Klimaerwärmung ist ein Kultur- und Naturthema

Plädoyer für eine Partnerschaft von Natur- und Geisteswissenschaften

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, plädiert für eine besser Zusammenarbeit von Natur- und Geisteswisschenschaft. Gründe dafür gebe es viele.

Interdisziplinarität, das Zusammenwirken der Natur-, Ingenieur-, Sozial- und Geisteswissenschaften sind als der Kerngedanke des „Stuttgarter Wegs“ im Leitbild der Universität Stuttgart verankert. Warum dieses Miteinander unabdingbar ist und welche Fragen die Stimme der Kultur stellen kann, beleuchtet der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, am Beispiel des Klimawandels.

Die Einflüsse der menschlichen Kultur auf die Natur, also unsere Umwelt, sind unübersehbar und kein Fleckchen der Erde ist von ihnen verschont. Trotzdem machen wir gerne einen Unterschied zwischen einer vermeintlichen natürlichen Umwelt und einer unnatürlichen, also von Menschen beeinflussten Umwelt. Bei dem Wort „natürlich“ assoziieren wir sofort „ursprünglich“, „unberührt“, „rein“, „sauber“, also zumindest „nicht künstlich“. Doch dieses Ideal von natürlicher Natur ist eine Fiktion: Überall, wo die menschliche Kultur ihre Spuren hinterlassen hat, ist die vermeintliche Unberührtheit dahin. Heute sind diese menschlichen Kulturspuren in den tiefsten Tiefen der Meere, auf den höchsten Bergen und sogar im ewigen Eis zu finden.

„Schuld“ daran ist die menschliche Natur. Wir wollen unsere Umwelt kultivieren. Kultur, vom lateinischen cultura „Bearbeitung“, „Pflege“, „Ackerbau“, bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Aber nicht als Selbstzweck, sondern als notwendige Maßnahme, um in der Umwelt überleben zu können. Die Vorstellung gerade von Naturfreunden, dass mit weniger kultureller Beeinflussung die Natur besser, weil unberührter sei, ist aus der Sicht eines Menschen eher eine akademische als eine praktische Frage. Ohne Zweifel wäre die Natur ohne den Menschen nicht Kultur, vielleicht auch schöner, aber der Mensch könnte in ihr nicht leben. So weit geht dann die Naturliebe auch des größten Naturfreundes wohl doch nicht.

Mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten

Trotzdem beschreiben die Begriffe Kultur und Natur in den gesellschaftlichen Debatten der vergangenen Jahrzehnte mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten. Diejenigen, die sich für die Natur einsetzten, und diejenigen, die sich für die Kultur engagierten, standen sich oft wie feindliche Brüder gegenüber. Doch ist dieser alte Gegensatz noch zeitgemäß? Denn, wenn es die unberührte Natur nicht mehr gibt, dann ist alles um uns herum Kulturnatur oder Naturkultur. Das bedeutet aber gerade nicht, dass der Mensch keine Verantwortung für seine Umwelt hätte. Gerade weil er der universelle Gestalter ist und obwohl er diese Gestaltung auch nicht einfach abstellen kann, ist er für sein Tun, also die Art und Weise der Gestaltung mit all ihren Auswirkungen, verantwortlich. Er trägt Verantwortung für das Artensterben, die Erderwärmung und den Raubbau an den Schätzen der Natur.

Erderwärmung aus kultureller Perspektive

Das Klima ist ein gutes Beispiel für die Dualität von Kultur und Natur. Unsere kulturelle Entwicklung ist maßgeblich vom Klima gestaltet worden. Das Römische Reich konnte sich vor mehr als zweitausend Jahren leichter ausdehnen, als die Alpenpässe – wegen der Klimaerwärmung – auch im Winter leichter nutzbar wurden. Fast tausend Jahre später zerstörten nach einer deutlichen Abkühlung Gletscher viele römische Straßen in den Alpen und beschleunigten den Untergang des Römischen Reiches. Nord- und Nordwesteuropa wurden wegen der Klimaänderung zu dieser Zeit von Hungersnöten heimgesucht, die, so glauben Wissenschaftler, den Anstoß für die Völkerwanderung, einen fundamentalen kulturellen Aufbruch, gaben. Später lösten Erwärmungen im Osten Dürreperioden aus, die den Handel der damaligen Zeit nachhaltig schädigten und höchstwahrscheinlich auch zur Zerstörung der Seidenstraße führten.

