Die Entwicklungshelferin

Birgit Renzl kennt die Arbeitswelt der Zukunft

Durch die Digitalisierung werden viele Abläufe in Firmen und Organisationen beschleunigt. Die Auswirkungen dieser erhöhten Geschwindigkeit werden an der Universität Stuttgart untersucht.
[Foto: Universität Stuttgart/Martin Stollberg]

Organisation ist alles. Das trifft auf Prof. Birgit Renzl in vielerlei Hinsicht zu, denn sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation an der Universität Stuttgart und beschäftigt sich mit Wissensmanagement, Strategischen Veränderungsprozessen und Leadership in Organisationen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin kennt die Herausforderungen von morgen, denn sie hat Einblick in das Innerste von Unternehmen. Die zentrale Frage, die sie dabei verfolgt: Wie können sich Organisationen aufstellen, um Zukunftsthemen gerecht zu werden?

Den Schlüssel sieht sie unter anderem in der Digitalen Transformation. „In diesem Bereich tut sich sehr viel. Für uns als Forschende ist das eine einzigartige Zeit, diese Entwicklung hautnah zu begleiten.“ Um diese besser zu verstehen, vergleicht die Wirtschaftswissenschaftlerin unter anderem Forschungsergebnisse aus der Vergangenheit: Wie sah die Arbeitswelt vor 20 oder 30 Jahren aus? Denn klar ist, technologischen Wandel gab es immer schon. Die Herausforderung sieht Renzl jedoch in der Geschwindigkeit, in der dieser stattfindet. „Die Time-to-Market, das heißt der Zeitraum, bis eine Idee als fertiges Produkt auf den Markt kommt, hat sich eklatant verkürzt.“ Durch Errungenschaften der Informations- und Kommunikationstechnologien lassen sich heute Informationen in Echtzeit vermitteln, was Organisationen vor neue Herausforderungen stellt. „Als ich Ende der 80er-Jahre Ferienjobs gemacht habe, wurde vorrangig noch mit Geschäftsbriefen korrespondiert. Bis so ein Brief ankam und beantwortet war, verging gut und gern mal eine Woche. Wenn man heute innerhalb von zwei Stunden eine E-Mail noch nicht beantwortet hat, wird bereits nachgefragt“, beschreibt Birgit Renzl die Symptomatik.

Fragen stellen, Antworten geben

Welche Auswirkungen haben neue Technologien, vernetzte Strukturen und die Übertragung von Informationen in Echtzeit auf Organisationen? Damit beschäftigt sich Birgit Renzl Tag für Tag intensiv. Ihre Erkenntnisse gewinnt sie aus erster Quelle: direkt am Ort des Geschehens. Gemeinsam mit ihrem Team, das an der Universität Stuttgart aus vier Mitarbeitern und zwei externen Doktoranden besteht, fragt sie konkret nach. In Interviews, Einzelfallstudien oder breit angelegten, quantitativen Umfragen in großen oder mehreren kleineren Unternehmen. Das Thema der strategischen Unternehmensführung bewegte Birgit Renzl dabei früh. So war sie bereits Ende der 1990er-Jahre in der Strategieberatung und Organisationsentwicklung tätig und führte schon damals ein Wissensmanagement-Programm in einem Lichtplanungsbüro ein. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Unternehmensführung bei Prof. Hans H. Hinterhuber an der Universität Innsbruck in Österreich blieb sie dem Thema treu und ging konsequent ihren Weg: 2002 promovierte sie, 2006 habilitierte sie. Für ihre Dissertation zum Thema wissensbasierte Interaktion erhielt sie den Dr. Maria Schaumayer Stiftungspreis. Wichtig war und ist Birgit Renzl dabei immer der praktische Bezug, das heißt, was die gewonnenen Erkenntnisse konkret für die Organisationen bedeuten. „Im Unternehmenskontext bedeutet Organisation Umsetzung.“ Hier möchten sie und ihr Team eine konkrete Hilfeleistung bieten und Handlungsempfehlungen geben.

Erfolgsfaktor Digitale Transformation

Als brandaktuelles Thema sieht sie hierbei die digitale Strategie von Organisationen. Bei ihrer Arbeit trifft sie zwar immer noch vereinzelt auf Unternehmen, die von dem ganzen „Hype“ nichts wissen möchten, auf der anderen Seite aber auch auf sehr innovative Konzepte – wie zum Beispiel das eines Unternehmens für Gartengeräte. Auch hier nahm die Automatisierung durch den Einsatz von Robotern Einzug, viel interessanter war jedoch die Frage, „wie der Rasenmäher- Roboter bestmöglich mit der Bewässerung kommunizieren, über welche App oder Plattform das gesteuert werden kann – also eine Verlagerung des gesamten Geschäftsmodells“. Die Erkenntnis, die sie daraus zieht, ist, dass es immer weniger um Produkte an sich geht, sondern immer mehr um deren Nutzerfreundlichkeit, Vernetzung und Steuerung. Birgit Renzl appelliert deshalb an Unternehmen, permanent zu reflektieren, wie auch sie aktuelle Entwicklungen steuern und aus diesen neue Lösungen schaffen können. Und das in allen Branchen und Bereichen. „Man sieht, dass selbst bei Gartengeräteherstellern die digitale Transformation Einzug hält.“

