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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Plädoyer für eine Verfaßte Studierendenschaft :
AStA - Gibt's hier nicht!!!
 

Während der studentischen Proteste im letzten Semester forderten viele Studierende die Wiedereinführung der Verfaßten Studierendenschaft. Deren „letzte Stunde" hatte in Baden-Württemberg am 10. November 1977 geschlagen.

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Schon nach dem ersten Weltkrieg bildeten sich aus Selbsthilfeorganisationen der Studierenden die ersten Studentenschaften. In den 20er Jahren wurden diese als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft und Finanzhoheit vom Staat anerkannt. So wurden in § 2 der preußischen Verordnung über die Bildung von Studentenschaften vom 18.9.1920 die Aufgaben der Studentenschaft, vertreten durch den AStA, wie folgt definiert: „a) Vertretung der Gesamtheit der Studierenden; ... d) Einigung über die Parteien hinaus zur Mitarbeit am kulturellen und wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands." Mit dem Entstehen der nationalsozialistischen Herrschaft wurden die Studentschaften vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) „übernommen". Sie wurden ein Instrument des Staatsterrors.

1945 wiederbelebten die westlichen Allierten im Rahmen des Reeducation-Programms die Verfaßten Studentenschaften. Diese sollte die „Interessen der Studenten" vertreten und der Jugend Gelegenheit zur politischen Betätigung im Sinne der demokratischen Neuordnung der Hochschulen geben. Die sich daraus ergebende Politisierung der Studieren-den wurde anfangs von Politikern und Professoren noch geduldet, teilweise sogar gefordert (s.a. Gerhardt, DUZ 8/9, 1968, S.3). Erst mit der Studentenbewegung (APO, Notstandsgesetze, Vietnam-Proteste) Ende der 60er Jahre geriet die Verfaßte Studentenschaft immer mehr ins Zentrum der Kritik.

Nachdem die Verfaßte Studierendenschaft nur noch als „Kann-Bestimmung" ins Hochschulrahmengesetz (HRG) aufgenommen wurde, nutzte Baden-Württemberg die Möglichkeit zum Verbot. Offizielle Begründung: Die Zwangsmitgliedschaft sei verfassungswidrig, da sie die allgemeine Handlungsfreiheit der Studenten einschränke und man verhindern wolle, daß öffentliche Mittel für radikale politische Aktionen mißbraucht würden. Daß es dem damaligen Ministerpräsidenten und ehemaligen NS-Marine-Richter Filbinger um etwas anderes als die freiheitlich demokratische Grundordnung ging, belegen die heute noch bestehenden Zwangskörperschaften (zum Beispiel IHK) und seine Worte zur Abschaffung der Verfaßten Studentenschaft: „Wenn es uns gelänge, mit dem RCDS, der Jungen Union oder der Schülerunion die ASten zu besetzen, wäre die Lage anders" (BNN, 10.11.1977). Mit der Verfaßten Studierendenschaft wurden gleichzeitig auch die Fachschaften abgeschafft.

Da es aber einem demokratischen Staat mit folglich demokratischen (?) Universitäten und Studentenwerken widerspricht, wenn die zahlenmäßig stärkste Gruppe ganz ausgeschaltet wird, wurde ein beratender Ausschuß des Großen Senats eingerichtet (§ 18,3 UG): der Ausschuß für musische, sportliche, geistige und soziale Belange der Studierenden. Die Aufgabenstellung sowie die Zusammensetzung dieses Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) mit drei studentischen Mitgliedern des Senats sowie sechs studentischen Mitgliedern im Großen Senat wird von den Studierenden als völlig unzureichend beurteilt. Daher beschlossen die Studierenden der Universität Stuttgart 1980 die Gründung einer unabhängigen Studierendenvertretung namens FachschaftsVertreterInnenVersammlung (FaVeVe). Zentrales Gremium der FaVeVe sind die wöchentlichen Sitzungen. An dieser Sitzung können alle Studierenden mit Rede- und Antragsrecht teilnehmen - stimmberechtigt sind aber nur die Delegierten der Fachschaften. Die fachbereichsübergreifende Arbeit der FaVeVe betrifft hauptsächlich Themen wie Nahverkehr, BAföG oder Ökologie.

Grundlegendes Ziel der FaVeVe ist und bleibt allerdings die Wiedereinführung der Verfaßten Studierendenschaft als öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaft mit Satzungs- und Finanzhoheit sowie politischem Mandat.

Satzungs- und Finanzhoheit sind dabei unumstritten. Aber schon bei der Zwangskörperschaft gehen Meinungen auseinander, da die Stellungnahme im Namen aller Studierenden als problematisch angesehen wird. Abgesehen davon, daß nach dieser Logik auch Ärzte- und Anwaltskammern sowie die politisch sehr regen Industrie- als Zwangsverbände verfassungswidrig sein müßten, ist bisher noch niemand auf den Gedanken gekommen, die automatische Mitgliedschaft eines Professors oder eines Studenten in der Körperschaft Hochschule als Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit anzusehen. Die Leistungen einer Studierendenschaft kommen zudem allen StudentInnen zugute (eine Kontrolle der Inanspruchnahme durch Nicht-Mitgieder ist nicht möglich), so daß es nur rechtens ist, daß auch alle Studierenden zahlen müssen. Aus dem Studentenwerk kann man auch nicht austreten, wenn man die Leistungen wie Wohnheim- oder Kindergartenplatz nicht nutzt.

Der zweite Streitpunkt ist das politische Mandat. Und genau hier liegt das Problem: Was ist Allgemeinpolitik und was ist Hochschulpolitik? Eine Trennung zwischen Hochschul- und Allgemeinpolitik ist nicht möglich.

Ist ein Arbeitskreis, der sich um die Einführung eines Semestertickets bemüht, eine Überschreitung des Rahmens? Schließlich handelt es sich in diesem Fall um Verkehrspolitik! Oder überschreitet ein Kommentar zum Wohnheimbau wegen der sozialpolitischen Komponente schon den zulässigen Rahmen? Wie ist die Verurteilung der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste in China oder derzeit in Indonesien zu beurteilen, wenn man sie zu den seinerzeit von Politikern gewünschten Kommentaren zur Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in der DDR in Beziehung setzt? - Die FachschaftsVertreterInnenVersammlung (FaVeVe) tritt für die Einführung der Verfaßten Studierendenvertretung ein.

Ulrike Schwidtal und Michael Lateier

 

KONTAKT
Weitere Infos bei der FaVeVe im „Hellblauen Nilpferd", Pfaffenwaldring 57, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-2003/-2004

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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