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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
Von Lärm bis Flächenzerschneidung:
Verkehr als Belastung für Mensch und Umwelt
 

Lärm, Luftverschmutzung und Flächenzerschneidung belasten vor allem in Ballungsräumen Mensch und Umwelt in extremer Weise. Diese verkehrsbedingten Belastungen werden trotz positiver Entwicklungen im Bereich Fahrzeugtechnik auch künftig ihre Brisanz behalten ­ insbesondere durch einen weiteren Anstieg der Verkehrsstärken. Vor allem die Flächenzerschneidung durch Verkehrswege beeinträchtigt die Umwelt zunehmend. Die Flächeninanspruchnahme durch Versiegelung und Störung sowie die Trenn- oder Barrierewirkung führt zu weitreichenden Belastungen des Menschen sowie der Pflanzen- und Tierwelt, des Bodens, der Oberflächengewässer und des Grundwassers.

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Lärm ist ein weiterer Hauptfaktor zivilisationsbedingter Umweltgefährdung. Rund 50 Prozent der Bevölkerung fühlen sich häufig oder andauernd durch Lärm belästigt. An erster Stelle steht dabei der Straßen- und Verkehrslärm, vor allem in zentrumsnahen Stadtbezirken. Die Lärmentstehung unterliegt zeitlichen Schwankungen. Dies wird insbesondere beim Vergleich von Straßen- und Schienenlärm deutlich. Daher werden Lärmwirkungen von einem energetischen Mittelwert des Schallpegels ausgehend über einen größeren Zeitraum bewertet. Für die Feststellung der Lärmemissionen im Straßenverkehr sind neben der Verkehrsstärke und der -zusammensetzung (Lkw-Anteil) die Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die Fahrbahnoberfläche, die Steigungsverhältnisse und betriebliche Einrichtungen wie Lichtsignalanlagen von Bedeutung. Zur Ermittlung der Lärmemissionen des Schienenverkehrs müssen die Parameter Zugfrequenzen und Zuglängen, die Geschwindigkeiten, die Zugart und die Art der Bremsen herangezogen werden. Für die Berechnung der Lärmimmissionen sind zusätzliche Faktoren wie der Abstand des Immissionsortes von der Fahrbahn bzw. vom Schienenweg, die Höhenverhältnisse und die Geländemorphologie, Hindernisse und meteorologische Einflüsse von Bedeutung.
Lärmbelastungen lassen sich durch Baumaßnahmen wie Lärmschutzwälle und Isolierfenster, durch technische Verbesserungen der Fahrzeuge und durch die Reduktion des Verkehrs verringern. Die Wahrnehmung von Lärmveränderungen beginnt allerdings erst ab einer Größenordnung von zwei bis drei Dezibel; dies würde einer Halbierung der Verkehrsstärke entsprechen. Mit einer deutlichen Verbesserung der Lärmsituation in den nächsten Jahren kann darum nicht gerechnet werden. Zudem ist Lärm der einzige Umweltbereich, in dem die Grenzwerte in den letzten Jahren nicht verschärft, sondern eher entschärft wurden. Die Vermeidung weiterer Flächenzerschneidung durch den Ausbau des Verkehrsnetzes erhält dadurch eine besondere Bedeutung für die Erhaltung geringer belasteter und damit besonders wertvoller Flächen.

Abgase in Atemhöhe
Auch für Luftverunreinigungen ist Verkehr heute eine Hauptquelle. Besonders problematisch ist, daß die Abgase nicht über hohe Schornsteine, sondern aus den Auspuffrohren der Kraftfahrzeuge direkt in Atemhöhe in die Umgebungsluft gelangen. Zudem treten die Abgasemissionen weit verbreitet, also auch direkt in Wohngebieten auf.
Vier Parameter beeinflussen die Luftqualität in der Umgebung von Verkehrsstraßen: Emissionsquellstärke, Belüftung der Straße, die atmosphärischen Ausbreitungsbedingungen und chemische Umwandlungen der Abgaskomponenten in der Luft. Die Emissionsquellstärke hängt vom Emissionsverhalten der Fahrzeuge und der Verkehrsstärke ab. Während die Abgasemissionen durch technische Maßnahmen an den Fahrzeugen (Motortechnik und Abgaskatalysator) in den letzten Jahren ständig zurückgingen, stieg die Verkehrsstärke an, so daß die Emissionsminderung erst langsam wirksam wurde. Neben der Kraftfahrzeugtechnik beeinflußt auch das Fahrverhalten sehr stark die Abgasemissionen. Stop- and Go-Verkehr, Kavalierstarts und vor allem Bergauf- und Bergabfahrten, die durch die topographischen Begebenheiten im Mittleren Neckarraum besonders häufig vorkommen, erhöhen die Emissionen beträchtlich. Neben den Stickstoffoxiden, Kohlenmonoxid und geruchsintensiven Kohlenwasserstoffen sind heute besonders die feinen Partikel, zum Beispiel Ruß aus Dieselfahrzeugen, in der Diskussion.
Die Belüftung der Straße wird von der Dichte der Randbebauung bestimmt. Der Extremfall ungünstiger Belüftung ist in Straßenschluchten mit geschlossener und hoher Randbebauung gegeben. Die Belüftung wird aber auch direkt durch die atmosphärischen Ausbreitungsbedingungen beeinflußt. Stabile Wetterlagen, insbesondere Bodeninversionen, verhindern die Ausbreitung der Luftverunreinigungen und führen zu erhöhten Immissionsbelastungen. Austauscharme Wetterbedingungen treten in Baden-Württemberg und insbesondere im Mittleren Neckarraum wesentlich häufiger auf als zum Beispiel in Küstenregionen.
Die Luftqualität wird nicht zuletzt durch die chemischen Umwandlungen in der Luft beeinflußt. Bei hohem Oxidationspotential in der Atmosphäre, wie es bei hohen Ozonkonzentrationen im Frühjahr und Sommer auftritt, werden die primären Abgaskomponenten schnell oxidiert. Die Oxidationsprodukte der Kohlenwasserstoffe und Stickstoffoxide sind im allgemeinen stärkere Reizstoffe für die Atemwege und Augen des Menschen als die Ausgangsprodukte.
Der Verkehr belastet Menschen und Umwelt in vielfätiger Weise. Lärmstreß kann zu Schlafstörungen und vegetativen Beeinträchtigungen bis hin zu Gesundheitsschäden und seelischen Belastungen führen. Sehr unterschiedliche Beeinträchtigungen des Menschen können aus den zahlreichen Komponenten der Luftbelastung resultieren. Insbesondere die Kombinationswirkung der vielfältigen Schadstoffkomponenten sind längst noch nicht alle erforscht. Neben Atemwegserkrankungen sind unter anderem die cancerogenen Eigenschaften vieler Stoffe von Bedeutung. Die Flächenzerschneidung wirkt über Zeitverluste, die nachhaltigen Veränderungen von räumlich-funktionalen Beziehungen und über die Zerschneidung soziologischer Einheiten auf den Menschen ein.

