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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Festvortrag von Prof. Dr. Heinz Spähn zu Carl von Bach:
Ingenieurpersönlichkeit mit Vorbildcharakter
 

Es gibt kaum eine andere Ingenieurpersönlichkeit, über deren Leben und Wirken wir so genaue Kunde haben wie bei Carl Julius Bach. Dazu beigetragen haben nicht nur seine Schüler, die er während seines Wirkens als Hochschullehrer und Forscher ausbildete, sondern auch er selbst, der mit 11 Jahren die Gabelsberger Kurzschrift erlernte und so in der Lage war, später Beobachtungen und Erkenntnisse, aber auch Gesellschaftspolitisches wie Anekdotisches präzise festzuhalten. Eine Fundgrube zu all dem ist seine Skizze „Mein Lebensweg und meine Tätigkeit".

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Jugend
Als Vierzehnjähriger begann er eine Schlosserlehre, wobei es zweifelhaft ist, ob er die anstrengende Arbeit an Schraubstock und Amboß aushalten wird, dies deshalb, weil er in jungen Jahren an der Bräune erkrankt war und lebensbedrohliche Erstickungsanfälle hatte. Wie der Lehrling reagiert, trotz seines langaufgeschossenen, schwächlichen und engbrüstigen Körpers täglich 12 Stunden und mehr die anstrengende Tätigkeit in der Schlosserwerkstatt durchzuhalten, ist für seinen weiteren Lebensweg kennzeichnend: er baut sich zuhause ein Reck, turnt dort viermal täglich, führt Kraftübungen aus und kann sich nach zwei Jahren am Reck aus dem Langhang gleicharmig in den Stütz ziehen.
Bach war schon als Kind Frühaufsteher geworden. Wenn er zwölf Stunden am Schraubstock gearbeitet hatte, war die Hand viel zu unruhig, um sauber zeichnen zu können. Er begann daher morgens um vier Uhr mit seinen Zeichenübungen; von seinem Können zeugen spätere Veröffentlichungen.

 

Ausbildung
Bach macht sein Gesellenstück, verläßt Stollberg und geht mit seinem Wanderbuch hinaus in die Welt, zunächst nach Chemnitz, wo er in einer Fabrik sein Geld verdient, die damals schon 2000 Arbeiter beschäftigt. Da dort statt 70 nur 55 Stunden - freilich im Akkord - gearbeitet wird, bleibt ihm für die Fortbildung mehr Zeit, die er nutzt, um Englisch zu lernen.

1868 nimmt seine Ausbildung eine entscheidende Wende, als er seinem früheren Lehrer in Chemnitz, Professor Kankelwitz, nach Stuttgart folgt, um am dortigen Polytechnikum sein Assistent in Vorkursen für Mathematik und Mechanik zu werden. Hier steht er einer Zuhörerschaft gegenüber, die kaum jünger ist als er mit seinen 21 Jahren.

Aus dem Krieg (1870/71) unversehrt heimgekehrt, geht er sogleich für zwei Monate in die Gießerei der Gebrüder Sulzer in Winterthur, denn er erachtet es als großen Mangel, bislang noch nicht als Former gearbeitet zu haben. Er gibt danach seine Assistententätigkeit am Polytechnikum Stuttgart und seine Ingenieurtätigkeit bei Kankelwitz auf, übersiedelt nach Karlsruhe und schließt nach zwei Semestern sein Studium an der Technischen Hochschule mit der Diplomprüfung bei Prof. Grashof ab.

 

Ausland
Danach geht Bach als Ingenieur für ein Jahr nach England, wobei er sich seine Firma so aussucht, daß er abends Vorlesungen am Kings College in London besuchen kann. Seine letzte Industrietätigkeit vor dem Ruf nach Stuttgart verschlägt ihn nach Bautzen. Er überwacht den Bau von Dampfmaschinen und Dampfkesseln, konstruiert selbst viel, führt Qualitätskontrollen persönlich aus, was unbedingt notwendig war. Man muß bedenken, daß zu jener Zeit der Begriff „Made in Germany" keineswegs für Güte und Zuverlässigkeit des deutschen Maschinenbaus stand; vielmehr galt für viele Produkte das Urteil der Weltausstellung von Philadelphia (1876): die deutschen Exponate sind „billig und schlecht".

 

Hochschullehrer
In dieser Situation folgt er 1878 einem Ruf nach Stuttgart als ordentlicher Professor des Maschinenin-genieurwesens an der Maschinenbaufachschule des Polytechnikums.

Bach stört sich in der Lehre sogleich an dem für ihn nicht nachvollziehbaren Gegensatz von Theorie und Praxis. Der Phrase von dem Gegensatz zwischen Theorie und Praxis wurde durch die Einrichtung des Unterrichts an der Mehrzahl der Technischen Hochschulen Vorschub geleistet. Man gliederte den Unterricht in „Theoretische Maschinenlehre" und in „Praktischen Maschinenbau". ...

