Blendgefahr gebannt

Aus Display- und LED-Technik entsteht intelligente Fahrzeugbeleuchtung

"Schau mir in die Augen, Kleines": Dank adaptiver Lichtverteilung ist das inzwischen ohne Blendung möglich.
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Gemeinsam mit einem Industriekonsortium hat das Institut für Großflächige Mikroelektronik (IGM) der Universität Stuttgart einen Flüssigkristallbildschirm in ein LED-Fernlicht integriert — mit 30.000 Pixeln Auflösung und adaptiver Lichtverteilung praktisch in Echtzeit.

Christiane Reinert-Weiss, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Großfl ächige Mikroelektronik (IGM) der Universität Stuttgart, hatte zu Projektbeginn einen Gedanken, wie er vielleicht typisch ist für den Berufsstand der Ingenieure: „Eigentlich funktioniert das nicht, aber wir machen es trotzdem.“ Der Ansatz im Projekt „Volladaptive Lichtverteilung für eine intelligente, effi ziente und sichere Fahrzeugbeleuchtung“ (VoLiFa2020) klang zunächst nach einer schwer zu lösenden Aufgabe. Die Forscher und Entwickler wollten einen Flüssigkristallbildschirm in ein LED-Fernlicht integrieren. Das Ziel: eine adaptive Lichtverteilung, um etwa den Gegenverkehr zu „entblenden“. „In so einem Bildschirm stecken aber viele Elemente, die weder die extremen Temperaturbereiche im Auto aushalten, noch die hohen Lichtstärken, die für ein Fernlicht notwendig sind“, erklärt die Ingenieurin. Was die IGM-Forscherinnen und -Forscher jedoch nicht davon abgehalten hat, ein bereits in Serie produziertes Fernlicht zu nehmen und damit zu beginnen, einen Bildschirm einzubauen. In langen Testreihen untersuchten sie zunächst alle Komponenten und Schichten – und konstruierten schließlich in Handarbeit rund zwei Dutzend Prototypen. Die Lösung von Christiane Reinert-Weiss und ihren beiden Kollegen am IGM überzeugte nicht nur zahlreiche Industrievertreter. Auf der weltweit größten Fachmesse für Displays, der Display Week der Society for Information Display (SID) in Los Angeles, erhielt die Forscherin Ende Mai 2017 einen Preis für ihre Entwicklung. Und der Automobilzulieferer Hella, der das IGM mit dem Projekt beauftragt hatte, kündigte bereits Ende Juni die Markteinführung des Systems unter dem Stichwort „Liquid Crystal HD“ für 2020 an.

Weniger Leuchtdioden, mehr Bildpunkte

„Unser Vorteil ist, wir benötigen nur 25 LEDs und können damit 30.000 Pixel auf die Straße projizieren, die individuell in 16 Graustufen defi niert sind. Aktuelle, bereits serienproduzierte Systeme verwenden 84 LEDs und können ebenso viele Bildpunkte darstellen", sagt Reinert-Weiss. „Wir schaffen 30.000 Pixel mit einem System, das prinzipiell sehr energie- und kosteneffi zient ist.“ Und das trotz der hohen Anforderungen der Autoindustrie: Die Bauteile müssen Temperaturen von minus 40 bis plus 125 Grad Celsius aushalten und mindestens 8.000 Stunden Lebensdauer bieten.

Gesteuert wird diese adaptive Beleuchtung über bereits in hochklassigen Fahrzeugen vorhandene Systeme wie Radar, GPS oder Kameras, die nahezu in Echtzeit zum Beispiel Gegenverkehr erkennen und die entsprechenden Bereiche aus dem Fernlicht ausblenden. Das System kann aber auch auf Radfahrer hinweisen und den notwendigen Abstand zu ihnen auf der Straße anzeigen oder im Baustellenverkehr die Fahrzeugbreite darstellen.

Mögliche Blendung durch Fahrzeugscheinwerfer wird durch adaptive Lichtverteilung verhindert.
Mögliche Blendung durch Fahrzeugscheinwerfer wird durch adaptive Lichtverteilung verhindert.

Positive Rückmeldungen

Seit April 2017 sind Prototypen in einem Porsche Panamera eingebaut. Der Autohersteller testet seither die unterschiedlichen Lichtfunktionen im Rahmen von Probandenstudien. „Die Probanden und Experten, die ohne Informationen zum Gegenstand der Tests auf Testfahrt gehen, erkennen die Potenziale der neuen Lichtfunktionen sofort und bewerten diese sehr positiv“, zieht Porsche-Sprecher Dr. Hermann-Josef Stappen ein Zwischenfazit. Auch Christiane Reinert-Weiss konnte eine Testfahrt begleiten. Ihr Resümee: Das Fernlicht wird so exakt und schnell angepasst, dass die Passagiere davon nichts mitbekommen, während der Gegenverkehr lediglich das normale Abblendlicht sieht.

„Die Idee an sich ist schon viele Jahre alt“, sagt die Ingenieurin, „aber erst heute gibt es die technischen Möglichkeiten, sie auch umzusetzen.“ Das IGM sei dabei konkurrenzlos gewesen, so Christiane Reinert-Weiss. Denn europaweit gibt es keine weitere öffentliche Einrichtung, die sämtliche Prozessschritte bis hin zur Herstellung eines fertigen Prototyps übernehmen kann.
Jens Eber

Dipl.-Ing. Christiane Reinert-Weiss, Institut für Großflächige Mikroelektronik (IGM), Tel.: +49 711/685-66930, E-Mail

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