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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Eberhard Jäckel emeritiert:
Der Historiker und die Gesellschaft
 

„Der Historiker und die Gesellschaft“ - Charakteristischer hätte das Thema des Kolloquiums zur Emeritierung Eberhard Jäckels nicht sein können! Rektor Prof. Dr.-Ing. Günter Pritschow und Prof. Dr. Franz Quarthal, Geschäftsführender Direktor des Historischen Instituts, eröffneten mit zahlreichen Lobesworten die Veranstaltung am 11. Juli 1997 im Hörsaal 17.01 vor mehreren hundert Gästen. Gastprofessuren in Chandigarh (Indien), Oxford und Tel Aviv deuten auf das hohe internationale Ansehen Jäckels hin, der seit 1967 an der Universität Stuttgart als Nachfolger von Golo Mann Neuere Geschichte lehrte.

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Aus Jäckels Forschungsschwerpunkt Nationalsozialismus gingen zahlreiche Publikationen hervor, wie beispielsweise „Hitlers Weltanschauung“ im Jahre 1967 und „Hitlers Herrschaft“ im Jahre 1986. Jäckel etablierte sich jedoch nicht nur innerhalb der Wissenschaft, sondern trug Ergebnisse historischer Forschung in eine breite Öffentlichkeit. Beispielhaft dafür steht die Fernsehdokumentation über den Holocaust „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ , die er 1990 gemeinsam mit Lea Rosh realisierte.

Eberhard Jäckel

Von unterschiedlichen Standpunkten aus wurde in drei Vorträgen ein Spannungsfeld zwischen dem Historiker und der Gesellschaft aufgezeigt. Gegen das Vergessen mahnte Prof. Dr. Peter Glotz von der Universität Erfurt in seinem Vortrag über „Die Politik und das kulturelle Gedächtnis“. Insbesondere im Zusammenhang mit der Naziherrschaft sollen Holocaustdenkmäler als Schandmäler Sorge dafür tragen, immer wieder aufs neue zu erschrecken. Dies gelte noch viel mehr vor dem Hintergrund, daß die Deutschen seit 1989 wieder geschichtsfähig seien. „Hoffentlich ist unser kulturelles Gedächtnis nicht zu kurz“, betonte er.

Der Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Washington D.C., Prof. Dr. Detlef Junker, beleuchtete das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zur Öffentlichkeit in den USA. Junker, der seine Assistentenzeit bei Jäckel als „größten anzunehmenden Glücksfall“ bezeichnete, konstatierte eine starke Diskrepanz zwischen dem hohen Niveau der von Internationalität und globalem Horizont geprägten amerikanischen Geschichtswissenschaft und deren Wirkung auf die Öffentlichkeit. Dabei könne man sogar von „öffentlicher Irrelevanz“ sprechen. Durch den Abschied von der eurozentrischen Tradition haben die Historiker in den USA den sich dort veränderten Rahmenbedingungen schon längst Rechnung getragen. Die neue innere Globalisierung, der zunehmende Anteil von Amerikanern nichteuropäischen Ursprungs, stelle in Zukunft auch eine Herausforderung an das Geschichtsbewußtsein und die Öffentlichkeit dar.

Von der Verantwortung des Historikers innerhalb der Wissenschaft und als Zeitgenosse sprach der Münchner Althistoriker Prof. Dr. Christian Meier. Einerseits suche der Wissenschaftler die Öffentlichkeit in Veröffentlichungen, andererseits trete das Publikum von außen an ihn heran. Da dieser über Erkenntnismittel verfüge, müsse er gerade auch gegenüber der Öffentlichkeit Verantwortung übernehmen.

In seinem Schlußwort unterstrich Jäckel nochmals die Verpflichtung des Historikers gegenüber der Gesellschaft: dieser dürfe nicht in seinem Elfenbeinturm sitzen bleiben. Um die Ergebnisse historischer Forschung nach außen zu tragen, müsse er sich auch anderer Medien bedienen. Doch sei das Verhältnis des Historikers zur Gesellschaft nicht immer glücklich, da er sich dann den Verfahrensregeln der Politik oder der Medien unterwerfen müsse. Dort aber gebe es keine Fußnoten. Trotzdem bleibt der 68jährige bei seinem Standpunkt, eine Universität sei erst dann eine Universität, wenn sie nicht nur Universität sei. In diesem Zusammenhang erzählte Jäkkel die Anekdote, daß er vom Rektoramt der Universität nach der Ausstrahlung von „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ gemahnt worden sei, diese Nebentätigkeit anzumelden. Er habe die Universitätsverwaltung jedoch davon überzeugen können, wie er zur Erheiterung des Publikums ausführte, daß die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen vielmehr eine Haupt- als eine Nebentätigkeit darstelle. Niemand schreibe schließlich vor, Forschungsergebnisse ausschließlich in Fachzeitschriften zu publizieren, die außer den Kollegen niemand lese. Was die Zukunft anbe-lange, so schloß Jäckel, habe man ihm gesagt, daß Emeritus ein schöner Beruf sei. Nur die Ausbildung sei etwas zu lang.

Mit langanhaltendem und stehendem Applaus endete der offizielle Teil der Veranstaltung und gleichsam die Lehrverpflichtung eines großen Stuttgarter Historikers.

Katja Otto

Foto: Eppler


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