Herr der Sägen

Dr. Nikolas Stihl führt die motormanuelle Waldarbeit ins digitale Zeitalter

Interview mit dem Stuttgarter Alumnus über die Relevanz der Digitalisierung bei der Stihl AG.
[Foto: Universität Stuttgart/Max Kovalenko]

Wer beruflich oder privat mit Holz zu tun hat, kennt sie: die Motorsägen von Stihl. Aus gutem Grund gelten die Handgeräte mit der charakteristischen leuchtend-orangen Farbe nicht nur in Fachkreisen als „der Mercedes“ unter den motorbetriebenen Sägen. Und zwar weltweit. Seit über 90 Jahren behauptet sich das Familienunternehmen mit seinen Produkten als Marktführer scheinbar mühelos gegenüber dem Wettbewerb. Und hat dabei still und unaufgeregt viele Herausforderungen bereits gemeistert, die die zunehmende Digitalisierung und der Einzug von Industrie 4.0-Anwendungen an Produktionsprozesse und die moderne Arbeitswelt stellen. „Weil wir uns schon seit 20 Jahren damit befassen“, sagt der Alumnus der Universität Stuttgart, Dr. Nikolas Stihl. Er muss es wissen, schließlich ist er der Enkel des Unternehmensgründers und seit 2012 Beiratsvorsitzender der Stihl Holding sowie Aufsichtsratsvorsitzender der Stihl AG.

Herr Stihl, Sie haben einmal gesagt, „wir haben 90 erfolgreiche Jahre hinter uns und haben allen Anlass zu denken, dass der Erfolg bleibt“ – woher nehmen sie diese Gewissheit?

Ich glaube an unsere Strategie, die sich bisher bewährt hat. Wir sind seit der Firmengründung Technologieführer. Mein Großvater hat das Urprodukt erfunden, das über die Jahre immer weiterentwickelt wurde.

Unsere Stellung haben wir dadurch erreicht, dass wir stets schneller und besser als unsere Wettbewerber waren und sind. Ich habe da großes Vertrauen in unsere Ingenieure und in die gesamte Belegschaft. Die Kompetenzen, die wir uns im Anwendungsbereich in den vergangenen Jahren erarbeitet haben, werden uns tragen. Und egal, welchen Antrieb wir irgendwann verwenden, wir werden weiterhin die besten Geräte liefern. Davon bin ich überzeugt.

Als Hersteller manueller Werkzeuge verursacht Ihnen das ganze Thema Industrie 4.0 keine Bedenken?

An der Digitalisierung sind wir im Prinzip seit 20 Jahren dran, in der primären und sekundären Wertschöpfungskette arbeiten wir schon lange damit.

Dr. Nikolas Stihl

Die Abgas-Reinigung bei unseren Zweitaktern, mit der wir über 80 Prozent weniger Emissionen als vor 20 Jahren erreicht haben, wäre beispielsweise ohne Digitalisierung nicht möglich gewesen. Ich sehe die Technologieführerschaft nicht nur in der Entwicklung von Geräten, sondern auch in einem hohen Eigenfertigungsanteil. Wir haben einen weltweiten Produktionsverbund aufgebaut, der nur funktioniert, wenn alle Werksteile miteinander reden. Ohne Digitalisierung undenkbar.

Also würden Sie sagen, im Produktionsprozess hat Stihl Industrie 4.0 bereits umgesetzt?

Wir sind dabei.

Und in Ihren Produkten – etwa mit Blick auf „Smart Gardening“, also der automatischen Gartenpflege?

Auch hier sind wir mittendrin. Wir haben elektronische Motorsteuerungen eingeführt, aktuell entwickeln wir Systeme, die einzelne Produkte miteinander vernetzen und intelligent machen bzw. die digitale Wertschöpfungsketten etwa zwischen den Produkten und dem Handel erzeugen. Und die es natürlich auch dem Endkunden ermöglichen, unsere Produkte dank ihrer digitalen Kompetenzen gezielter und wirtschaftlicher einzusetzen.

Sind Familienunternehmen aufgrund ihrer übersichtlicheren Strukturen im Vorteil gegenüber Konzernen, wenn es darum geht, die Digitalisierung zu stemmen?

Mit Sicherheit ja. Aber vor allem ist es wichtig, dass man an das glaubt, was man tut und konsequent bleibt. Fundamentaler Wandel braucht Zeit und jede Menge Investitionen. Es ist leicht, Gewinne durch geringere Investitionen kurzfristig nach oben zu drücken. Daran glauben wir aber nicht. Ein Familienunternehmen ist hier im Vorteil, weil die Führungsstrukturen über sehr lange Zeit die gleichen bleiben. Dadurch lässt sich in viel längeren Zeiträumen denken und eine Strategie langfristig verfolgen.

Das Orange ihrer Gehäuse macht sie unverwechselbar: die Hightech-Motorsägen aus dem Hause Stihl.

Beim Thema Digitalisierung müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgenommen werden. Wie funktioniert das bei Stihl?

Die Aufgabe, unsere Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen, liegt bei den Führungskräften. Unsere Mitarbeiter  haben aber auch die Gewissheit, dass niemand wegen einer Rationalisierungsmaßnahme entlassen wird. Jeder kann einen Verbesserungsvorschlag einreichen, ohne Angst haben zu müssen. Es gibt das Versprechen, dass jeder einen mindestens gleichwertigen Arbeitsplatz bekommt. Bisher konnten wir das immer erfüllen.

