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Neuer SFB: Tropfendynamische Prozesse unter extremen Umgebungsbedingungen >>>>>>>>>>>>

Von Regenwolken bis Raketen

Was haben eine Regenwolke und die Kraftstoffeinspritzung in einem Fahrzeugmotor gemeinsam? Beide bestehen aus Milliarden mehr oder weniger kleiner Tropfen. Wie sich diese Tropfen verhalten, wenn sie zum Beispiel hohem Druck, extremen Temperaturen oder elektrostatischer Aufladung ausgesetzt sind, ist für Wetterprognosen ebenso bedeutsam wie für die effiziente Arbeit vieler technischer Systeme. Zum ersten Januar startete ein neuer transregionaler Sonderforschungsbereich (SFB TRR 75) unter der Federführung der Uni Stuttgart, der solche tropfendynamische Prozesse unter Extrembedingungen untersucht.

Visualisierung eines Flüssigkeitsstrahls Tropfen verhalten sich unter extremen Umgebungsbedingungen ganz unterschiedlich: Sie können sich beispielsweise verformen oder zerfallen, zu Dampf kondensieren, von einer Oberfläche ablaufen oder unverändert in ihrer Position bleiben. Und dies sind nur einige Möglichkeiten. Das Wissen darüber, was im konkreten Fall passiert, ist entscheidend für die Voraussage von Vorgängen in der Natur sowie für die Optimierung technischer Systeme.
Visualisierung eines Flüssigkeitsstrahls.
Dies umso mehr, weil viele tropfendynamische Prozesse in der Technik bereits angewandt werden, obwohl es noch große Lücken im grundlegenden Verständnis gibt. Genau hier setzt der Transregio an. Die Wissenschaftler wollen ein vertieftes physikalisches Verständnis der wesentlichen Vorgänge gewinnen. Darauf basierend sollen Wege zur analytischen und numerischen Beschreibung aufgezeigt und umgesetzt werden.
Die Erkenntnisse sollen im Laufe der Förderperiode exemplarisch auf fünf ausgewählte Systeme als „Leitbeispiele“ angewendet werden: So werden die Wissenschaftler das Verhalten unterkühlter und potenziell elektrisch geladener Tropfen in Wolken untersuchen, was für die Vorhersage von Niederschlägen von entscheidender Bedeutung ist. Ein zweiter Bereich ist der Aufprall unterkühlter Tropfen auf Flugzeugbauteile. Dabei kommt es zur Bildung von Eisschichten, die die Flugeigenschaften stark beeinträchtigen und sogar zum Absturz eines Flugzeugs führen können. Das Verhalten stark geladener Tropfen auf Isolatoroberflächen an Hochspannungsleitungen ist ein weiteres Themenfeld. Hier beeinflussen Tropfen die Güte und die Lebensdauer dieser Isolatoren, wobei die von den Tropfenrändern ausgehende elektrische Teilentladung eine maßgebliche Rolle spielt. Tropfen1 Tropfen2 Tropfen3
Simulation des schrägen Aufpralls eines Tropfens auf eine mit Flüssigkeit benetzte Wand im Zeitablauf. (Fotos: Institute)

Am Beispiel von Raketenbrennkammern wird untersucht, wie sich Tropfen bei verschiedenen Vorgängen unter extremen Bedingungen verhalten. Dazu gehören das Einspritzen von Treibstoff an oder oberhalb bestimmter kritischer Grenzwerte für Druck und Temperatur sowie das aufgrund der Überhitzung des Treibstoffs auftretende sogenannte „Flash Boiling“, eine sprunghafte Verdampfung. Und last but not least untersucht der SFB Kraftstoffsprays für zukünftige Verbrennungssysteme, bei denen mit steigenden Druckverhältnissen zu rechnen ist.

