Virtuelle Umgebungen

Reales Lernen im virtuellen Raum

Weiterbildung in Unternehmen profitiert von Virtual Reality und Smart Data

Eine neue und moderne Art der Lehre und des Lernens, egal ob im Klassenzimmer, Hörsaal oder Unternehmen, wird durch den Einsatz von Virtual und Augmented Reality ermöglicht.
[Foto: Max Kovalenko]

Mit der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt geht ein grundlegender Wandel vieler Tätigkeiten und Berufsbilder einher. Um die eigenen Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen auf dem aktuellen Stand der Technik halten zu können, müssen Unternehmen qualifizierte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten. Doch wie lassen sich komplexe Arbeitsabläufe nachdrücklich vermitteln? Im Projekt „Virtual and Analytics Service im Maschinen- und Anlagenbau“ (VASE) arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Bernd Zinn vom Lehrstuhl für Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik (BPT) der Universität Stuttgart an maßgeschneiderten virtuellen Lehr- und Lernmodellen.

Aus- und Weiterbildung haben bis heute häufig noch den Charme längst vergangener Schulzeit. Enge Räume, unfreundliche, meist grelle Beleuchtung, kleine Tische dicht an dicht und auf eine Präsentation an der Wand ausgerichtet, die die Tafel ersetzt. Und genau dort findet in der Regel auch der Unterricht statt: frontal und theoretisch. Aus pädagogischer Sicht entspricht die „klassische“ Art zu unterrichten längst nicht mehr dem Zeitgeist, genauso wenig wie die dabei eingesetzten Unterrichtsmittel. Nicht zuletzt deshalb gibt es auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung vermehrt Lehrformate, die auf moderne Gestaltungsmöglichkeiten und neueste Technik setzen. Aktuell eröffnen besonders die Entwicklungen bei Virtual und Augmented Reality (VR und AR) völlig neue Lehr- und Lernwelten. Die Wissensvermittlung über virtuelle Realitäten eignet sich dabei besonders für die Industrie, deren Produktionsprozesse in der Regel durch komplexe Abläufe und exakt auszuführende Handgriffe geprägt sind, die sich schwerlich über pure Theorie vermitteln lassen.

Hinzu kommt, dass die Arbeitswelt sich momentan in einem großen Umbruch befindet. Mit der zunehmenden Digitalisierung geht auch ein grundlegender Wandel vieler Tätigkeiten und Berufsbilder einher. Für den industriellen Bereich bedeutet das vor allem auch, dass das Bedienen und Instandhalten von Maschinen und Anlagen anspruchsvoller wird. Unternehmen, deren Mitarbeiter nicht entsprechend ausgebildet sind, riskieren Produktionsausfälle oder gar Stillstandzeiten durch falsche Maschinenführung. Es sind also neue Schulungskonzepte gefragt, die speziell auf die jeweiligen Bedarfe im Unternehmen ausgelegt sind.

Virtuelle Lernwelt trifft auf Smart Data

Neuartige Technologien bieten hier ein großes Potenzial, werden derzeit aber noch kaum genutzt. Dabei können sowohl Virtual Reality in Form von virtuellen Lern- und Arbeitsumgebungen als auch Smart Data dabei helfen, die Serviceprozesse zu optimieren. Wie sich das in der Praxis umsetzen lässt, erforschen Wissenschaftler des Lehrstuhls für Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik (BPT) der Universität Stuttgart gemeinsam mit dem International Performance Research Institute (IPRI) um Prof. Mischa Seiter. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Virtual and Analytics Service im Maschinen- und Anlagenbau“(VASE) verbindet die beiden Technologien Virtual Reality und Service Analytics.

Zielgruppe sind in vor allem Servicetechniker im Maschinen- und Anlagenbau, die mit ihrem Aufgaben- und Tätigkeitsbereich eine Schnittstelle zwischen Kunden und Anbieter darstellen. Auf sie werden künftig neben Wartung und Instandhaltung vermehrt weitergehende Dienstleistungen zukommen, wie virtuelle Schulungen von Kunden und Kollegen im Umgang mit den modernen Technologien. Hieraus ergibt sich eine weitere Herausforderung: Die Fachkräfte sind oftmals nicht im Stammwerk, sondern in Niederlassungen ihres Unternehmens tätig, müssen also häufig sowohl zur Zentrale als auch zum Kunden weite Wege zurücklegen. Virtuelle Lernumgebungen sind für diesen Branchenbereich wie geschaffen, denn sie unterstützen ein räumlich und zeitlich flexibles Lernen und Arbeiten.

Virtuelle Lernumgebungen sind wie geschafen für ein zeitlich und räumlich flexibles Lernen und Arbeiten. Derzeit wird daran gearbeitet, sie auf die tatsächlichen Bedarfe der Unternehmen zuzuschneiden.

