Einsturzgefahr gebannt

Bauingenieur Akanshu Sharma aus Indien macht Gebäude sicherer

Von Erdbeben bis Terroranschlag: Die Forschung eines indischen Bauingenieurs untersucht die möglichen Schwachstellen von Gebäuden und bietet Lösungen zur Behebung.

Egal ob Erdbeben, Terroranschläge oder Explosionen: Bauwerke sollen ganz unterschiedlichen Gefahren standhalten. Der Bauingenieur Akanshu Sharma untersucht, wo Gebäude Schwachstellen haben und wie sie sich nachträglich gegen Erschütterungen, heftige Aufprälle oder Feuer wappnen lassen. Im Januar 2017 trat er an der Universität Stuttgart die Junior- Professur „Innovative Verstärkungsmethoden mit Befestigungen“ an. Gestiftet wird sie von der Unternehmensgruppe Fischer, dem Weltmarktführer für Befestigungstechnik.

Eine Serie von Erdbeben im Mittelitalien forderte 2016 über 300 Todesopfer, zerstörte zahlreiche Häuser und machte Zehntausende Bewohner obdachlos. Auch in Deutschland bebt die Erde mehrere Hundert Male pro Jahr – vor allem im Rheintalgraben, in der Region Schwäbische Alb und in der Umgebung von Gera. Meist sind es schwache Erschütterungen, die wir kaum registrieren. Durchschnittlich alle 30 Jahre treten auch hierzulande stärkere Erdbeben auf. Sie haben zwar keine katastrophalen Ausmaße, hinterlassen jedoch deutliche Spuren. Das schwerste eines solchen Bebens seit 1900 ereignete sich 1992: Das Epizentrum lag nahe des niederländischen Städtchens Roermond, die Stärke betrug 5,9 auf der Richterskala. Häuser wackelten, Schornsteine und Dachziegel fielen herab und Bäume stürzten um. Es entstand Sachschaden in Millionenhöhe.

Bauingenieur Akanshu Sharma
Bauingenieur Akanshu Sharma

Eine einheitliche Erdbebengefährdungskarte für Europa aus dem Jahr 2013 zeigt, dass Erdbeben mit einer Stärke größer 6 auch für Deutschland nicht unwahrscheinlich sind. „In diesen Fällen wären viele Gebäude in den erdbebengefährdeten Regionen Deutschlands nicht sicher“, sagt Akanshu Sharma vom Institut für Werkstoffe im Bauwesen. Das gilt besonders für Gebäude, die vor 1980 gebaut wurden. Damals hatten Ingenieure die Gebäude noch nicht darauf ausgelegt, den mitunter gewaltigen horizontalen Kräften standzuhalten, die bei dem ruckartigen Hin und Her des bebenden Untergrunds auftreten. Der Bauingenieur kritisiert, dass selbst heute viele Deutsche die Erdbebengefahr für ihr Land nicht wahrnehmen. „In stärker erdbebengefährdeten Ländern wie Japan und USA, aber auch in Italien und Indien sind die Richtlinien für erdbebensicheres Bauen viel strenger“, sagt der 38-Jährige.

Heutige Häuser bestehen in der Regel aus einem Stahlbetonrahmen, in den die Decken und Wände eingebaut sind. Schwachstellen älterer Gebäude sind meist die Knotenpunkte in diesen Stahlbetonrahmen, also dort, wo senkrechte Säulen und waagerechte Balken aufeinandertreffen. Die größte Gefahr droht, wenn durch das Erdbeben eine tragende Säule des Gebäudes ohne Vorwarnung einknickt, sodass die Decke einstürzt und womöglich Menschen unter sich begräbt. „Unser Ziel ist, dass die Bewohner rechtzeitig rauskommen und überleben“, erklärt Sharma. Kleinere Risse im Balken seien akzeptabel, er dürfe sich auch durchbiegen. Hauptsache, der Zerfall kündigt sich an und das Gebäude stürzt nicht sofort wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Beton hat keine hohe Zugfestigkeit

