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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Moshe Idel in der Reihe „Kulturtheorien":
Gesichtslosigkeit als Strategie - zur Messiasvorstellung in der jüdischen Kultur
 

Das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie setzte mit dem Vortrag von Prof. Moshe Idel im Dezember 1997 seine Reihe zu interdisziplinären Ansätzen in der zeitgenössischen Kulturtheorie fort. Moshe Idel ist einer der wichtigsten Schüler Gershom Scholems und heute als Professor für jüdische Religions- und Philosophiegeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem tätig. Sein Vortrag „Jewish Messianic Ideas: A Sociological Approach" beschäftigte sich mit religiösen Vermittlungsmodellen und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen.

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Der Messiasgedanke in der jüdischen Religion kennt nach Idel drei Vorstellungen eines Erlösers: der Messias kann zum einen als der König gedacht werden, der die bestehende, „gute" Ordnung der Welt durchsetzen und vollenden wird, er kann zweitens präsentiert werden als ein König der Zukunft, der die Welt erst nach dem „natürlichen" Untergang der alten Ordnung retten wird, oder er kann schließlich auch als der apokalyptische Zerstörer konzipiert werden, der selbst alles Bestehende zerstört, um die Welt aus dem Nichts wiederaufzubauen. Die Heilserwartungen unterscheiden sich also nach dem Maß an Zerstörung, das vor dem Eintreten der guten Herrschaft durchschritten werden muß.

 

Keine Messiaslehre
Gänzlich anders als im Christentum verläuft auch die Vermittlung der Messiasidee: wandernde Propheten müssen in ihren Reden deutlich machen, daß es keine Lehre vom Messias geben kann. Als ziellos umherirrende Botschafter bilden sie ein Netz ohne zentralen Ausgangspunkt. Abgekoppelt von der religiösen Elite, die ihre Version der Messiasidee als Geheimnis hütet und an einer Verbreitung nicht interessiert ist, erweist sich der Informationsverlust somit nicht als Unfall, sondern als Absicht. Die Interpretationen übernehmen die Rolle einer Maske, hinter der sich kein Gesicht verbirgt, die Vielzahl an unkontrollierten Versionen zirkuliert um eine gähnende Leere. Der Vermittler muß daher auch in eigener Person vorleben, daß er nicht festgeschrieben werden kann: durch rituelle Techniken der Selbstmessianisierung löst er jeden Text durch Überschreibung und Kommentar wieder auf. An welche Vorstellung des Messias das Volk auch glauben mag, die Priorität besteht darin, sie in Bewegung zu halten.

A. Geiger

 

KONTAKT
Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, Prof. Gerhart Schröder, Keplerstraße 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711-1212589, Fax 0711-1212813

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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