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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Institut für Industrielle Genetik:
Bessere Ausbeute mit weniger Genen
 

Wenn auf der Bonbontüte „Isomalt®“ oder „Palatinit®“ als Inhaltsstoffe aufgeführt sind, haben bei der Bonbonproduktion Bakterien mitgewirkt. Sie wandeln Rohrzucker zu dem Zuckerersatzstoff Isomaltulose um, der weniger Kalorien hat als Rohrzucker und zudem keine Kariesbildung verursacht. Nur war bisher bei der industriellen Herstellung des Zukkerersatzstoffes die Ausbeute noch nicht ganz zufriedenstellend. Seit aber Wissenschaftler vom Institut für Industrielle Genetik die Bakterien um ein paar Gene erleichtert haben, geht es mit der Ausbeute bergauf.

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Wer gern süße Speisen ißt, kennt das schlechte Gewissen, das vielen Naschern schlägt, wenn sie an die schlanke Linie und die drohenden Löcher in den Zähnen denken. Aber die Genießer sind ja nicht auf den herkömmlichen Zucker angewiesen. Auch leicht veränderte Zuckermoleküle, sogenannte Zuckerersatzstoffe, schmecken auf der Zunge süß. Sie sind aber im menschlichen Darm schlecht abbaubar und machen deshalb nicht so dick. Und die Bakterien im Mund können die Zuckerersatzstoffe nicht umsetzen, weshalb keine Säure entsteht, die die Zähne angreifen könnte.

 

Markt für Zuckerersatzstoffe
Den Markt für die Zuckerersatzstoffe, die in Hustenbonbons, Schokoriegeln und vielen anderen Leckereien stekken, hat die Zuckerindustrie schon vor mehr als zehn Jahren entdeckt. Bei der industriellen Umwandlung von Rohrzucker (Saccharose) zum Zuckerersatzstoff Isomaltulose hilft ein aus dem Boden isoliertes Bakterium. Es hört auf den klangvollen Namen Protaminobacter rubrum und kommt in der Natur überall da vor, wo süße Früchte verderben und Rohrzucker frei wird.

Aber die Techniker waren nicht ganz zufrieden mit ihren winzigen Mitarbeitern. Die Bakterien setzten den Rohrzucker nicht vollständig, sondern nur zu 80 bis 85 Prozent zu Isomaltulose um. Es schien so, als ob sie vom Rohrzucker naschten, statt ihn zum Ersatzstoff zu verarbeiten.

 

Prinzip „Eichhörnchen“
Auf der Suche nach Möglichkeiten, die Isomaltulose-Ausbeute zu verbessern, haben Prof. Ralf Mattes und seine Mitarbeiter vor fünf Jahren begonnen, Protaminobacter rubrum und seine Zuckerumsetzung zu untersuchen. Dabei haben sie auch entdeckt, daß sich das Bakterium auf geschickte Weise Nahrungsreserven sichert. „Protaminobacter geht nach dem Prinzip Eichhörnchen vor“, sagt Mattes über das taktische Vorgehen der Mikroorganismen.Protaminobacter rubrum besitzt wie viele andere Bakterien ein Besteck aus Enzymen, mit dem es Rohrzucker direkt für seine Ernährung nutzt. Sobald aber Rohrzucker knapp wird, schafft es sich mit dem Enzym Saccharose-Mutase seine Vorräte auf die Seite. Dieses Enzym macht das Bakterium so interessant, denn es wandelt Rohrzucker in Isomaltulose um. Die wiederum ist für seine Nahrungskonkurrenten ungenießbar, weil ihnen das passende Enzymbesteck fehlt. Daher verzehrt in der Natur Protaminobacter seine Reserven völlig ungestört.

Den ersten Ansatzpunkt, der eine höhere Ausbeute bei der Isomaltuloseherstellung versprach, haben die Forscher aus der Beobachtung der natürlichen Vorgänge abgeleitet. Um dem Bakterium das Naschen abzugewöhnen, haben die Wissenschaftler durch gentechnische Methoden Gene entfernt, die die Erbinformation für die Nutzung des Rohrzuckers enthielten. Die veränderten Protamin-obacter-Bakterien haben nur noch das Gen mit der Information für die Saccharose-Mutase. Dieses Enzym, das sie in der Natur nur bei Saccharosemangel herstellen, produzieren sie nun pausenlos in großen Mengen.

 

Neues Saccharose-Mutase-Gen
Der neue Bakterienstamm ist ohne Probleme im Lebensmittelbereich einsetzbar, denn trotz der Manipulation am Erbmaterial zählen die Bakterien nicht zu den „gentechnisch veränderten Organismen“. Weil ihnen lediglich ein Stück ihrer ursprünglichen Erbmasse fehlt, gelten sie als unbedenkliche Mangelmutanten.

Zur Zeit sind Mattes und seine Mitarbeiter auf dem Weg, ein in der Zuckerindustrie noch erfolgreicheres Haustierchen zu entwerfen. Denn die angestrebten 100 Prozent Ausbeute bei der Isomaltuloseproduktion sind allein durch das Entfernen der Gene noch nicht erreicht. Als nächster Kandidat für Verbesserungen ist das Enzym Saccharose-Mutase selbst an der Reihe. Das natürliche Enzym macht beim Umbau des Rohrzuckers gelegentlich Fehler, die die Ausbeute senken. Die Genetiker suchen jetzt nach den Bereichen im Gen, in denen die Information für die fehlerhafte Saccharose-Umsetzung liegt. Wenn ihnen das gelingt, wollen sie im Laufe der nächsten Jahre ins Erbmaterial von Protaminobacter rubrum eingreifen und ein neues Saccharose-Mutase-Gen herstellen, mit dem keine Nebenprodukte mehr entstehen.

Sollten die maßgeschneiderten Bakterien dann zur Kategorie der gentechnisch veränderten Organismen zählen, müssen sie umfangreiche Tests durchlaufen, bevor man sie im Lebensmittelbereich einsetzen darf.      /op

 

KONTAKT
Prof. Dr. Ralf Mattes, Institut für Industrielle Genetik, Allmandring 31, 70569 Stuttgart; Tel. 0711/685-6971, -6972; Fax 0711/685-6973

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998