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Ganzheitliche Bewertung von Politikmaßnahmen   >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Gesundheits-Check für Umweltgesetze

Viele Umweltgesetze zielen darauf ab, die Schadstoffemissionen zum Beispiel aus Haushalten, Industrie, Fahrzeugen und der Energiebereitstellung zu verringern. In wie weit die oft teuren Auflagen jedoch tatsächlich der Gesundheit der Menschen dienen, ist gar nicht so leicht abzuschätzen. Das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Uni entwickelt im Rahmen der EU-Projekte „Intarese“ (Integrated Assessment of Health Risks of Environmental Stressors in Europe) und „Heimtsa“ (Health and Environment Integrated Methodology and Toolbox for Scenario Assessment) einen Werkzeugkasten, mit dem die gesundheitlichen Folgen von Umweltschadstoffen transparent gemacht und bewertet werden können.

Beispiel Feinstaub: Wenn zur Umsetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinie Rußpartikelfilter zur Pflicht werden oder Kommunen Umweltzonen einrichten, darf man annehmen, dass der Ausstoß von gesundheitsschädigenden Stoffen mittelfristig sinkt. In wieweit jedoch die Feinstaubkonzentration in der Atemluft geringer wird, ist damit noch nicht gesagt. Denn diese wird auch von der Chemie der Luft und von so genannten Langstreckentransporten beeinflusst. Wie viele Hustentage oder Asthmaanfälle durch die Maßnahmen vermieden werden, steht auf einem anderen Blatt.

Hausbrand über Wohngebiet Zusätzlich komplex wird das Ganze, weil Schadstoffe – das gilt für Feinstaub ebenso wie für Schwermetalle, Ozon oder andere Substanzen – nicht nur unmittelbar auf den menschlichen Organismus wirken. Sie belasten auch Feldfrüchte, versauern Böden, schädigen durch Nährstoffanreicherungen die Seen und zerstören den Kalkstein von Kulturdenkmälern. Um zu bewerten, was eine Umweltmaßnahme bringt, müssen all diese Faktoren ganzheitlich analysiert werden.
Genau hier setzen die Wissenschaftler der Abteilung Technikfolgenabschätzung und Umwelt am IER an. Unter dem Stichwort „Integrated Environmental Health Impact Assessment“ analysieren und bewerten sie die Auswirkungen von Politikmaßnahmen auf die menschliche Gesundheit und verdichten diese zu Szenarien. „Wir schauen, was passiert, wenn die Politik etwas macht und leiten daraus Empfehlungen für die EU-Gesetzgebung ab“, erklärt Alexandra Kuhn, die auf dem Gebiet Integrated Assessment Modelling mit dem Fokus Expositionsmodellierung promoviert.
Dabei wird zunächst ein Referenzszenario entwickelt, das die Entwicklung des Systems beschreibt, in dem die Maßnahme eingebettet ist. Auf dieser Basis werden Emissionsszenarien für zukünftige Jahre berechnet.
Nach den Berechnungen des IER kostet Feinstaub statistisch sechs Monate Lebenszeit. (Foto: Daniel Bleyenberg/pixelio)

Schadensfaktor Nummer eins im Bereich Luftqualität
Um die Auswirkungen der Schadstoffkonzentrationen auf die Gesundheit zu ermitteln, werden so genannte Expositionswirkungsbeziehungen angewendet. Bei Luftschadstoffen basieren diese auf Studien, in denen Epidemiologen die Feinstaubkonzentrationen in Städten sowie die dort auftretenden Gesundheitsschäden miteinander in Zusammenhang bringen. „Wenn man den epidemiologischen Studien Glauben schenken darf, weisen unsere Rechnungen im Fall Feinstaub auf einen statistischen Lebenszeitverlust von etwa sechs Monaten hin“, kommentiert Kuhn die alarmierenden Ergebnisse. Damit wäre Feinstaub für die menschliche Gesundheit der größte Schadensfaktor im Bereich der Luftqualität ist. Will man alternative Maßnahmenbündel gegeneinander abwägen, ist es erforderlich, die Gesundheitsschäden zu bewerten. Hier helfen zum einen „DALYs“. Das Kürzel bedeutet „disabiltiy adjusted life years“ und steht für ein Gewichtungsverfahren, das verschiedene Gesundheitsschäden aggregiert und vergleichbar macht. Ein DALY-Gewicht von 0 bedeutet vollkommen gesund, bei DALY 1 ist man tot. Weist man einem DALY einen monetären Wert zu, können die Schäden in Geld ausgedrückt werden. Da DALYs eine Gewichtung durch die Ärzte ausdrücken und nicht durch die Betroffenen selbst, arbeiten die Wissenschaftler alternativ mit Bewertungen, die im Rahmen von Befragungen gewonnen werden und sich auf einen bestimmten Endpunkt beziehen, also beispielsweise Hustentage, Asthmaanfälle oder Lebenszeitverlust.
Zur Berechnung der Schäden bedient man sich am IER eines Modells mit dem Namen EcoSense. Dabei werden jeweils zwei Szenarien miteinander verglichen: Ein Business-as-usual-Szenario, das den Zustand des Systems darstellt, wenn es sich ohne zusätzliche Maßnahmen bis zu dem bestimmten Zieljahr weiterentwickelt. Diesen Zustand vergleichen die Wissenschaftler mit dem Politikszenario, das die zu untersuchenden Maßnahmenbündel enthält. Der Unterschied hinsichtlich der Schäden wird den Maßnahmen als Nutzen (Benefit) zugeordnet. So können alle Auswirkungen und Effekte quantifiziert und die relevanten herausgefiltert werden.
Am Ende solcher Gesamtsichten stehen zunächst unvermutete Empfehlungen für die Politik. „In Deutschland zum Beispiel könnte zur Minderung der städtischen Hintergrundkonzentration von Feinstaub die Reduktion des Fleischkonsums eine geeignete Maßnahme sein. Ein solches Szenario führt darüber hinaus auch zur Reduktion von Treibhausgasen“, so Dr. Jochen Theloke, Leiter der Fachgruppe Luftreinhaltung. amg

 

KONTAKT
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Alexandra Kuhn
Institut für Energiewirtschaft und
Rationelle Energieanwendung
Tel. 0711/685-87838
e-mail: alexandra.kuhn@ier.uni-stuttgart.de
>>>> http://www.intarese.org
>>>> http://www.heimtsa.eu