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Interdisziplinäre Tagung „Fälschungen – literarisch/medial"   >>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Von Ossian zur Virtual Reality

Fälschungen in Literatur und Medien waren das Thema einer interdisziplinären Tagung des Instituts für Literaturwissenschaft und des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Uni (IZKT). Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung unter der Leitung von Dr. Barbara Potthast, Abteilung für Neuere deutsche Literatur gingen Literatur-, Medien-, Kommunikations- und Filmwissenschaftler aus Deutschland und Österreich dieser Frage nach. Die Problematik ist aktuell, denn Fälschungen können im digitalen Zeitalter so perfekt produziert werden, wie nie zuvor.

Gemaede Fälschungen werden heute dank der digitalen Techniken zur Foto-, Video- und Textbearbeitung immer perfekter. Fast grenzenlos ist die Vielfalt an Simulations-, Reproduktions- und Fälschungsmöglichkeiten von Filmen, Bildern, Texten und Wirklichkeiten. In den Medien ist die Erfindung von der Wahrheit, die virtuelle von der echten Wirklichkeit unter Umständen kaum noch zu unterscheiden. Und die massenmediale Konstruktion von Realität bestimmt zunehmend das, was in der Gesellschaft als authentisch betrachtet und als real wahrgenommen wird. In der Dichtung dagegen sind, so scheint es, Fälschungen erlaubt – schließlich werden hier Fiktionen und Phantasien verarbeitet. Fälschungen in der Literatur sind mit dem Autor verbunden; bei einer literarischen Fälschung schreibt ein Autor seinen Text einem anderen Autor zu. So waren die Texte des mittelalterlichen Barden Ossian im 18. Jahrhundert wegen ihres altertümlichen Stils Kult. In Wahrheit stammten die Dichtungen von dem Hauslehrer James Macpherson (1736-1796). „Auf die Frage, was wahr, was echt ist, geben Wissenschaft, Religion und Kunst Antworten“, führt Barbara Potthast aus. Fälschungen dienten dazu, Wahrheiten, Gewissheiten, Denktraditionen zu hinterfragen, aber sie erfüllten ihre Funktion erst dann, wenn sie als Fälschungen offenbar würden. Weil Fälschungen zeigen, was zu einer bestimmten Zeit als wahr, echt und authentisch erwünscht wird, legen sie ihren Finger in die Wunden der Kultur und des Wissens einer Gesellschaft.
Von wegen gälische Mythologie…in Wahrheit stammen die Gesänge des Ossian aus der Feder eines Hauslehrers. (Foto: Directmedia Publishing)

Forschungsparadigma im Wandel
Lange Zeit wurden Fälschungen lediglich als moralisch oder kriminalistisch interessante Objekte der Forschung betrachtet. Seit wenigen Jahren erst wird die einzelne Fälschung interdisziplinär und vor ihrem zeithistorischen Hintergrund analysiert. Barbara Potthast bezeichnet dies als „immens wichtig“, denn jede Fälschung bringt verborgene Vorstellungen, Lebenswelten und Diskurse ans Licht und zeigt Bedürfnisse einer Gesellschaft. „Wenn diese Bedürfnisse sehr stark sind, ist die Neigung, die Fälschung als echt anzusehen, so groß, dass sie nicht entlarvt wird. Das ist eine historische Konstante“, stellt Potthast fest und illustriert dies am Beispiel des Klarinettenlehrers Binjamin Wilkomirski. Geboren als Bruno Dösseker, beschloss er, eine fiktive Identität anzunehmen und in die Rolle eines Holocaust-Opfers zu schlüpfen. Seine gefälschte Autobiographie „Bruchstücke" war in den 1990er Jahren ein Bestseller und Wilkomirski ein Medienliebling - bis der Autor Daniel Ganzfried schließlich die Identität öffentlich anzweifelte und Dösseker aufflog.

Literatur und Medien mit Gemeinsamkeiten
Die interdisziplinäre Erforschung von Fälschungen birgt das Problem, dass sich bei allen Gemeinsamkeiten deren Begriff und Funktion von System zu System unterscheiden: Während in der bildenden Kunst, die ja auch mit Medien arbeitet, die Differenz von echt und falsch zunehmend an Bedeutung verliert, hält die Welt der Literatur weiterhin am Autor als Urheber des Originals fest. Dennoch sprechen, das hat die Tagung gezeigt, die Gemeinsamkeiten von Literatur und Medien für eine interdisziplinäre Diskussion. Beide arbeiten mit Fiktionen und ästhetischen Verfahren, und beide konstruieren virtuelle Realitäten und Authentisches nach je eigenen Regeln. Sabine Dettling

 

KONTAKT
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Dr. Barbara Potthast
Institut für Literaturwissenschaft
Tel. 0711/685-83070
e-mail: barbara.potthast@ilw.uni-stuttgart.de