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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Erste deutsche Nobelpreisträgerin beim Universitätsabend:
Ein Fisch namens Dino
 

Wie das Erbmaterial die Entwicklung von Lebewesen beeinflußt, erforscht die Tübinger Genetikerin Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard. Beim zweiten Universitätsabend*) im Wintersemester 1997/98 hat die vielfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin über den vorgeschriebenen Weg von der befruchteten Eizelle bis zum erwachsenen Tier berichtet, der bei Fruchtfliegen und Zebrafischen in mancher Weise ähnlich gesteuert ist.

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„Ein Organismus ist komplizierter als alles, was die Ingenieure bauen können", urteilte Nüsslein-Volhard bei ihrem Vortrag am 22. Januar. Zwar hätten alle Zellen, die aus einer befruchteten Eizelle entstehen, das gleiche Erbmaterial. Dennoch seien die unterschiedlichsten Moleküle, Zellen und Organe in jedem Lebewesen so angeordnet, daß sie die ihnen zugeordnete Funktion erfüllen. Wie das möglich sei, habe die Menschen schon lange beschäftigt, und auch jetzt gebe es auf diese Frage noch keine abschließende Antwort.

f_s4.jpg (111375 Byte)Ein recht gut untersuchter Organismus sei das „Haustier der Genetiker", die Taufliege. Für ihre Arbeiten zur Entwicklung von Taufliegen ist die Wissenschaftlerin zusammen mit zwei Kollegen im Jahr 1995 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden. Um zu sehen, ob die an Insekten gemachten Beobachtungen auf andere Lebewesen übertragbar seien, müsse man aber zunächst viel mehr über die Steuerung in deren Zellen lernen, sagte die Genetikerin. Deshalb sei in ihren Labors zur Tau-fliege ein Fisch als Versuchsobjekt hinzugekommen.

Am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie sucht die Arbeitsgruppe Nüsslein-Volhards seit Beginn der neunziger Jahre nach den Erbinformationen, die aus einem Zellhaufen einen Zebrafisch entstehen lassen. Diese Wirbeltiere seien ähnlich wie die Taufliege besonders gut als Versuchsobjekte geeignet. Sie pflanzten sich schnell fort, und ihre zahlreichen Nachkommen entwickelten sich in großen glasklaren Eiern. Was darin in den ersten fünf Tagen nach der Befruchtung vor sich gehe, könnten die Wissenschaftler schon bei geringer Vergrößerung in gewöhnlichen Mikroskopen betrachten.

Millionen von Eiern hätten sie schon beobachtet und nach Besonderheiten gesucht. An Tieren, die vom Standard abweichen, lasse sich am besten erforschen, welche Gene dafür sorgen, daß sonst alle Individuen einer Art gleich aussehen, erläuterte die Genetikerin. Wo sich das Erbmaterial der Mutanten vom ursprünglichen Typ unterscheide, lägen die für ihre Forschung interessanten Gene.

Um die Zahl ihrer Untersuchungsobjekte zu erhöhen, setzten die Wissenschaftler Chemikalien ein, die das Erbmaterial leicht schädigen. 1200 Mutanten seien inzwischen beschrieben. „Wir können in den Fischen allerdings nicht gezielt Gene verändern, und schon gar nicht die, die wir noch nicht kennen", erwiderte die Wissenschaftlerin auf eine Zuhörerfrage.

Dino, Mercedes, Einstein, Keinstein oder Rolling Stones heißen einige der Zebrafisch-Mutanten im Tübinger Labor. Ihre Namen beschreiben Eigenschaften, in denen sich die Tiere von ihren Artgenossen unterscheiden. Dino beispielsweise benennt eine Form mit dickem Schwanz und kleinem Kopf. Die verdoppelte Schwanzstruktur bei den Fischen des Mercedes-Stammes erinnert hingegen, von hinten betrachtet, an einen dreiarmigen Stern. Im einzelnen zu erklären, wie die Suche nach den Genen für diese auffälligen Merkmale vor sich gehe, sei in einer Vorlesung nicht möglich, sagte Nüsslein-Vol-hard. Dieses Ziel sei auch häufig noch gar nicht erreicht.

Einige Parallelen zwischen Taufliegen und Zebrafischen hätten die Forscher aber schon entdeckt. So gebe es ein Gen, welches das Aussehen des Dino-Stammes hervorruft, in leicht abgewandelter Form auch bei Fröschen und Fliegen. Einige Grundprinzipien bei der Entwicklung seien also bei unterschiedlichen Organismen ähnlich. „Genau das Gleiche ist das natürlich nicht", schränkte die Wissenschaftlerin ein.

Ob sich Ergebnisse von Fliegen oder Fischen auch auf die Vorgänge in menschlichen Zellen übertragen lassen, ist noch nicht geklärt. Ein vor kurzem in Tübingen neu gegründetes Unternehmen untersucht unter anderem Gene, die bei Fischen die Versorgung mit Blutgefäßen regeln. Falls die in Fischen wirksamen Stoffe auch in menschlichen Zellen eine Rolle spielen, könnten sie in Zukunft vielleicht in der Medizin eingesetzt werden. „Wir sind da noch am hoffnungsvollen Anfang", sagte die an der Firmengründung beteiligte Genetikerin.

Das letzte Dia des Vortrags war einem anderen Aspekt gewidmet: „Vielleicht kann man den Fisch auch nehmen, um etwas über Schönheit herauszufinden", meinte Nüsslein-Volhard. Das Bild zeigte Mutanten mit verschieden gemusterten Schwanzflossen. Eine breitgestreifte Variante nennen die Wissenschaftler „Asterix und Obelix".      /op

 

*) Am 26. November 1997 gab Nobelpreisträger Prof. Dr. Bert Sakmann (Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung, Heidelberg) Einblick in die Geheimnisse des Gehirns (siehe Uni-Kurier Nr. 77/78 - Nachrichten & Berichte).

Foto: Eppler


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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