Leicht-Sinnig

Der Elytra Filament Pavilion basiert auf der Leichtbauweise von Käferflügeln

Konstruktion, Design und Engineering nach dem Vorbild der Natur begeisterte die Besucher des Victoria & Albert Museum in London.
[Foto: V&A London]

Anders als der Mensch konstruiert die Natur mit Fasern: Pflanzen aus Cellulose, Insekten aus Chitin, Wirbeltiere aus Kollagen. Warum nicht dieses Prinzip ins Bauwesen übertragen, dachten sich Forscherinnen und Forscher der Universität Stuttgart. Ein Pavillon, der mit ihrer neuartigen Methode entstand, war im Jahr 2016 die Hauptattraktion des Victoria & Albert Museums in London.

Vor 165 Jahren war das Victoria & Albert Museum in London gegründet worden, um die Einflüsse der Industrialisierung auf die Gesellschaft aufzuzeigen. 2016 wollte das Museum mit der weltgrößten Kunstund Designsammlung verdeutlichen, wie sehr das Ingenieurwesen das 20. Jahrhundert geprägt hat. Der Publikumsmagnet im Innenhof zu dieser „Engineering Season“, der „Elytra Filament Pavilion“, hat seine Wurzeln an der Universität Stuttgart. Der Entwurf dieses Exponats basiert auf dem inneren Aufbau von Käferflügeln. Damit entschieden die Stuttgarter den Wettbewerb um das Exponat im John Madejski Garden für sich.

Der Elytra Filament Pavilion der Universität Stuttgart war ein Publikumsmagnet der Kunst- und Designsammlung des Victoria & Albert Museums in London 2016.
Der Elytra Filament Pavilion der Universität Stuttgart war ein Publikumsmagnet der Kunst- und Designsammlung des Victoria & Albert Museums in London 2016.

„Unsere Idee war, aufzuzeigen, wie sich Engineering und Design in Zukunft begegnen können“, erklärt der Architekt Prof. Achim Menges, Leiter des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen der Universität Stuttgart. Das Team um Menges und den Bauingenieur Prof. Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen hat dafür ein Roboterverfahren verfeinert – eine eigens programmierte Software entwarf die Struktur. Anschließend wickelte ein Roboter Glas- und Kohlefasern, die mit Epoxydharz getränkt waren, auf ein sechseckiges Leergerüst. Der Clou: Der Industrieroboter baute keinen fertigen Entwurf nach, sondern die Fasern fanden ihre Lage beim Wickeln von selbst.

So entstanden 45 komplexe Sechsecke, jedes in seiner Faserstruktur einzigartig und auf die jeweilige Funktion im Dach angepasst. Für das Team war dieses Herangehen völlig neuartig: „Entwurf und Fertigung greifen nahtlos ineinander“, sagt Menges. Die Bauweise hatten sich die Forscher von den Deckoder auch Panzerflügeln, den sogenannten Elytren, einheimischer Käferarten abgeschaut. Gebildet werden diese aus einer Ober- und Unterschale, die wie flache Waben untereinander verbunden sind. Da, wo sie sich berühren, sorgen unterbrechungslos durchlaufende Fasern aus Chitin für Festigkeit. Dazwischen sind die Flügel hohl.

Der Elytra Pavillon besteht aus Glas- und Carbonfaserzellen.
Der Elytra Pavillon besteht aus Glas- und Carbonfaserzellen.

Nach diesem Vorbild schuf das Forscherteam eine hochfeste, aber extrem leichte Konstruktion. Das gesamte Dach mit 225 Quadratmeter Fläche wog 2,5 Tonnen – so viel wie zwei Quadratmeter der Backsteinfassade des Victoria & Albert Museums. Für Menges verkörpert der Elytra Filament Pavilion „das Zusammendenken von architektonischem Entwurf, ingenieurhafter Konstruktion und neuesten Fertigungsmethoden“. Sie ist typisch für den transregionalen Sonderforschungsbereich SFB/TRR 141, dessen Sprecher Jan Knippers ist.

Der interdisziplinäre und integrative Ansatz dieses Bereichs bringt Architekten und Ingenieure der Universität Stuttgart, Biologen und Physiker der Universität Freiburg sowie Geowissenschaftler und Evolutionsbiologen der Universität Tübingen zusammen. Aktuell spinnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Prinzip an einem neuen Pavillon weiter: „Jetzt haben wir zwei Roboter, die sehr weit auseinander stehen, und eine Drohne, die die Fasern vom einen zum anderen fliegt“, berichtet Menges. Irgendwann könnten Maschinen auf diese Weise womöglich komplette Stadiondächer bauen. Der Prototyp dafür wird vom Frühjahr 2017 an auf dem Uni-Campus Stadtmitte zu sehen sein. Daniel Völpel

  • Prof. Achim Menges, Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD), Tel. +49 711 685 81929, E-Mail, Website

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