„Anders als bei normalen Gebäuden, erlauben wir bei Atomreaktoren keinerlei Risse, durch die nukleare Strahlung entweichen könnte“, erklärt der Inder, der in seiner Heimat als Bausicherheitsexperte beim Atomforschungszentrum BARC (Bhabha Atomic Research Centre) tätig war. Hauptgrund für den Gebäudekollaps ist der Beton, der zwar hervorragend dem Druck schwerer Gegenstände standhält, aber bei Zug versagt. Ist der Rahmenknoten zudem nicht ausreichend mit einbetonierten Bewehrungsstäben aus Stahl verstärkt, kracht er zusammen. Im Vergleich zu Beton hat Stahl nämlich eine hohe Zugfestigkeit, lässt sich also verformen, ohne dass er gleich bricht. Die empfi ndlichen Rahmenknoten in älteren Gebäuden können Ingenieure auch nachträglich noch erdbebensicher machen. Eine Möglichkeit, die Sharma in seiner Doktorarbeit an der Universität Stuttgart gefunden hat, sind Stahldiagonalen, montiert in die Innenecken des Rahmenknotens. Dadurch werden die Kräfte teils um den Rahmenknoten geleitet; Risse treten nicht mehr im Knoten, sondern allenfalls im Balken auf. Das funktioniert nach den Erkenntnissen von Sharma jedoch nur, wenn die Stahldiagonalen fest an den Beton angeschlossen sind.

Befestigte er einen Stahlwinkel mit diagonal aufgeschweißter Platte auf einen maßstabsgetreu nachgebildeten Rahmenknoten, so hing das Verhalten im Wesentlichen vom Verhalten des Befestigunsmittels ab. Als Befestigungsmittel verwendete Sharma beispielsweise Betonschrauben, Metallspreizdübel oder in das Bohrloch des Betons geklebte Verbunddübel. Sind diese für gerissenen Beton und seismische Belastung ungeignet, so ergeben sich unerwünschte Versagensarten. „Es kann beispielsweise zu starken Verschiebungen des Befestigungsmittels kommen, die wiederum eine Schwächung der Stahldiagonalen bewirken“, hat Sharma beobachtet. Ob sich ein Befestigungsmittel für diese Anwendung eigne, lasse sich anhand der Daten aus der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung abschätzen, so der Experte.

Erdbebensicherheit im Voraus kennen

Ursprünglich hatten Forscher in Neuseeland die Idee, die Stahldiagonale über Gewindestangen in dem Stahlbetonrahmen zu befestigen, die sie komplett durch Balken und Stütze trieben. Der Vorteil bei Sharmas Lösung ist, dass der Rahmenknoten nur von innen zugänglich sein muss und die Decke nicht durchbohrt wird. Er hat auch numerische Modelle entwickelt, um das Versagen einzelner Bauteile im Detail am Computer studieren zu können, und Ingenieursmodelle, die sich in herkömmliche Ingenieursoftware integrieren lassen. Mit Letzteren können Ingenieure berechnen, ob ein bestimmtes Gebäude einem zukünftigen Erdbeben oder einer anderen Belastung aller Voraussicht nach standhalten wird. Dasselbe Szenario lässt sich am Computer anschließend auch mit verstärkten Rahmenknoten durchspielen. So können die Bauexperten berechnen, wie zum Beispiel die Stahldiagonale bemessen sein muss oder welche Befestigung am besten geeignet ist, um das Gebäude künftig erdbebensicher zu machen.

„In der Literatur sind viele dieser Modelle vorhanden, aber die meisten sind für die alltägliche Anwendung zu kompliziert und erfordern einen relativ großen Aufwand“, ist Sharmas Erfahrung. „Mich hat es immer schon fasziniert, wie wir es schaffen können, dass sich Baustrukturen unter bestimmten Bedingungen genau so verhalten, wie wir es wollen, und nicht komplett unvorhersehbar“, sagt Sharma, der schon als Heranwachsender mit seinem Vater, ebenfalls ein Bauingenieur, Hochhaus- Baustellen besuchte. Schließlich studierte auch der Sohn Bauingenieurwesen. Seine spätere Arbeit am indischen Atomforschungszentrum BARC liebte er. Doch Sharma musste auch feststellen: Mehr und mehr Zeit floss in Verwaltungsaufgaben, sodass er nur eingeschränkt forschen konnte. Schließlich wagte er vor neun Jahren das erste Mal den Sprung ins Ausland – und an die Universität Stuttgart. Dank einer indisch-deutschen Kooperation kam er zunächst als Gastwissenschaftler ans Institut für Werkstoffe im Bauwesen. Kurze Zeit später kehrte er für seine Doktorarbeit zurück, die er abwechselnd in Indien und am hiesigen Institut durchführte.