Neben den großen Innovationssprüngen braucht es aber auch die vielen kleinen, iterativen Schritte, die die Produkte besser machen. Dafür sind gut ausgebildete Mitarbeiter nötig. Hier setzen wir weltweit auf die duale Ausbildung – nicht nur in der Produktion, sondern auch im kaufmännischen und technischen Bereich. Gerade diese Auszubildenden kommen oft auf gute Ideen, die teilweise sehr innovativ sind.

Das führt direkt zu ihrer eigenen Ausbildung an der Universität Stuttgart. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Das intensive wissenschaftliche Arbeiten. Das hilft mir bis heute, neue Gebiete zügig zu erschließen. Und nicht zu vergessen: Die Uni Stuttgart ist zwar eine Forschungseinrichtung mit hervorragend aufgestellter Grundlagenforschung. Aber sowohl über die eigenen Institute als auch über die angebundenen Institute der Fraunhofer Gesellschaft gibt es auch einen hohen Praxisbezug. Schon zu meiner Zeit hatten verschiedene Institute Kontakte zu den großen Unternehmen in der Region. Die Forschung als zentrale Aufgabe aller Universitäten ist wichtig, aber zur Grundlagenforschung gehört auch die Anwendung – und das findet man in Stuttgart in einer sehr schönen Mischung vor.

Sind die heutigen Universitätsabsolventen aus Ihrer Sicht auf die Praxis in den Unternehmen vorbereitet?

Sie sind recht gut vorbereitet, aber es dauert in der Regel immer bis zu einem Jahr, bis sie sich in die verschiedenen Bereiche eingearbeitet haben. Die Möglichkeiten und Anforderungen sind an der Uni andere als im Betrieb. Aber die Motivation ist bei allen immer sehr hoch, weil sie an etwas Konkretem arbeiten.

Und wie sieht es im Hause Stihl mit der nächsten Generation aus?

Mein Sohn studiert Chemie – an der Uni Stuttgart –, meine Tochter studiert Geisteswissenschaften. Auch die Kinder der anderen Gesellschafter sind mitten in der Ausbildung. Insofern möchte ich nicht ausschließen, dass es eine Nachfolge gibt. Es muss sich aber erst einmal jeder selber finden. Bei uns hieß und heißt es niemals „du musst“. Zuerst muss man zeigen, dass man kann – und wenn man will, dann darf man auch.

Sind Sie deswegen auch erst einmal raus in die Welt?

Ja, man will sich ja auch selbst etwas beweisen. Wenn man gut ist in anderen Unternehmen, kann man davon ausgehen, dass Lob ernst gemeint ist. Zudem schadet es nicht, Erfahrungen zu sammeln und Dinge zu tun, die man im eigenen Unternehmen nicht tun kann. Meinen ersten Job als Konstrukteur bei Mercedes hätte ich bestimmt auch im eigenen Unternehmen wahrnehmen können. In der Unternehmensberatung war es dann etwas komplett anderes, da habe ich sehr viel gelernt. Diese Zeiten will ich nicht missen.

Wie geht es in der Welt der Stihl-Geräte weiter?

Digitalisierung, Akkuantrieb, Umweltschutz und das Denken in Systemen – das sind die Themen, die uns in absehbarer Zeit beschäftigen werden. Wir müssen uns in allen Bereichen weiterentwickeln. Das heißt zum Beispiel auch, mehrgleisig zu fahren, etwa im Hinblick auf die Optimierung des Verbrennungsmotors einerseits und die Weiterentwicklung des Akkuantriebs andererseits. Hinzu kommt die Transformation vom Produkt- zum Systemanbieter. Diese Themen beschäftigen aber nicht nur uns, sondern sind allgemein in der baden-württembergischen Industrie gerade die größten Herausforderungen.

Wir bedanken uns für das Gespräch!

Die Fragen stellten Dr. Hans-Herwig Geyer und Martina Hönekopp

Dr. Nikolas Stihl studierte an der Universität Stuttgart Maschinenbau. 1997 promovierte der Diplom-Ingenieur an der Fakultät für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Technischen Universität Chemnitz. Thema der Dissertation: „Komplexe Optimierung des Arbeitssystems Motormanuelle Waldarbeit“.
Erste praktische Erfahrungen sammelte Stihl 1987 bis 1990 als Ingenieur bei der Mercedes- Benz AG in Stuttgart, wo er an der Entwicklung eines 12-Zylinder-Motors mitarbeitete. Anschließend war er bis 1992 als Unternehmensberater bei der deutschen Niederlassung von Arthur D. Little in München tätig.
Im selben Jahr stieg Stihl als Assistent der Geschäftsführung in die Stihl-Unternehmensgruppe ein. Wenig später leitete er das Produktmanagement des Motorsägengeschäfts der Stihl Incorporated, Virginia Beach, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. 1993 übernahm er schließlich die Geschäftsführung der Viking GmbH in Österreich, die er bis 2011 inne hatte.
2012 übernahm Dr. Nikolas Stihl, der Gesellschafter der Stihl Holding AG & Co. KG ist, den Vorsitz des Beirats der Stihl Holding AG & Co. sowie des Aufsichtsrats der Stihl AG von seinem Vater, Hans Peter Stihl.

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