Die Dualität von Kultur und Natur muss sich auch im Hochschulalltag deutlicher zeigen.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Kulturrates

Wechselwirkung: Umwelt und Kultur

In Nordeuropa wirkte sich die Erwärmung dagegen überwiegend positiv aus. Es wurde grüner, Landwirtschaft wurde auch in Höhenlagen möglich. Die steigende landwirtschaftliche Produktion ermöglichte die Versorgung einer wachsenden Bevölkerung und den Ausbau von Handel und Gewerbe. Die kleine Eiszeit beendete diese kulturelle Aufwärtsbewegung. Die Pest und der Hunger hatten Europa fest im Griff. Der religiöse Fundamentalismus, auch eine Kulturerscheinung, nahm damals dramatisch zu. Kriege waren an der Tagesordnung. Flucht war oftmals die einzige Rettung. Seit 150 Jahren erwärmt sich das Klima wieder. Dieses Mal ist der Mensch nicht nur Opfer oder Nutznießer dieser Entwicklung, sondern er ist auch selbst mitverantwortlich für diese Veränderung. Schon jetzt zeigen sich die Wirkungen weltweit. Der Nothilfekoordinator der UN, Stephen O’Brien, schlug im März dieses Jahres Alarm. In Afrika und Asien drohen 20 Millionen Menschen zu verhungern. Gründe sind Krieg, Vertreibung, Missmanagement, aber auch der Klimawandel. Zunehmen werden weltweit das Auftreten von Wirbelstürmen, Hitzewellen, Überschwemmungen und anderen Extremereignissen. Parasiten und tropischen Krankheiten werden sich auch in Mitteleuropa ausbreiten und immer mehr Menschen werden vor den Umweltkatastrophen, besonders in Afrika und Asien, auch nach Europa flüchten. Die Klimaänderungen haben unsere Kultur verändert und werden sie auch in der Zukunft massiv prägen.

Zur Person
Olaf Zimmermann, Jahrgang 1961 und gelernter Kunsthändler, ist seit März 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, des Spitzenverbands der Bundeskulturverbände mit 257 Mitgliedsorganisationen. Ziel dieser Institution ist es, kulturpolitische Diskussion auf allen politischen Ebenen anzuregen und für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit ein-zutreten. Zudem ist Zimmermann Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates sowie Koordinator und Moderator der Initiative kulturelle Integration.

Schnelles Gegensteuern unumgänglich

Die gerade stattfindende Erderwärmung, die wir Menschen zumindest stark mitbefördern, wird keinen kulturellen Segen bringen. Die Zahlen liegen auf dem Tisch, die Notwendigkeit eines schnellen Gegensteuerns ist eigentlich unumgänglich. Warum passiert trotzdem so wenig?

  • Weil die Klimaerwärmung nicht als Kulturthema, sondern nur als Naturthema gesehen wird.
  • Weil es versäumt wurde, Umweltbildung als essenziellen Teil der kulturellen Bildung und umgekehrt zu verstehen.
  • Weil es zugelassen wurde, dass Kultur und Umwelt als ein Gegensatz statt einer Einheit wahrgenommen werden.

Nebeneinander war gestern

Doch was bedeutet das für einen Kulturverband wie den Deutschen Kulturrat? Es ändert die bislang schön aufgeteilten Verantwortlichkeiten. Die einen kümmern sich um die Natur, die anderen um die Kultur. Die einen sind Naturwissenschaftler, die anderen Kulturwissenschaftler. Die einen sind Umweltpolitiker, die anderen sind Kulturpolitiker. Die einen engagieren sich in Umweltverbänden, die anderen in Kulturverbänden. Auch an den Hochschulen ist die meist strikte Trennung der Natur- und der Geisteswissenschaften schädlich für den Blick über den wissenschaftlichen Tellerrand. Die Natur- und die Geisteswissenschaften müssen sich gemeinsam dem Thema Klimawandel annehmen und gemeinsame Lösungen erarbeiten. Den Luxus eines Nebeneinanderher- Arbeitens können wir uns nicht mehr erlauben. Die Dualität von Kultur und Natur muss sich auch im Hochschulalltag deutlicher zeigen. Bislang hat sich der Kulturbereich aus Naturthemen weitgehend herausgehalten. Mit Blick auf Themen wie die Klimaerwärmung lässt sich erkennen, wie unverantwortlich das ist. Da in diesem Jahr die 23. Weltklimakonferenz in Bonn (6.-17.11.) stattfindet, besteht die Chance, Umweltschutzfragen als Kulturfragen gemeinsam neu zu bewerten. Fangen wir gemeinsam an! Olaf Zimmermann

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