Bauboom versus Sanierung

„Im öffentlichen Dienst in Indien haben wir den Vorteil, dass wir die Versuche kostengünstig durchführen können und die Forschungsarbeiten hauptsächlich durch Eigenmittel finanziert werden. Andererseits bietet Deutschland ein sehr gutes Umfeld und mehr Freiheiten für die Forschung. Das bedeutet allerdings auch, dass man sich um die Finanzierung selber kümmern muss“, sagt Sharma. In Deutschland sticht ihm als Bauingenieur ein Unterschied besonders ins Auge. Sharma kommt aus einem Land, in dem dank des Wirtschaftsbooms inzwischen überall neue Gebäude aus dem Boden schießen und vielerorts Brücken und U-Bahn-Tunnel entstehen. Hierzulande sieht er Ingenieure hingegen mit völlig anderen Herausforderungen konfrontiert: „Die meisten Brücken und Bauten sind älter als 30 Jahre und zeigen erste Verfallserscheinungen. Sie müssen verstärkt und nach und nach erneuert werden“.

Inzwischen ist es vier Jahre her, dass Sharma die Zelte in Indien endgültig abgebrochen hat und mit der Familie nach Fellbach übergesiedelt ist, um seine wissenschaftliche Karriere in Deutschland fortzusetzen. „Obwohl dies keine einfache Entscheidung für uns war, hatte ich die volle Unterstützung meiner Frau und meiner inzwischen elfjährigen Tochter“, sagt er. Als Gruppenleiter für Verstärkungen und Befestigungen beschäftigt sich Sharma mittlerweile auch damit, wie sich Stahlbetonkonstruktionen verhalten, wenn sie einem Brand oder einer Stoßlast ausgesetzt sind, sprich einem heftigen Aufprall. Über allem schwebt die Frage, wie sich Bauten an den Schwachstellen nachträglich verstärken lassen. Im Fokus der neuen Junior-Stiftungsprofessur stehen vor allem Befestigungen für Verstärkungsmaßnahmen – beispielsweise an maroden Bauten, Sharmas Spezialgebiet.

"Weltweit gibt es viele Wissenschaftler, die sich mit Verstärkungsmethoden auskennen, aber nur wenige haben Erfahrung mit Befestigungstechniken."

Akanshu Sharma, Bauingenieur

„Weltweit gibt es viele Wissenschaftler, die sich mit Verstärkungsmethoden auskennen, aber nur wenige haben Erfahrung mit Befestigungstechniken“, hat Sharma beobachtet. Einer, der sich bereits vor über 50 Jahren mit Befestigungen beschäftigte, war der Erfinder Artur Fischer, der mit seinem Fischer-Dübel weltweit bekannt wurde. Das von Fischer gegründete Unternehmen stellt in den kommenden sechs Jahren knapp 1,6 Millionen Euro für die Juniorprofessur an der Universität Stuttgart zur Verfügung. Rückblickend war der Wechsel von Indien nach Deutschland ein großer Schritt für Sharma, den er aber keineswegs bereut. Die anfänglichen Sprachprobleme sind weitestgehend überwunden, auch wenn er sich als eingefleischter Kinofan Filme immer noch lieber auf Englisch anschaut. „Wenn man sich eingelebt hat und die Sprache kann, ist das Leben hier sehr einfach“, meint Sharma. Einzig, dass die Läden sonntags geschlossen haben, daran hat er sich noch nicht so ganz gewöhnt. Helmine Braitmaier

  • Jun.-Prof. Akanshu Sharma,  Institut für Werkstoffe im Bauwesen, Tel. +49 711 685-68034, E-Mail, Website

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