Beschleunigung, Komplexität und Vernetzungen prägen die neue Arbeitswelt. Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, mit welchen Fähigkeiten Organisationen diesen neuen Entwicklungen begegnen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Birgit Renzl

Flexible Rollen

Birgit Renzl sieht die Herausforderung für Organisationen vor allen Dingen darin, die steigende Komplexität zu managen. „Plötzlich muss man alles wissen, es sind mehr Informationen vorhanden als verarbeitet werden können. Den Überblick zu bewahren, wird sich als Erfolgsfaktor für die Zukunft erweisen.“ Das bestätigt die Studie „Neue Arbeitsaufgaben und Anforderungen durch Industrie 4.0 in der Automobilindustrie“, die sie gemeinsam mit Kollegen durchgeführt hat und die aktuell in der Austrian Management Review erschienen ist. Demnach wird die Lernbereitschaft von Mitarbeitern und Führungskräften immer wichtiger. „In einer Welt, in der alles vernetzt und flexibel ist, wird Kooperationsund Teamfähigkeit essenziell. Unternehmen müssen sich öffnen für neue Themen und Kompetenzen,“ erklärt Birgit Renzl und erzählt von der früheren Entwicklung eines neuen TV-Geräts bei Max Grundig, bei dem das Entwicklungsteam eingesperrt und erst wieder herausgelassen wurde, als das Produkt fertig war. „Das geht natürlich nicht mehr, die Zeiten des stillen Kämmerchens sind vorbei!“

Des Weiteren wird nach Renzls Einschätzungen zukünftig ein noch höheres Maß an Flexibilität erforderlich sein. „Ein und dieselbe Person wird je nach Aufgabe unterschiedlichste Rollen einnehmen, gleichermaßen Projektleiter, Sachbearbeiter oder Führungskraft sein.“ Ein Konzept, das die Forscherin vorlebt. Als Professorin an den Universitäten Stuttgart und Salzburg pendelt sie zwischen den Städten, verfasste bereits über 70 Artikel in Büchern und Fachzeitschriften und ist im Herausgeberbeirat der wissenschaftlichen Zeitschrift „Management Learning“. Forschungsaufenthalte führten sie zuvor an die University of Strathclyde in Glasgow in Schottland und an die Universität St. Gallen in der Schweiz. 2009 wurde sie als Professorin für Strategie und Organisation an die Privatuniversität Schloss Seeburg nach Seekirchen am Wallersee bei Salzburg berufen und wirkte als Dekanin für Betriebswirtschaftslehre am Aufbau der neu gegründeten Universität mit. Seit März 2015 ist sie in Stuttgart. Hier schätzt sie besonders, dass es viele interessante Unternehmen gibt, die offen für neue Formen der Zusammenarbeit und Kompetenzmodelle sind. „Als Forscher müssen wir wissen, was in der Praxis los ist. Wir haben den Luxus, die Dinge hier hinterfragen zu können, zu reflektieren und diese in die Praxis zurück zu spiegeln.“

„Es kommt immer etwas Neues“

Und was bringt die Zukunft? Als Lehrende hat es sich Birgit Renzl zur Mission gemacht, auch ihre Studierenden für die Zukunft zu wappnen: Was müssen die Führungskräfte und Mitarbeiter von morgen lernen, um Organisationen dauerhaft überlebensfähig zu gestalten? „Den Studierenden State-of-the-Art-Wissen vermitteln, allerdings nicht mit der Trichtermentalität.“ Ihr Appell ist deshalb, immer am Ball zu bleiben und zu lernen, die richtigen Themen zu verknüpfen, Dinge zu hinterfragen, viel zu lesen und aktiv in Erfahrung zu bringen, was sich aktuell tut.

Das gelingt am besten im Dialog. So wird Birgit Renzl unter anderem bei der European Academy of Management 2018 gemeinsam mit ihren Kollegen Prof. Stefan Güldenberg der Universität Liechtenstein sowie Prof. Anne-Katrin Neyer, Prof. Julia Müller und Dr. Matthias Will der Universität Halle-Wittenberg den Themenbereich der „Digital Strategies“ leiten, dazu Forscher einladen, ihre Forschungsarbeiten dazu zu präsentieren. Denn eins steht fest: Es kommt immer etwas Neues. „Vor Kurzem habe ich beispielsweise gelesen, dass in wenigen Jahren niemand mehr tippen wird. Ich habe noch das Zehn-Finger-System gelernt, aber wenn man die Fortschritte der Spracherkennung sieht, geht es beinahe schon ganz ohne.“ Ihr Fazit: Fähigkeiten und Kompetenzen werden sich immer schneller verändern. Tätigkeitsbereiche und Arbeitsplätze werden verschwinden, andere entstehen. Der Schlüssel liegt in der Verknüpfung: Orte und Themen, Mensch und Maschine, Lehre und Praxis.
Katja Welte

Prof. Dr. Birgit Renzl, Lehrstuhl für ABWL und Organisation am Betriebswirtschaftlichen Institut (BWI), Tel.: +49 711/685-83175, E-Mail    

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