Die wissenschaftliche Kernthematik des Transregios liegt dabei in der skalenübergreifenden Modellierung und Beschreibung der Prozesse. Skalenübergreifend bedeutet, dass sich die Größenskala der beschriebenen Vorgänge vom Nanometerbereich beim Wachstum von Eiskristallen bis hin zu mehreren Kilometern bei ganzen Wolken bewegt. Entsprechend verändern sich auch die charakteristischen Beobachtungszeiten in einem sehr großen Bereich.

75 Wissenschaftler in 14 Teilprojekten
Um all dies umzusetzen, haben sich in dem neuen Sonderforschungsbereich 75 Wissenschaftler aus den Fachrichtungen Mathematik, Physik, Chemie, Informatik sowie aus den Ingenieurwissenschaften zusammengetan. Beteiligt sind neben der Uni Stuttgart die Technische Universität Darmstadt sowie das deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sprecher ist Prof. Bernhard Weigand vom Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt (ITLR) der Uni Stuttgart. Bearbeitet werden zunächst 14 Teilprojekte, die sich mit den methodischen Grundlagen, mit frei schwebenden Tropfen und mit Tropfen an Oberflächen befassen.
Seitens der Universität Stuttgart sind vier Institute an dem SFB TRR beteiligt. So entwickelt das Visualisierungsinstitut (VISUS) unter der Leitung von Prof. Thomas Ertl Algorithmen und Methoden, die eine interaktive Visualisierung großer zeitabhängiger Daten aus Simulationen von tropfendynamischen Prozessen erlauben. Damit können experimentelle Methoden nachgebildet und sichtbar gemacht werden, was einen direkten Vergleich von Simulations- und Messergebnissen ermöglicht. Die große Datenmenge erfordert die intelligente Reduktion dieser Daten sowie den Einsatz parallelisierter Methoden auf Hochleistungscomputern. Am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) beschäftigt sich die Gruppe von Prof. Claus-Dieter Munz mit der numerischen Modellierung von Mehrphasenströmungen. Unter anderem entwickeln die Wissenschaftler das innerhalb des Transregio verwendete Programmpaket „Free Surface 3D“ (FS3D) so weiter, dass es für die Betrachtung von so genannten kompressiblen Strömungen unter Extrembedingungen eingesetzt werden kann. Prof. Christian Rohde und sein Team am Institut für Angewandte Analysis und Numerische Simulation (IANS) werden die mathematische Seite der Grenzflächendynamik und ihrer Modellierung analysieren.

Spraywolke Am ITLR schließlich nehmen Prof. Weigand, Dr. Grazia Lamanna und Dr. Norbert Roth zum einen die physikalischen Vorgänge in Wolken ins Visier. Dabei spielt das Verdampfungs- und das Gefrierverhalten von unterkühlten Tropfen eine entscheidende Rolle. In einem zweiten Teilprojekt befasst sich die Gruppe mit der Untersuchung von Tropfen und Sprays im sub-, trans- und überkritischen Bereich, also jenem Grenzbereich, in denen die Trennlinien zwischen Flüssigkeit und Gas verwischen.
Schlierenaufnahmen eines vorgeheizten Kraftstoffsprays unter motorischen Bedingungen. (Fotot: ITLR)

Hierzu wird die Injektion von Tropfenketten und Sprays in besonderen Prüfständen, so zum Beispiel in Hochdruckkammern oder Stoßrohren unter extremen Umgebungsbedingungen, untersucht. Die maßgeblichen Vorgänge werden dabei millimetergenau und in Sekundenbruchteilen erfasst.

Darüber hinaus arbeit der Transregio mit dem Exzellenzcluster Simulation Technology (Simtech) zusammen. So soll bei der Weiterbildung der beteiligten Wissenschaftler kooperiert werden, Workshops sollen stets für Teilnehmer aus beiden Bereichen zugänglich sein. Jan Schlottke/amg

 

 

KONTAKT
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Prof. Bernhard Weigand/Jan Schlottke
Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt
Tel. 0711/685-62318
e-mail: sfbtrr75@itlr.uni-stuttgart.de
>>>> http://www.sfbtrr75.de