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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Erstes Virtual-Environment-Labor als Dienstleistungseinrichtung an einer deutschen Universität:
Forschung und Praxis im „Cube" - Faszinierende Möglichkeiten
 

Die Manager und Ingenieure eines Turbinenherstellers stehen mitten in einer ihrer Turbinen und blicken den bunten Teilchen hinterher, die am Ende eines langen Rohres in Wirbeln sich verlieren. Sie können die Wege nachvollziehen, die das antreibende Wasser oder die Dämpfe gehen, technische Verfeinerung, die den Strömungsverlauf verbessern, werden eruiert. Vorgenommen werden sie freilich nicht vor Ort, denn die Turbine wie die Teilchen sind aus sehr flüchtigem Material. Genauer: Sie sind aus luftigem Licht. Die Damen und Herren befinden sich weder in ihrem Betrieb noch unterhalb der großen Staumauer, wo die Turbinen zum Einsatz kommen. Vielmehr stehen sie zwischen drei Projektionswänden, haben Stereo-Brillen auf und eine Maus in der Hand - eine virtuelle, wie die ganze Umgebung, in der sie sich gerade bewegen, eine nur virtuelle Welt ist.

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Problemlösungen lassen sich im sogenannten Cube (auch Cave genannt) des neuen Virtual Environment-Labors, kurz VELab, das Ende April am Rechenzentrum der Universität Stuttgart offiziell in Betrieb genommen wurde, sehr wohl finden. Bekannt ist ja den meisten, daß Piloten an Flugsimulatoren schwierige Manöver üben können, die durchaus der Realität entsprechen, ohne daß ein Fehler gleich Katastrophen auslöst. Die virtuelle Wirklichkeit hilft sparen und die Menschen schützen. Mit dem Cube auf dem Vaihinger Campus wird die eine Materialschlacht durch eine andere, weitaus kostengünstigere ersetzt: sage und schreibe 14 R10000 Prozessoren mit 4 Gbyte Hauptspeicher sowie drei Infinite Reality Pipes sorgen seit einigen Wochen für die Simulation der komplexen technologischen Prozesse. Jede Pipe projiziert zwei Bilder auf die ihr zugewiesene Leinwand, die Voraussetzung für die dreidimensionale Darstellung im Raum. Und jederPositionswechsel des Beobachters wird im Nu umgesetzt. Ein von der Brille des Nutzers gegebenes Signal teilt den Rechnern die Bewegungen laufend mit. Geht man etwa an den Rohren der Turbine entlang, verändern die Computer die visualisierte Szene der Perspektive des Beobachters gemäß, so daß man den Eindruck gewinnt, man bewege sich an einem „wirklichen" Rohr entlang - oder eben durch dieses hindurch, wobei ohnehin verblüffend ist, wie greifbar die in den Raum projizierten Gebilde sind.

 

Anwendungen von Ingenieurwissenschaften bis Medizin
Selbstredend profitieren nicht allein Turbinenfachleute von der neuen Einrichtung im Rechenzentrum. Auch die Medizin, die Stadtplanung und die Fahrzeugherstellung, um nur einige Bereiche zu nennen, greifen auf die Hilfe der virtuellen Welt zurück. Beispielsweise müssen Menschen mit Lungen-, Bronchial- oder Blutgefäßproblemen nicht mehr auf den Tisch der Mediziner, um bei Vollnarkose mit Katheder und Mini-Kamera traktiert zu werden. Dank der Vaihinger Höchstleistungsrechner werden die durch Comptertomographie gewonnenen Daten zu einem Bild zusammengesetzt und im VELab dreidimensional dargestellt. Gefäßverschlüsse werden auf diese Weise gut sichtbar, die Mediziner stehen, etwa im Bronchialast, direkt davor. Bei Kindern, deren Gefäße noch viel zu schmal für die alte endoskopische Untersuchungsmethode ist, wird nun eine Diagnose ohne chirurgischen Eingriff möglich.

 

„Stuttgart 21" virtuell
In Anbetracht von Diskussionen wie beispielsweise um das Stadtplanungsprojekt „Stuttgart 21" ist eine weitere Nutzungsmöglichkeit von großem Interesse. Gebäude oder Städte werden im Cube regelrecht begehbar, da die Darstellung ohne weiteres in Lebensgröße erfolgen kann. Die Wirkung der neuen Wohn- und Bürohäuser auf Flaneure kann ebenso erkundet werden wie die Ausstrahlung, die deren Foyer-Einrichtung auf die Besucher hat, zumal sich die Umgebung ja der Bewegung des neugierigen Spaziergängers anpaßt.

Die Autoindustrie greift sowohl beim Test von Fahreigenschaften als auch bei Crast-Tests auf das VELab zurück. Die Kräfte, die beim Aufprall auf das Fahrzeug gewirkt haben, können eingehend untersucht werden - zumal sich das virtuelle Fahrzeug mit nur wenigen Handgriffen beliebig vergrößern läßt und die Ingenieure jede in der Wirklichkeit noch so unzugängliche Stelle untersuchen können. Virtuelle Prototypen rükken bei diesen Tests an die Stelle der bisher in teurer und langwieriger Handarbeit hergestellten Modelle von Autos, die erst in ferner Zukunft in die Serienproduktion gehen. Auch den Kolbenraum ihrer Motoren können Kfz-Ingenieure einsehen, ja eben auch hineingehen, um am Ende die Verbrennung zu optimieren.

 

Kristallstrukturen und Fahrzeuge der Zukunft
Die Erprobung von Produkten, die zunächst nur am Reißtisch existieren, ist nicht nur für die Fahrzeughersteller interssant. Jedes Industrieprodukt kann vor seiner Herstellung im Cube des Rechenzentrums getestet werden - und als Dienstleistungseinrichtung ist das VELab des Rechenzentrums auch gedacht, übrigens das erste seiner Art an deutschen Universi-täten. Es steht nicht nur UniversitätsInstituten zur Verfügung, die dort etwa Kristallstrukturen oder astrophysikalische Vorgänge im Weltraum erforschen, sondern auch privatwirtschaftlichen Nutzern. Die Grundlagenforscher profitieren in derselben Weise wie die Leute aus der Praxis. Professor Eberhard Göde vom Institut für Strömungsmechanik und Hydraulische Strömungsmaschinen der Universität Stuttgart etwa konnte dank der visuellen Darstellung von Strömungsprozessen bereits einigen Unternehmen und Betreibern von Kraftwerken behilflich sein, und das bereits mit der alten, nur an eine einzelne Wand projizierten dreidimensionalen Darstellung der nun durch das VELab abgelösten Anlage des Rechenzentrums. Auch die Autohersteller Daimler-Benz und Porsche nutzen häufig die Möglichkeiten des VELab, um die Fahrzeuge der Zukunft mit Hilfe der technologischen Möglichkeiten der Zukunft zu planen.     /hjg

 

KONTAKT
Dr.-Ing. Ulrich Lang, Abteilung Visualisierung im Rechenzentrum Universität Stuttgart, Allmandring 30, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-5995
e-mail: ulrich.lang@hlrs.de

Infos zum VELab gibt's auch im Internet: http://www.hlrs.de/structure/organisation/vis

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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