von zwölf Tutoren betreut wurden. Die Architekturstudentin Sigrid Hansjosten kümmert sich bereits zum vierten Mal um ausländische Sommerkursteilnehmer. „Mir macht es Spaß, neue Leute zu treffen und etwas über die verschiedenen Kulturen zu erfahren“, erklärt sie. Zwei- bis dreimal in der Woche unterhält sie sich mit ihren fünf Schützlingen anderthalb Stunden über die unterschiedlichsten Themen. Mal geht es um die nationalen Bildungssysteme, mal um Umweltschutz und Sterbehilfe oder einfach nur um das aktuelle Kinoprogramm. Bei der Zusammenstellung der Gruppen wurde darauf geachtet, daß alle Teinehmer ein ähnliches Niveau haben. Sigrid Hansjosten lud ihre Gruppe zu sich nach Hause ein, wo sie zusammen Spezialitäten aus den Herkunftsländern kochten. Bei spanischem Wein, japanischer Reispfanne und schwäbischen Spätzle wurde munter drauflosgeplappert.

K. Lauer

KONTAKT
Akademisches Auslandsamt, Abteilung Interkultureller Unterricht, Böblinger Str. 78 E, 70199 Stuttgart. Tel: 0711 - 641 2151.

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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