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Günter Baumbach und Michael Schmidt im Gespräch > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

20 Jahre Arbeitsgruppe Luftreinhaltung

 

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Vor 20 Jahren wurde die Arbeitsgruppe Luftreinhaltung der Universität Stuttgart (ALS) gegründet. Seit dieser Zeit wird jährlich zu einem Kolloquium geladen, konzipiert als Forum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, das sich an Wissenschaftler, Vertreter von Behörden und Firmen, Studierende sowie an interessierte Bürger wendet. Das Jubiläumskolloquium am 10. Oktober 2007 zum Thema „Exposition und Schutz des Menschen vor Luftverunreinigungen“ informierte rund 100 Zuhörer über die Entwicklungen der Emissionsminderung in den Bereichen Verkehr, Industrie und Haushalte und über die Auswirkung auf die Entwicklung der Luftqualität in Baden-Württemberg. Julia Alber sprach für den unikurier mit dem Geschäftsführer und „Gründungsvater“der ALS Prof. Günter Baumbach vom Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen (IVD) und mit Prof. Michael Schmidt vom Institut für Gebäudeenergetik (IGE), der der ALS seit fünf Jahren als Sprecher vorsteht.

 

Können wir heute unbeschwerter durchatmen als noch vor 20 Jahren?

Prof. Schmidt:
Ich denke ja. Damals hat es in jeder Stadt in Deutschland noch eindeutig nach Schadstoffen gerochen, nach Autoabgasen zum Beispiel – das hielten wir für ganz normal. Allerdings reden wir über ein Thema, das uns kontinuierlich beschäftigen wird, wenngleich mit jeweils anderem Fokus.

 
 

Prof. Baumbach

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

ALS-Gründungsvater Prof. Günter Baumbach
                          (Foto: Privat)

Prof. Baumbach:
In der Luftreinhaltung ist es wie beim Umweltschutz überhaupt, es muss ein Ereignis geben, damit die Dinge in das Bewusstsein kommen und sich etwas tut. 1982, angestoßen durch einen Artikel im Spiegel über sauren Regen und das Waldsterben, wurden viele Messstationen auch in stadtfernen Gebieten aufgestellt. 1985 gab es die Smogalarme – auch Stuttgart hatte 1982 ein „Smögle". 50 Prozent des Schwefeldioxids kamen damals per Ferntransport von Kraftwerken und Heizungsanlagen aus dem Osten. Schon daran, dass es heute keine Smogalarme mehr gibt, können Sie erkennen: Unsere Luft ist deutlich besser geworden.

Im Zuge der Waldschäden reagierte die Automobilindustrie mit Katalysatoren – die Benzolkonzentration in den Städten ist seitdem kein Thema mehr. Dann wurden Dioxine und Furane in Verbrennungsanlagen entdeckt, es gab Bürgerinitiativen und in den Müllverbrennungsanlagen wurde die beste Technik eingebaut.

Schließlich haben die EU-Grenzwerte die von Deutschland überholt und ab 2005 kamen somit die Feinstäube und deren Grenzwertüberschreitung in den Verkehrsbereichen richtig ins Bewusstsein. Ich bin überzeugt, das hat die Einführung des Dieselpartikelfilters beschleunigt. Als Nächstes werden die Stickoxide kommen, denn auch da sind die Grenzwerte sehr niedrig, und aus den Dieselfahrzeugen kommt aufgrund der Oxidationskatalysatoren derzeit mehr Stickstoffdioxid heraus als früher. Das ist noch ein Problem.

Prof. Schmidt:
So ärgerlich manchmal vermeintlich plötzlich auftauchende neue Grenzwerte sind, unter dem Strich stellen wir fest, dass wir jedes Mal neue Impulse bekommen, auf die wir im Nachhinein nicht verzichten wollen.

Was ist eigentlich saubere Luft und wo können wir auf sie treffen?

Prof. Schmidt:
Im strengen Sinne gibt es für mich nur eine Sorte wirklich sauberer Luft – eine künstliche Mischung aus Stickstoff und Sauerstoff, die in der Wissenschaft zum Beispiel bei Geruchsuntersuchungen als Referenz verwendet wird. Mit natürlicher Luft hat die aber nichts zu tun.

Prof. Baumbach:
Wenn Sie in den Bergen über der Inversionsschicht sind, dann können Sie schon sagen, diese Luft ist okay. Und Sie können auch davon ausgehen, dass Luft vom Meer her relativ sauber ist.

Wo ist der Mensch heute noch am stärksten von Luftverunreinigungen betroffen?

