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Auf dem Weg zum virtuellen Weltmodell > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

Maßarbeit aus der Ferne

 

Eine Vision führte im Jahr 2000 Stuttgarter Wissenschaftler zusammen: Digitale Weltmodelle erstellen und effektiv mit der realen Welt verbinden. NEXUS nannten sie das Projekt, das sogleich in das Forschungsschwerpunktprogramm des Landes aufgenommen wurde. Drei Jahre später startete an der Uni Stuttgart der Sonderforschungsbereich „Umgebungsmodelle für mobile kontextbezogene Systeme“ (NEXUS). „Exzellent“, befand die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Idee, und der Sprecher des SFB, Prof. Kurt Rothermel vom Institut für Parallele und verteilte Systeme, erinnert sich: „Wir waren damals weltweit die Einzigen, die diese Vision verfolgt haben“.

Seit Anfang 2007 ist NEXUS in der zweiten Förderperiode. Lang ist der Weg zum angestrebten World Wide Space, einem offenen System ähnlich dem World Wide Web. Da gilt es, die physische Welt als digitales Umgebungsmodell abzubilden, das über Sensoren ständig aktualisiert wird, und eine leistungsfähige Kommunikationsplattform für einen effizienten Datenaustausch zu schaffen. Stand im Fokus der Forscher zunächst die Modellierung des Ist-Zustandes, sollen nun auch Zukunft und Vergangenheit integriert werden. Über das Handy wird der Nutzer dann beispielsweise nicht nur auf ein 3D-Stadtmodell zur Orientierung zurückgreifen können oder erfahren, wann sein Zug fährt, er kann dann auch Verkehrsprognosen abrufen oder seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, wenn er sich etwa nach einem Messetag fragt: Mit wem habe ich eigentlich gesprochen? Wer mit entsprechenden Sensoren ausgestattete Kleidung trägt, kann sich über im wahrsten Wortsinn „situationsgerechte Dienste“ freuen – Informationen, abgestimmt auf die jeweilige Tagesform. Und auch andere Alltagsgegenstände erlangen eine gewisse „Intelligenz“, indem sie ihren Zustand und Informationen aus der Umgebung erfassen. So können zum Beispiel Autos „Staumeldungen untereinander austauschen“, Werkzeuge „erkennen“, dass sie abgenutzt sind, oder die Handys der Kunden eines Kaufhauses in „Teamarbeit“ dessen virtuelles Modell aktuell erstellen.

Maßarbeit aus großer Distanz

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer
 

3D-Stadtmodelle

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

3D-Stadtmodelle – hier das neue Schloss in Stuttgart – entwickeln Wissenschaftler des Instituts für Photogrammetrie.                                           (Foto: Istitut)

Bereits vor Beginn des NEXUS-Projekts befassten sich Forscher an der Universität Stuttgart mit verwandten Fragestellungen. So fanden sich schon 1984 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zum Sonderforschungsbereich „Hochgenaue Navigation – Integration navigatorischer und geodätischer Methoden“ zusammen, um die Echtzeit-Vermessung und Steuerung bewegter Objekte mittels Satellitennavigation voranzutreiben. Der in diesem Rahmen 1997 vom Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik vorgestellte Prototyp eines Autopiloten für Wasserstraßen vermochte mittels der Kombination von bordeigenem Radar, GPS-Satelliten-Navigation und elektronischer Karte ein Schiff auf einer Ideallinie zu steuern.

   „PRARE hat seine Meisterprüfung geschafft“, hieß es 1994, als das am Institut für Navigation entwickelte Bahnvermessungssystem (Precise Range and Range-Rate Equipment) die Erde in 100 Kilometern Höhe 2.000-mal umkreist und die Entfernung zu den Bodenstationen zentimetergenau erfasst hatte. Für geowissenschaftliche Anwendungen, wie etwa zur Erforschung der Kontinentaldrift, sind diese genauen Daten ebenso interessant wie für die Entwicklung von Navigationssystemen. Schon 1991 war das Präzisions-Messgerät von der ESA als das damals „weltweit genaueste System“ für den ersten europäischen Mikrowellen-Fernerkundungssatelliten ausgewählt worden.

   Innerhalb des Projekts „GISMO“ schlug im Jahr 2000 die Stunde der Echtzeit-Visualisierung virtueller Stadtmodelle. Wissenschaftler der Abteilung Visualisierung und Interaktive Systeme am damaligen Institut für Informatik nahmen sich dieser Thematik zusammen mit Kollegen des Instituts für Photogrammetrie an, die sich damals schon seit über zehn Jahren mit der Entwicklung von 3D-Stadtmodellen beschäftigten, einschließlich des dafür notwendigen Laserscanning via Flugzeug oder Satellit. Photorealistisch und positionsgenau helfen die virtuellen Stadtmodelle etwa Tou-risten bei der Orientierung, können aber auch beispielsweise zur Verkehrsplanung oder Stadtentwicklung herangezogen werden.

Oberstes Gebot bei NEXUS: Sicherheit und Qualität

Der Sonderforschungsbereich Nexus vereint heute Informatiker, Maschinenbauer, Elektrotechniker, Philosophen, Verkehrsplaner, Betriebswirte und Geodäten. „Innerhalb des nächsten halben Jahres wollen wir Transferprojekte definieren“, sagt Prof. Kurt Rothermel, der sich freuen kann: „Die Industrie zeigt großes Interesse an diesem Thema.“ Die „Smart Factory“ und ein Blindennavigationssystem, das national und international bei Sehbehinderten auf großes Interesse stößt, haben gute Chancen, den Markt zu erobern. In der Fabrik der Zukunft, die am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb entsteht, sind mobile Objekte auf gut einen Meter genau in Echtzeit lokalisierbar, weiß ein Behälter, was in ihm drin ist, ein Fahrzeug, was es geladen hat. Auf Maschinenausfälle wird automatisch reagiert, und mittels der Daten des Umgebungsmodells lassen sich die produktionstechnischen Prozesse optimieren. Hinter TANIA (Tactile-Acoustical Navigation and Information Assistant) verbirgt sich der Prototyp einer Navigationshilfe für Sehbehinderte und Blinde, die am Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme entwickelt wurde. TANIA plant Routen blindengerecht, führt den Nutzer unter ständigem Abgleich von Sensor- und Modellinformation sicher an Hindernissen vorbei und kann auch auf Personen und deren exakte Position hinweisen.

   Für alle NEXUS-Beteiligten war von Anfang an die Sicherheit und die Qualität der Daten oberstes Gebot. Weit ab von „Big Brother“ soll der Nutzer selber entscheiden können, wann und welche Daten er von sich preisgeben möchte. „Zudem“, betont Kurt Rothermel, „muss sichergestellt werden, dass man den Daten trauen kann“ – und dann steht einem hilfreichen, informativen oder einfach unterhaltsamen Hin und Her zwischen den Welten nichts mehr im Wege.

Julia Alber

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                

Prof. Kurt Rothermel
Institut für Parallele und Verteilte Systeme
Tel. 0711/7816-434
Fax 0711/7816 424
e-mail: Kurt.Rothermel@informatik.uni-stuttgart.de   
> > > www.nexus.uni-stuttgart.de

   
 
 
last change:20.12.2007/ yj
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