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Hegelpreisträger Michael Tomasello beim Forschungsverbund Sprache und Kognition  >>>>>>>>>>>>>

Warum der Mensch eine komplexe Grammatik braucht - und der Affe nicht…

Kleine Unterschiede machen oft die große Verschiedenheit. So das Fazit eines Gastvortrags zu den Ursprüngen von Kommunikation und Grammatik, den der Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, Prof. Michael Tomasello, am 16. Dezember 2009 im Rahmen des Forschungsverbunds Sprache und Kognition (FSK) der Universität Stuttgart hielt. Im Anschluss an die Veranstaltung im voll besetzten Tiefenhörsaal 17.01 nahm Tomasello, im Rathaus den Hegelpreis der Stadt Stuttgart entgegen, begleitet von einer Laudatio durch Jürgen Habermas.

Tomasello, vom Studium her Psychologe, beschäftigt sich mit den Unterschieden von Mensch und Tier, um dem Entstehen der menschlichen Kultur auf die Spur zu kommen. Mit diesem Ansatz der „evolutionären Anthropologie“ fügt sich der international anerkannte amerikanische Wissenschaftler perfekt in den interdisziplinären Rahmen des vor einem Jahr gegründeten FSK ein, den Prof. Klaus von Heusinger zum Auftakt exemplarisch anhand vier sehr unterschiedlicher Projekten vorstellte. Um zu erklären, wozu der Mensch eine komplexe Grammatik braucht, setzt Tomasello bei unseren nächsten Verwandten, den Primaten an. Die unterscheiden sich von kleinen Kindern in punkto Kommunikation in einem wesentlichen Punkt: Primaten kommunizieren mit Gesten und Lauten, um Wünsche zu äußern und damit eine Handlung anzustoßen, also wenn sie zum Beispiel um Futter bitten oder eine „Lausung“ einfordern. „Selbst wenn man einem Affen beibringt ‚Ball gut’ zu sagen, wäre das also auffordernd gemeint“, erklärte Tomasello. Das Menschenkind dagegen strebt darüber hinaus nach einem weitreichenden anderen Aspekt: es möchte mit anderen teilen - sich mitteilen. Der Anthropologe belegte dies mit Videoaufnahmen seiner Experimente: „Wenn Kinder auf etwas zeigen, möchten sie oft einfach auf eine Außergewöhnlichkeit hinweisen und dieses Gefühl mit anderen Menschen teilen. Oder sie wollen jemandem helfen, etwas zu finden.“ Dieses Bedürfnis zeigt sich auch beim Aushandeln sprachlicher Konventionen: Oft ist zum Beispiel nicht ganz klar, ob ein Objekt ein Baum oder ein Busch ist. „Hat man sich im Gespräch mit dem Kind aber einmal auf einen Begriff geeinigt, erlaubt es keine Abweichung mehr, da Sprecher und Hörer dieses Wissen nun teilen“, erklärte Tomasello. Die Unterscheidung in neue und alte Information zeigt sich auch beim Spielen mit einem Gegenstand: Kommt eine neue Person hinzu, wird das Kind ihm diesen präsentieren. Fragt aber ein bisheriger Mitspieler „Was ist denn das?“, so wird das Kind nach einem neuen Aspekt an dem Spielzeug suchen - irgendetwas muss sich ja verändert haben, wenn man so überrascht über etwas spricht, das man schon kennt.

Prof. Tomasello mit Kindern

In der Sprache kann sich diese Unterscheidung neuer und alter Information zum Beispiel in der Verwendung von bestimmten oder unbestimmten Artikeln widerspiegeln: Einen neu eingeführten Gesprächsaspekt würde man eher mit einem unbestimmten Artikel wie in „Ein Mann kam um die Ecke“ bezeichnen. Im nächsten Satz könnte man dann mit „Der Mann hatte einen Hut auf“ fortfahren. Unterscheidungen wie diese sind Thema des „opus magnum“-Forschungsstipendiums von Prof. Heusinger.*)

Die Entwicklung einer komplexen Grammatik sieht Tomasello in genau diesem Bedürfnis des Teilens mit anderen Menschen begründet. Denn um die damit verbundenen Unterscheidungen in der Sprache zu machen, braucht man Mittel, um zeitlich Vergangenes anzuzeigen, neue von gegebener Information und Handelnde von Aktionen zu unterscheiden. Ebenso sind verschiedene Satztypen nötig, um sich so auszutauschen, zum Beispiel die reine Information, eine Aufforderung oder eine Frage. Regine Brandtner

 

„Wenn Kinder auf etwas Außergewöhnliches stoßen, möchten sie es mit anderen teilen”, beobachtete der Anthropologe Michael Tomasello bei seinen Experimenten. (Abbildung: Stadt Stuttgart)

*) Über das „opus magnum“ berichtete der unikurier in Ausgabe 1/2009

KONTAKT
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Prof. Klaus von Heusinger
Institut für Linguistik/Germanistik
Tel. 0711/685-83140/39
e-mail: klaus.vonheusinger@ling.uni-stuttgart.de
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