Prof. Baumbach:
Betroffen sind wir derzeit hauptsächlich im Verkehrsbereich. Wenn täglich beispielsweise achtzigtausend Autos am Neckartor vorbeifahren, dann kommen da nicht nur die Abgase zusammen, sondern alles, was die Fahrzeuge aufwirbeln. Und dann sind da noch die Wohngebiete mit Holzfeuerungsanlagen – und den Feinstäuben.

 
 

Prof. Schmidt

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

ALS- Sprecher Prof. Micha-el Schmidt     (Foto: Eppler)

Prof. Schmidt:
Rund 23 Stunden am Tag halten wir uns in Innenräumen auf, dazu zählen auch solche auf vier Rädern. Die Konzentration der Schadstoffe in der Innenraumluft hängt letztlich davon ab, wie stark wir lüften. In den letzen Jahren haben wir die Häuser nun immer dichter gemacht, und so erreichen die Feinstäube etwa heute schnell Konzentrationen, die draußen gegen die Grenzwerte verstoßen würden. Eine hohe Luftfeuchtigkeit kann zu Schimmelbildung führen, als Sekundärfolge finden wir Schimmelpilzsporen in der Luft – und haben dann ein richtiges Problem. Konsequent zu Ende gedacht bräuchten wir Gebäude, die sich maschinell lüften, da die Stoffe, über die wir reden, zumeist geruchlos sind.

Wie kam es zur Gründung der ALS, der heute 21 Institute der Uni Stuttgart angehören?

Prof. Baumbach:
Angefangen hat alles, als das Waldsterben ein Thema war. Ich hatte schon Vorlesungen gehalten, wusste, dass verschiedene Uni-Institute Forschungsprojekte zur Luftreinhaltung bearbeiteten, und sagte mir, wir müssen uns zusammenschließen, Informationen austauschen und gemeinsame Projekte bearbeiten.

Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie Jahr für Jahr die Themen der ALS-Kolloquien ausgewählt?

Prof. Baumbach:
Techniken zur Luftreinhaltung spielen die Hauptrolle, aber auch Messtechniken gehören dazu und wir laden immer wieder Mediziner ein. Wir schauen, was ist aktuell, auf welchen Gebieten forschen die Institute. Gerne nehmen wir auch Themen wieder auf, um zu sehen, was sich getan hat. So zum Beispiel Verkehr und Luftreinhaltung, flüchtige organische Stoffe in Industrie und Gewerbe oder Arbeitsplatzthemen. Das heute hochaktuelle Thema Holzfeuerung in Wohngebieten haben wir frühzeitig aufgegriffen.

Autofreie Sonntage, eine Großstadt, in der für einen Tag der Verkehr ruht – hat das Einfluss auf unsere Luft?

Prof. Baumbach:
Wenn Inversion herrscht und eine austauscharme Wetterlage, dann bringt das schon etwas. Vor allem aber bringt es etwas im Bewusstsein der Menschen. Weit mehr als ein autofreier Sonntag leistet zur Reinigung der Stadtluft allerdings ein Sturm wie Lothar.

Prof. Schmidt:
Das Bewusstsein beeinflussen ist schon wichtig. Auf der anderen Seite wird aber fälschlicherweise immer der Eindruck erweckt, unser Luftreinhaltungsproblem sei einzig der Autoverkehr, was so nicht haltbar ist. Denken Sie nur an unsere Heizungen.

Was sehen Sie als die Herausforderungen der Zukunft?

Prof. Schmidt:
Wir stellen häufig fest, dass unsere Forderungen letztlich eine kontraproduktive Wirkung haben. So träumen wir etwa von der richtigen Reifensorte und dem Fahrbahnbelag, um den Bremsweg zu reduzieren. Ein kürzerer Bremsweg bedeutet aber mehr Abrieb …

Prof. Baumbach:
Die Frage der Zukunft ist, wie bringen wir den steigenden Energieumsatz, unseren steigenden Lebensstandard in Einklang mit sauberen Umweltbedingungen? Bei den Autoabgasen haben wir zwar schon viel erreicht, zugleich ist der Verkehr aber immer mehr geworden. Themen der Zukunft werden die Innenräume sein, die Biomassefeuerung, und auch die CO2-Minderung ist eine große Herausforderung. Global sind die Mega-Citys ein riesiges Problem. Und dann bleibt die Frage, was können wir gegen natürliche Verunreinigungen machen? Wie etwa bekommen wir die riesigen, von Waldbränden ausgehenden Luftverunreinigungen in den Griff?

Vielen Dank für das Gespräch – und viel Erfolg für die nächsten 20 Jahre.

 

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                      

Arbeitsgruppe Luftreinhaltung der Universität Stuttgart
Tel. 0711/685–63489
Fax 0711/685–63491
email: als@ivd.uni-stuttgart.de    
> > > www.ivd.uni-stuttgart.de/als/

   
 
 
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