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Wie Maschinelles Lernen in der Luftfahrt das Fliegen verbessert
[Foto: Universität Stuttgart/IFB/IFR]

Am Beispiel der Segelfliegerei wollen die Forscherinnen und Forscher am Institut für Flugmechanik und Flugregelung (IFR) der Universität Stuttgart Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich der Luftverkehr in Zukunft ökoeffizienter gestalten lässt.

Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) erweitern das Spektrum der Methoden auch in der Flugregelung. „Diese neuen Methoden untersuchen wir kritisch, folgen dabei der populären Welle aber nicht einfach blindlings, sondern versuchen KI in den klassisch systemtheoretischen Kontext einzuordnen“, erklärt Prof. Walter Fichter, Leiter des Instituts für Flugmechanik und Flugregelung. In seinem Team beschäftigt er mit Pascal Groß und Stefan Notter zwei Wissenschaftler, die sich im Rahmen des Forschungsprojekts TakEOF, kurz für „Taktisches EnergieOptimales Fliegen“, mit diesem Aspekt befassen. Ein höherer Automatisierungsgrad bis hin zum autonomen Fliegen soll zum Ziel einer umweltfreundlicheren Luftfahrt unterhalb der Wolkenbasis beitragen.

Segelflieger am Boden
Segelfliegen verlangt Abwägung, Erfahrung und Empfindung.

Aktuell kommen Beiträge zur Automatisierung aus zwei Richtungen: aus der Systemtheorie und der Informatik. „Wir gehören zur ersten Fraktion, sind aber eigentlich Anwender“, so Fichter. Konkret entstehen am Institut unter anderem die Algorithmen für ‚Urban Air Mobility Vehicles‘ – besser bekannt als Flugtaxis – wie dem Volocopter und City Airbus. Ob unterhalb der Wolkendecke oder im All: Die Fragestellungen und Probleme seien ähnlich, meint Fichter.

Dass die Wahl letztlich auf das Segelfliegen fiel, hat fundierte Gründe: Diese Art des Fliegens ist vielschichtig, verlangt Abwägung, Erfahrung und Empfindung. Alles dreht sich um die Thermik und deren möglichst intelligente Nutzung. „Piloten müssen vieles leisten. Segelfliegen ist aber noch fordernder als die motorisierte Fliegerei“, resümiert Fichter. „So reifte in uns die Überzeugung, dass die hier geforderten Parameter sich als Messlatte auf breiter Ebene eignen“, berichten Pascal Groß und Stefan Notter, die das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) auf zwei Jahre geförderte Projekt erdacht haben und bearbeiten.

Methoden finden ihre Nischen

Wie immer bei neuen Methoden, stellt sich auch für die Flugmechanik die Frage, wo sich die KI festsetzt. „Wir sind gerade dabei zu untersuchen, wie sich klassische Regelungstechnik nutzbringend mit Methoden aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz – insbesondere des Maschinellen Lernens – vereinen lassen“, sagt Notter. Fichter betont die notwendige Offenheit im Ergebnis. „Die Regelungstechnik hat ihre Ursprünge in den 1940er-Jahren und seither viele Wellen neuer Methoden durchlebt. Diese wurden zunächst immer kritisch beäugt, haben aber mit der Zeit stets ihre Anwendungen und Nischen gefunden“, weiß er aus Erfahrung.

Segelflieger am Himmel
Segelfliegen sei noch fordernder als die motorisierte Fliegerei, sagt Fichter.

Natürlich hofft man im IFR, eine solche Nische mit den neuen Verfahren erfolgreich besetzen zu können. Zumal erste Ergebnisse vorliegen, die zumindest in einem abgegrenzten Bereich vielversprechend aussehen. „Wir halten es für spannend, das Szenario des Wettbewerb-Segelflugs, das in manchen Aspekten einem Brettspiel gleicht, mit Methoden des Maschinellen Lernens zu automatisieren“, berichtet Notter. „Wir sind vorsichtig optimistisch, mit diesem Verfahren das zu erreichen, was ein guter menschlicher Pilot zu leisten im Stande ist.“

Wir halten es für spannend, das Szenario des Wettbewerb-Segelflugs, das in manchen Aspekten einem Brettspiel gleicht, mit Methoden des Maschinellen Lernens zu automatisieren.

Stefan Notter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugmechanik und Flugregelung

Es sei schon eine echte Herausforderung, dem mathematischen Optimum nahezukommen. „Bei einem Szenario, bei dem wir alle Randbedingungen kennen, alle Informationen haben, können wir ein optimales Verhalten zwar mühsam, aber sehr gut auch mit klassischen Verfahren errechnen. Denn wir wissen, wie sich ein Flugzeug in ruhiger Atmosphäre verhält.“ Gibt es aber zusätzliche Umgebungsbedingungen, etwa in Form einer Aufwindverteilung, die zunächst nicht bekannt sind, kann man sich durch Bestärkendes Lernen, einer Form des Maschinellen Lernens, dennoch einer optimalen Lösung annähern. Notter erklärt: „Diese optimale Lösung basiert darauf, dass wir schon vorher genau wissen, wie die Umgebung aussieht. Und obwohl unser Agent, der mit Bestärkendem Lernen trainiert wurde, das nicht weiß, ist er trotzdem in der Lage, sich basierend auf seinen gesammelten Erfahrungen sinnrichtig in dieser ihm zunächst unbekannten Umgebung zu bewegen.“ Die Wissenschaftler am IFR halten diese Form von KI für eine geeignete Methode, „weil wir es eben mit einer unbekannten Atmosphäre zu tun haben, die wir davor schwer modellieren können“.

Massenhafter Datenabgleich

Um vorhersagen zu können, unter welchen Bedingungen Aufwinde auftreten, braucht es massenhaft Daten. Weil die Segelflieger ihre Überlandflüge allesamt aufzeichnen und die Daten zugänglich sind, können Groß und Notter über 26.000 Segelflüge mit über 110 Millionen Positionsmessungen auswerten: „Es wird alle paar Sekunden gemessen, wo das jeweilige Flugzeug gerade ist.“ Zusätzlich zu diesen Daten können die Wissenschaftler auf die Daten des Deutschen Wetterdienstes zugreifen, die oftmals stundenaktuell eingehen. „Allein das sind mehrere Gigabyte pro Tag.“ Diese Datenmengen, die sich oft auf unterschiedliche Koordinatensysteme beziehen, müssen per Softwareprogramm aufeinander abgestimmt werden. Eine knifflige Angelegenheit. Aber genau das ist die Stärke des Instituts: „Wir sind sehr algorithmenlastig, aber wir entwerfen die Algorithmen nicht nur. Es geht uns darum, sie zu implementieren, um sie testen zu können.“

Ein Folgeprojekt, in dem es um die unmittelbare Anwendung geht, ist schon beantragt: Gerade bei Katastropheneinsätzen wie bei Waldbränden ist die Energiebilanz der Flugzeuge wichtig, um möglichst lange in der Luft bleiben zu können. „Hier ist der Clou, dass sich mehrere unbemannte Flugzeuge ergänzen sollen“, sagt Notter. Klar ist schon jetzt, dass das Nutzen von Aufwinden viel Sprit spart. „Somit kann das unbemannte System wesentlich mehr Nutzlast mit sich führen – oder eben deutlich länger fliegen.“

Susanne Röder

Prof. Walter Fichter und Stefan Notter
Institut für Flugmechanik und Flugregelung, Universität Stuttgart
Teamseite des IFR

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