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Der Ausschnitt zeigt die Schallemissionen im Stadtkreis Stuttgart. Im Norden sind der Bereich um den Hauptbahnhof, die Heilbronner Straße und die Bundesstraßen 10 und 27 als Lärmverursacher gut zu erkennen. Im Süden ist das Lärmband der Autobahn zu sehen. Die Werte zwischen Tag und Nacht unterscheiden sich im Mittel in der Region Stuttgart um etwa 5 dB(A). Die Daten wurden erhoben im Projekt “Wege zu einer umweltverträglichen Mobilität am Beispiel der Region Stuttgart“ (WUMS).

Zerstörung von Lebensräumen
Die ebenfalls aus der Flächenzerschneidung resultierende Verinselung und Zerschneidung von Biotopen und Biotopvernetzungen zerstört natürliche und urbane Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten. Neben dem direkten Biotopverlust durch Versiegelung zählen die Tierverluste durch Unfälle, die Verlärmung, die Störung und Unterbrechung von Tierwanderwegen, die Immissionslast und die Entstehung von Mikroklimaschwellen zu den wichtigsten Beeinträchtigungen. Weitere Folgen sind die Ausbildung von anthropogenen Randzonen, die Trennwirkung auf Tierpopulationen und die Besiedelung durch biotopfremde Arten. Zudem sind Langzeitfolgen wie das Aussterben isolierter Populationen, die Dezimierung des Artengleichgewichts und die Änderungen in der Artenzusammensetzung zugunsten der euryöken, d.h. gegen größere Schwankungen von Umweltfaktoren unempfindlichen, Arten zu erwarten.

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Aus heutiger Perspektive mutet diese Darstellung aus dem Jahr 1905 fast idyllisch an. Aber vermutlich ärgerten sich die Anwohner der Hauptstätter Straße in Stuttgart schon damals über Verkehrslärm...

Der Verkehr beansprucht das Schutzgut Boden einerseits durch die direkte Flächeninanspruchnahme (Versiegelung). Andererseits findet eine indirekte Flächeninanspruchnahme durch den Schadstoffeintrag auf die an die Verkehrswege angrenzenden Flächen statt. Neben den Abgasen aus der Verbrennung des Kraftstoffes ist zusätzlich der Fahrbahn-, Bremsbelag- und die Reifenabriebe sowie die Tropfverluste von Kraftstoffen und Öl, im Winter zusätzlich die Belastungen durch Streusalze zu nennen. Diese Belastungen sind in starkem Maße verkehrsmengenabhängig.
Die Beeinträchtigungen der Oberflächengewässer und des Grundwassers stehen in engem Zusammenhang miteinander sowie zum Schadstoffgehalt im Boden und zu dessen Fähigkeit, die Schadstoffe zu binden und die Belastungen damit abzupuffern. Insbesondere bei Unfällen ist die Grundwassergefährdung sehr hoch. Oberflächengewässer werden zudem durch Baumaßnahmen und Abwässer stark belastet.
Zwischen den einzelnen Elementen des Gesamtökosystems bestehen enge Wechselbeziehungen. Diese sind zwar prinzipiell bekannt und auch qualitativ beschreibbar, jedoch sehr schwierig zu quantifizieren. Bei der Bewertung verkehrsbedingter Belastungen für Mensch und Umwelt sind zudem die im Gesamtrahmen einer Ökobilanz, in der alle Prozesse von der Produktion der Fahrzeuge und der Infrastruktur über den Betrieb und die Entsorgung oder Wiederaufbereitung der Fahrzeuge betrachtet werden, anfallenden Faktoren zu berücksichtigen.

Giselher Kaule, Günter Baumbach

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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