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Vom Bose-Einstein Kondensat zur ersten ferrofluiden Supraflüssigkeit > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

Ultrakalter Quantensprung

 

Als es am 5. Physikalischen Institut im Jahr 2004 erstmals gelang, in einer optischen Atomfalle ein Bose-Einstein Kondensat aus Chrom-Atomen zu erzeugen, galt dies als Quantensprung für die Erforschung der Quantenmaterie. Die Entdeckung bahnte den Weg für einen transregionalen Sonderforschungsbereich sowie für zahlreiche Experimente und Publikationen.

Wenn Atome zu sehr tiefen Temperaturen gekühlt werden, tritt ihre Quantennatur in Erscheinung. Unterhalb einer kritischen Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt können sie von ihrem klassischen Charakter einzelner unterscheidbarer Teilchen zu einem kollektiven quantenmechanischen Wellenverhalten übergehen. Dieser Phasenübergang wird als Bose-Einstein Kondensation bezeichnet. Hierbei befinden sich alle Atome im selben Bewegungszustand und sind nicht unterscheidbar. Im Bose-Einstein Kondensat zeigen die Atome sehr ungewöhnliche Eigenschaften, die von der Stärke, der Symmetrie und der Reichweite der Wechselwirkungen zwischen den Atomen abhängen. Chrom-Atome zeichnen sich im Vergleich zu den bis dato verwendeten Alkali-Metallen durch ein sehr hohes magnetisches Moment aus, das zu einer starken magnetischen Wechselwirkung zwischen den Atomen führt. Die Wissenschaftler vermuteten daher, dass ein Chrom-Kondensat neue Eigenschaften zeigen könnte. Zudem erwies sich Chrom als besonders geeignet, um magnetische Wechselwirkungen zu untersuchen und ist ein technisch interessantes und viel verwendetes Material.

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer
 

Ein Bose Einstein Kondensat aus bis zu 100.000 Atomen faellt nach seiner Freilassung aus der optischen Falle ins Schwerefeld der Erde

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

Ein Bose Einstein Kondensat aus bis zu 100.000 Atomen fällt nach seiner Freilassung aus der optischen Falle ins Schwerefeld der Erde. Dabei ändert es seine Form aufgrund der Wechselwirkung zwischen den Atomen.                         (Grafik: 5. Physikalisches Institut)

   Die Beobachtung war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum transregionalen Sonderforschungsbereich SFB/TRR 21. In dem SFB mit dem Titel „Quantenkontrolle in maßgeschneiderter Materie: Gemeinsame Perspektiven von mesoskopischen Systemen und Quantengasen“ (Kurztitel Co.Co.Mat) arbeiten unter Federführung der Uni Stuttgart die Universitäten Stuttgart, Tübingen und Ulm sowie das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung zusammen. Die Wissenschaftler wollen die Geheimnisse der Quantenmaterie entschlüsseln und neue Zustände der Materie entdecken, die im „Niemandsland“ zwischen mesoskopischen Systemen (einem Arbeitsbereich der Festkörperphysik) und Quantengasen angesiedelt sind. „Wir wollen anhand der gemeinsamen physikalischen Fragestellungen das Verständnis von Quantenmaterie voranbringen, um die Voraussetzungen für die gezielte Anwendung von maßgeschneiderten Quantenmaterialien zu schaffen“, skizzierte der Sprecher des SFB, Prof. Tilman Pfau vom 5. Physikalischen Institut der Uni, damals das Ziel.

   Inzwischen ist man ein gutes Stück weiter, wie zahlreiche Publikationen in renommierten Fachzeitschriften wie Nature, Nature Physics oder Science dokumentieren. So gelang es am 5. Physikalischen Institut, ein bereits 1930 angewendetes Kühlschema, das Entmagnetisierungskühlen, erstmals experimentell zu realisieren. Die Gruppe um Prof. Pfau konnte die aus der Festkörperphysik stammende Technik, mit der ein Material ohne Verlust an Atomen bis knapp an den absoluten Nullpunkt gekühlt werden kann, erstmals auf atomare Gase anwenden. Dabei wurden eine Million Chromatome auf eine Temperatur von zehn Mikrokelvin abgekühlt, ohne dass es zu einem Verlust von Atomen gekommen wäre.

   Als weiteres Beispiel aus der Arbeit des SFB/TRR21 zeigte am 3. Physikalischen Institut die Gruppe um Prof. Jörg Wrachtrup gemeinsam mit Kollegen aus Harvard einen Weg, wie sich einzelne Elektronen oder deren magnetische Momente, ja sogar einzelne Kernspinmomente schalten lassen. Dies ist für künftige nanoelektrische oder nanomagnetische Bauelemente von Interesse. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Schaltung bei Diamant experimentell sehr einfach ist und unter Umgebungsbedingungen gelingt. Dies eröffnete nicht nur interessante Perspektiven für die Materialforschung, sondern gibt auch Zugang zu einzelnen Elektronen- und Kernspins, wofür bisher aufwändige Nanostrukturierungs- und experimentelle Techniken notwendig waren. Im Sommer gelang es am 5. Physikalischen Institut erstmals, eine Supraflüssigkeiten aus Magneten herzustellen*). Im Gegensatz zu üblichen Flüssigkeiten ist diese Supraflüssigkeit komprimierbar und kann daher durch Dichtefluktationen kollabieren. Kürzlich ist es jedoch gelungen, diese Supraflüssigkeit aus Magneten allein durch die Form ihres Behälters zu stabilisieren. Derzeit wird der Kollaps, der durch die Änderung der Behälterform erzeugt wird, untersucht.

*) Lesen Sie hierzu den Bericht auf S. 73.


 

 

KONTAKT

 
                                                                      

Prof. Tilman Pfau
5. Physikalisches Institut
Tel. 0711/685-68025
Fax 0711/685-63810
e-mail: t.pfau@physik.uni-stuttgart.de 
> > > www.physik.uni-stuttgart.de/TR21 

   

 
 
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