Maßgeschneiderte Lernszenarien

Schon in der Vergangenheit hat das Team um Projektleiter Prof. Bernd Zinn in Zusammenarbeit mit dem Softwareunternehmen TriCAT die Nutzung einer innovativen 3D-Lern- und Arbeitswelt erforscht. Diese virtuelle Lern- und Arbeitsumgebung (VILA) adaptieren die Partner nun im aktuellen Projekt auf einzelne Unternehmen, erproben sie und entwickeln sie gegebenenfalls unternehmensspezifisch weiter. Dazu müssen zunächst die tatsächlichen Bedarfe in den teilnehmenden Unternehmen festgestellt werden. „Wir beginnen damit, die unterschiedlichen Anwendungsfälle und -szenarien, die sogenannten Service Usecases, zu identifizieren, um die Schulung auf das jeweilige Unternehmen zuzuschneiden“, erklärt Zinn. „Dazu schauen wir auch, was sie in Hinblick auf die VR-Technologie benötigen.“ Aber, so fortgeschritten die virtuelle Technologie einerseits ist, so viele Vorbehalte und Berührungsängste gibt es auch. „Umso wichtiger ist es, individuelle Konzepte zu erstellen, die die Empfänglichkeit fördern und die Nutzungshemmnisse zur neuen Technologie abbauen.“

Virtuelle Umgebungen sind rein technisch inzwischen weit entwickelt. Es zeigt sich jedoch, dass es nicht allein auf die Güte der Technologien ankommt. „Wie auch beim E-Learning ist die Technologie per se nicht unbedingt gut“, weiß auch Zinn. Daher geht es ihm und seinem Team vor allem darum, die im Projekt fokussierten Technologien methodisch-didaktisch einzubetten. „Um bestimmte Lernziele erreichen zu können, scheint es förderlich, kognitivistische und konstruktivistische Lerntheorien miteinander zu verbinden.“ Dies gelte auch in virtuellen Lernsettings, damit das erworbene Wissen angewendet und ausprobiert werden kann. „Lernende wollen und sollen erkennen, inwiefern die Weiterbildung für ihr eigenes Handlungsfeld relevant ist. Das fördert die Akzeptanz und das Rezeptionsverhalten entscheidend.“

Virtuelle Umgebungen sind rein technisch inzwischen weit entwickelt. Doch nicht allein darauf kommt es an: Bei den Usern müssen unter anderem Hemmungen abgebaut werden, die neue Technologie zu nutzen.

Erfahrungswissen ist unbezahlbar

Für die Weiterentwicklung der virtuellen Lern- und Arbeitsumgebung werden in den am Projekt VASE teilnehmenden Unternehmen – darunter Trumpf, MAG IAS und Axoom – spezielle Prozessdaten gesammelt und ausgewertet, um etwaige Defizite in den Abläufen aufzudecken. „Die Anlagen unserer Partner sind hochkomplex und viele davon nicht in ihrem optimalen Betriebszustand“, erklärt Zinn. Die Datenaufzeichnungen, die heutzutage ohnehin immer mitlaufen, liefern den Experten wichtige Informationen im Hinblick auf Optimierungsschritte bestimmter Dienstleistungsprozesse. „So lassen sich beispielsweise die Abstände von Maschinenwartungen an den tatsächlichen Bedarf anpassen und erst dann durchführen, wenn es auch wirklich notwendig ist.“

Die Erkenntnisse aus den Datenanalysen lassen die Forscher beim Erstellen der jeweiligen Lern- und Arbeitsszenarien einfließen. Ebenso wie die Expertise der Servicetechniker, die bereits beim Entwickeln der Lern- und Arbeitsszenarien mit einbezogen werden. „Dieses Erfahrungswissen ist unbezahlbar für uns und das Projekt“, so Zinn. „Die enge Zusammenarbeit mit der Zielgruppe fördert außerdem auch die Akzeptanz für die neuen Technologien.“ Von VASE verspricht sich das Team um Zinn nicht nur eine ausgereifte virtuelle Lern- und Arbeitsumgebung, sondern auch wichtige Erkenntnisse, wie sich zum einen Defizite anhand von Prozessdaten identifizieren lassen. „Und zum anderen möchten wir herausfinden, wie wir virtuelle Lernformate bestmöglich einsetzen können.“ Denn die werden, laut Zinn, schon bald zur „echten“ Realität in der Aus- und Weiterbildung.
Constanze Trojan

Prof. Bernd Zinn, Lehrstuhl Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik (BPT), Tel.: +49 711/685-84360, E-Mail

Prof. Dr. Mischa Seiter, International Performance Research Institute (IPRI) Universität Ulm, E-Mail

Das Projekt: VASE (Virtual and Analytics Service im Maschinen- und Anlagenbau)

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