In der theoretischen Maschinenlehre wurden die wissenschaftlichen Grundlagen des Maschinen-baus behandelt, und zwar meist nur, soweit sie sich der mathematischen Behandlung zugänglich erwiesen, und soweit der Vortra-gende sie selbst kannte. Das, was der Vortragende nicht behandeln konnte oder wohl auch nicht behandeln mochte, von dem pflegte er in der Vorlesung zu sagen: Das werden Ihnen meine Kollegen, die den praktischen Teil behandeln, geben. Die „praktischen Kollegen" ... erklärten von demjenigen, was sie nicht behandeln konnten: Das wird der Kollege in seinen theoretischen Vorträgen bringen. Auf diese Weise ergab sich eine Kluft ... in welche von beiden Seiten das hineingeworfen wurde, was ihnen nicht paßte."

Was Bach nach Übernahme der Professur in der Lehre zu leisten hatte, geht aus wenigen Fakten hervor. Bach zu seinen Aufgaben: „Elf Jahre lang habe ich ohne irgendeinen Assistenten - auch in den Konstruktionsübungen - gearbeitet, fünf Jahre die Versuche der Materialprüfungsanstalt durchzuführen gehabt, ohne Assistenten. In diese fünf Jahre fielen noch dazu die drei Jahre, während welcher ich infolge zweimaliger Wiederwahl - die Rektoratsgeschäfte der Hochschule zu führen hatte mit dem Erschwernis, daß in dieser Zeit der Verwaltungsbeamte erkrankte, lange Zeit dahinsiechte und schließlich starb ... Es war nötig, bis zur vollen Entwicklung der Materialprüfungsanstalt und des Ingenieurlaboratoriums meinen normalen Lehrauftrag der ... eine volle Professur ausmachte, zu besorgen, also gewissermaßen zwei Professuren auszufüllen".

 

Lehre
Trotz dieser Belastung hilft Bach dem Lehrbuchmangel in kürzester Zeit ab: zwei Jahre nach seiner Berufung erscheint die erste Auflage seines Buches „Die Maschinenelemente - ihre Berechnung und Konstruktion", nach heutigem Sprach-gebrauch ein „Bestseller". Es wird in drei Sprachen übersetzt; die 13. Auflage wird 1921 ausgeliefert. 1889 folgen „Elasticität und Festigkeit" in 9 Auflagen, 1915 schließlich „Festigkeitseigenschaften und Gefügebilder der Konstruktionsmaterialien" zusammen mit Richard Baumann, dem so früh verstorbenen Nachfolger Bachs.

Bach nutzt die Vorworte, seine Ansichten zu grundsätzlichen Fragen kundzutun, so etwa in der ersten Auflage der „Maschinen-elemente" zur Einführung eines Werkstattpraktikums vor Aufnahme des Maschinenbaustudiums; „... weil ein im Interesse der Industrie erfolgreiches Studium des Maschinenbaues von dem jungen Techniker voraussetzt, daß er... eine zweijährige praktische Tätigkeit in der Werkstatt hinter sich hat, für welche die Schule trotz aller Bestrebungen niemals genügenden Ersatz bieten kann.“

Bachs Maxime als Hochschullehrer war von Anfang an die „Heranbildung selbstständig denkender und selbstständig schaffender Ingenieure auf Grund dessen, was die Tatsachen und das Leben lehren“. Er setzt durch, daß für das Maschinenbaustudium eine mindestens einjährige Werkstattausbildung vor Aufnahme des Studiums durch königliche Verordnung 1883 zur Pflicht wird und hat großen Anteil daran, daß etwa 70 Praktikantenstellen in Württemberg bereitgestellt werden.

 

Materialprüfungsanstalt und Ingenieurlaboratorium
Nachdem Bach sich in kürzester Zeit in sein Lehrgebiet eingearbeitet hat, empfindet er es als großen Mangel, daß keinerlei Laboratoriumseinrichtungen für Maschineningenieure vorhanden waren. Die geistige Schaffensperiode Bachs in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wird daher zusätzlich überlagert vom zeitraubenden Ringen um die materiellen Voraussetzungen zur Verwirklichung derartiger Einrichtungen. Sowohl für die spätere Materialprüfungsanstalt als auch für das Ingenieurlaboratorium war die Ausgangssituati-on deprimierend.

Es dauerte 13 Jahre, bis das mit einem Aufwand von 600 000 Mark vorzüglich ausgestattete Maschinenlaboratorium in Stuttgart-Berg fertiggestellt werden konnte. 1884 hatte Bach den Betrieb in einer auf viele Räumlichkeiten des Hauptgebäudes der Hochschule verteilten Materialprüfungsanstalt aufgenommen. Als Bach einen Arbeiter zur Unterstützung beantragt, kommt der württembergische Finanzminister persönlich, um sich zu überzeugen, ob dies auch wirklich notwendig ist.

Die Situation ändert sich bald in doppelter Hinsicht: zum einen erreichen Bach binnen kurzer Zeit drei Rufe an renommierte Hochschulen, zum andern kann sich die junge MPA aus Gebühreneinnahmen mehr und mehr selbst finanzieren.

