Home           Inhalt
balken.gif (998 Byte)
Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Geodäsie und Geoinformatik:
Stuttgarter Geodäten unter einem Dach
 

400 Besucher waren zum Festkolloquium „Geodäsie und Geoinformatik“ gekommen, zu dem die vier geodätischen Institute am 20. Juni eingeladen hatten. Anlaß war der Umzug in die neuen Räumlichkeiten in der Geschwister-Scholl-Straße 24. Bislang war das Institut für Anwendungen der Geodäsie im Bauwesen auf dem Vaihinger Campus angesiedelt, das Institut für Navigation, das Geodätische Institut und das Institut für Photogrammetrie in der Keplerstraße, mit kleineren Außenstellen in der Senefelder- sowie der Azenbergstraße.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Die Schwierigkeiten, eine gemeinsame Heimat für die Geodäsie zu finden, schilderte Rektor Prof. Dr.-Ing. Günter Pritschow. Nachdem der Plan für einen Neubau auf dem Vaihinger Campus aufgrund finanzieller Probleme in sehr weite Ferne gerückt war, habe sich mit der Anmietung des Siemens-Gebäudes die Möglichkeit eröffnet, alle vier Institute in der Stadtmitte zu arrondieren. Der Rektor wies auch auf die Namensänderung des bisherigen Studiengangs Vermessungswesen hin, der durch einen einstimmigen Senatsbeschluß kürzlich in „Geodäsie und Geoinformatik“ umbenannt wurde. Der neue Name soll nach außen transparenter machen, welch interessante Tätigkeitsfelder sich hinter dem traditionellen Begriff des Vermessungswesens verbergen.

Die Entwicklung in der amtlichen Vermessung in den letzten 30 Jahren skizzierte Alfred Hils, öffentlich bestellter Vermessungsingenieur und Chef eines Büros mit 85 Mitarbeitern; er warb eindrücklich - besonders unter dem Druck anstehender Stellenstreichungen gerade im öffentlichen Dienst - für eine Öffnung des traditionellen Vermessungswesens für neue Aufgabengebiete. Diese sieht er speziell in der Geoinformatik, d.h. der Erfassung, Speicherung, Verwaltung und Analyse raumbezogener Daten. Gerade mit der wachsenden Verfügbarkeit digitaler Daten werden die möglichen Anwendungsgebiete von Basisinformationssysteme bis zu Netz-, Umwelt- oder Gebäudeinformationssystemen immer vielfältiger. Er forderte zudem eine marktwirtschaftliche Verteilung der Aufgaben auf öffentlichen Dienst und Privatwirtschaft.

Wie eine solche Öffnung aussehen kann, verdeutlichte Prof. Manfred Hintzsche, Direktor des Stadtmessungsamts. Seine Behörde versteht sich als Servicestelle für Geoinformationen. Um diese Funktion auch für die breite Öffentlichkeit zu erfüllen, muß zunächst informiert werden, welche Art von Daten überhaupt angeboten werden. Diese reichen von der digitalen Stadtgrundkarte, über Klimakarten bis hin zu 3D-Stadtmodellen. Ein transparenter Vertriebsweg soll das Angebot verdeutlichen und die Zugänglichkeit der Daten erleichtern.

 

Rolle der Satellitentechnologie
Die vielfältigen Möglichkeiten zur Erfassung von Klimadaten beschrieb Prof. Christoph Reigber vom Geoforschungszentrum Potsdam zunächst in seinem Vortrag „Geodäsie und Klima“. Hier spielt die Satellitentechnologie eine herausragende Rolle: eine Vielzahl an Sensoren befindet sich im All; jeder ist speziell auf die Erfassung bestimmter Effekte ausgelegt. Diese erlauben dann, im Zusammenspiel mit vorgegebenen physikalischen und mathematischen Modellen, beispielsweise die Struktur der verschiedenen Atmosphärenschichten zu erfassen, Grundwasser zu detektieren oder auch Klimaveränderungen aufgrund Kontinentaldrift oder Gebirgsbildung zu messen.

Prof. Erik Grafarend, Studiendekan der Geodäsie und Direktor des Geodätischen Instituts, gab einen Überblick über die Forschungsaktivitäten der vier Institute. Hier wurde besonders deutlich, weshalb eine Umbenennung des Studiengangs sehr naheliegend, wenn nicht gar überfällig war. Das traditionelle Berufsbild des Vermessungsingenieurs wurde durch die rasanten Entwicklungen in den erdgebundenen und satellitengetragenen Informations- und Kommunikationstechnologien grundlegend erweitert. Heutzutage gehört zum Studium des Vermessungswesens selbstverständlich der Umgang mit dem Computer - etwa die Nutzung verschiedenster Softwaresysteme zur Informationsgewinnung, Speicherung und Verarbeitung. Einen weitaus größeren Teil nimmt die eigenständige Softwareentwicklung ein, d.h. eine Erweiterung der Möglichkeiten, welche die heute gängigen Computerprogramme anbieten. Wenn es etwa um die automatische Interpretation digitaler Bilder geht, so gilt es, den „Computer sehen zu lehren“. Im Bereich der Steuerung von Baumaschinen werden weitestgehend autonom arbeitende Systeme entwickelt und erprobt. Durch Entwicklungen in der Sensortechnik entstehen grundlegend neue Systeme, wie beispielsweise ein Distanzmeßgerät, das gleichzeitig die Entfernung und die Farbe des Objektes erfaßt. Aber auch traditionelle Aufgaben wie die Bestimmung der Erdfigur oder die Kartographie wurden durch die neuen Technologien revolutioniert und in ihrem Spektrum grundlegend erweitert.

Zur Zeit sind etwa 200 Studierende in diesem Studiengang eingeschrieben. Daneben bieten die vier Institute auch Vorlesungen und Vertiefungsrichtungen für Bauingenieure, Architekten, Geographen und Informatiker an.

Einen musikalischen Leckerbissen kündigte Prof. Grafarend zum Abschluß des Kolloquiums an: er hatte Prof. Pritschow dafür gewinnen können, mit sechs weiteren Musikern eine kleine Jazz-Session aufzuführen.

M. Sester

 

KONTAKT
Institut für Photogrammetrie, Geschwister-Scholl-Str. 24, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3386,-3384; Fax 0711/121-3287

 


last change: 09.06.98 / eng
Pressestelle der Universität Stuttgart 1998