 

Verantwortung
Sie werden sich erinnern, daß Bachs „Maschinenelemente" 1880 in erster Auflage erschien; 1907 hatte Bach bereits die zehnte fertiggestellt. In jeder Auflage kommt er im Vorwort auch auf gesellschaftspolitische Themen zu sprechen und auf die Verantwortung des Ingenieurs für seine Mitarbeiter, für die Güte seiner Arbeit und der ihm anvertrauten Produkte. Ein Skriptum ist uns nicht überliefert, doch kann man Kernstücke aus den Vorworten zu den 13 Auflagen seines Maschinenelemente-Lehrbuches entnehmen, so etwa zur Arbeiterfrage:

„daß es Pflicht eines jeden gebildeten Deutschen, insbesondere aber für den Ingenieur ist, daß er auch innerlich die richtige Stellung zu seinen Mitmenschen, insbesondere zu den Arbeitern gewinnt; die Gesinnung ist das Maßgebende. Der Untergebene hat hierfür ein feines Gefühl". Oder: „Der Ingenieur muß dem Arbeiter in jeder Hinsicht ein Vorbild sein". Oder: „Daher die betrübende Erscheinung, daß viele Tausende von Ingenieuren außerhalb der Werkstätten und der Arbeitsplätze fast vollständig ohne Fühlung mit den Arbeitern sind".

 

Forschung
Die Dimensionierung von Bauteilen, die im Betrieb einer nicht rein statischen Beanspruchung unterliegen, war im 19. Jahrhundert auf Grund von Schäden als Problem erkannt worden. Ferdinand Redtenbacher hatte zur Lösung dieses Problems Mitte des Jahrhunderts die sogenannten Verhältniszahlen eingeführt: „Wenn Massenwirkungen ins Spiel kommen, braucht man nur gleich von vorneherein die Zapfen und Wellen hinreichend stark, z.B. um ein Drittel oder um die Hälfte stärker als gewöhnlich zu nehmen und dann werden auch alle anderen Dimensionen, wenn man dieselben mit den Verhältniszahlen bestimmt, hinreichend stark.“

Bach brachte dagegen die Festigkeitsberechnung von Bauteilen mit der Einführung seiner Größtdehnungshypothese für mehrachsiale Beanspruchung voran, nach der ein Werkstoff versagt, wenn die größte Dehnung den für ihn charakteristischen Grenzwert überschreitet. Mit dieser Versagensbedingung für plastische Verformung bei mehraxialem Spannungszustand stand ein neuer Ansatz zur Verfügung.

Bach gebührt weiter das Verdienst, die von August Wöhler in Dauerschwingversuchen an Stählen ermittelten Schwingfestigkeitswerte in Bezeihung zur Festigkeit bei statischer Beanspruchung zu setzen. Hatte Bach dieses Anstrengungsverhältnis gewissermaßen in einer „sweeping generalization“ auf 3:2:1 festgesetzt, so verwahrte er sich dagegen, es schematisch anzuwenden. Bachs Wissenschaftsverständnis erwies sich auch in diesem Fall als ein sehr pragmatisches.

Pragmatisch geht er auch bei der Bemessung von Bauteilen vor, wenn entweder die Rechnung versagt oder die Grenzbedingungen nicht genau erfaßt werden können, um eine exakte Berechnung durchzuführen. Seine Methode besteht in solchen Fällen darin, aus dem Versuch Korrekturfaktoren zu ermitteln.

 

Schüler
Carl Bach hat eine stattliche Zahl bedeutender Schüler herangebildet. Einer der bedeutendsten und gleichwohl am wenigsten bekannten Schüler von Bach ist Franz Lappe. An erster Stelle steht er ohne Frage, wenn man seine technischen Pionierleistungen als Maßstab nimmt. Ich spreche von seinen mit der Entwicklung der chemischen Hochdrucktechnik verküpften Arbeiten.

Mit dieser damals noch unbekannten Technik wurde die großtechnische Erzeugung von Ammoniak aus den Elementen Stickstoff und Wasserstoff möglich. Mehr als 95 Prozent der Welterzeugung an Ammoniak werden heute nach dem bei der BASF zwischen 1909 und 1913 entwickelten Verfahren hergestellt, an dessen Verwirklichung Franz Lappe entscheidenden Anteil hatte.

 

Internationale Anerkennung
Was wissenschaftliche und technisch-wissenschaftliche Gesellschaften, Verbände, Vereinigun-gen, technische Regeln setzende und überwachende Institutionen, Hochschulen und der große Kreis seiner Schüler Carl von Bach verdankten, kam bei seiner Beerdigung und in vielen Nachrufen zum Ausdruck. Die Universität Stuttgart zählt ihn zu jenen, die das Ansehen der Hochschule auch international mehrten.

 

(Der Text ist eine gekürzte Fassung des bei der Akademischen Feier gehaltenen Vortrages. Auslassungen wurden aus Gründen leichterer Lesbarkeit nicht kenntlich gemacht./ Die Red.)

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998