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Forschende aus Medizin und Signalverarbeitung nutzen Künstliche Intelligenz für verbesserte Diagnostik

Ein Roboter, der Menschen untersucht und Diagnosen stellt, ist wissenschaftlich- technische Zukunftsmusik und wird es vorerst auch bleiben. Doch die Künstliche Intelligenz ist heute schon in der Lage, die Diagnostik zu unterstützen. Am Institut für Signalverarbeitung und Systemtheorie (ISS, Leitung Prof. Bin Yang) der Universität Stuttgart laufen hierzu gleich mehrere Forschungsprojekte.

Künstliche Intelligenz (KI), die auf der Suche nach schwerwiegenden Erkrankungen Aufnahmen des menschlichen Körpers prüft – vielen Menschen dürfte dieser Gedanke erst einmal Unbehagen bereiten. Denn für die meisten sind Wissen und Erfahrung von Ärztinnen und Ärzten zu wichtig, als dass sie ihre Gesundheit einer Maschine überlassen wollten. Dabei sieht es so aus, als habe KI gerade in der Medizin Hochkonjunktur.

Das ist der Punkt, an dem Annika Liebgott gleich einhakt: „Ich denke, Ärzte lassen sich nicht komplett ersetzen – und das will auch niemand.“ Hauptziel sei vielmehr, Medizinerinnen und Medizinern mit den Mitteln der Künstlichen Intelligenz gute Werkzeuge für ihre Arbeit an die Hand zu geben. Insgesamt vier Doktorandinnen und Doktoranden sowie ein Postdoc arbeiten am ISS aktuell an den Schnittstellen zwischen Medizin und Informationstechnik. In dem von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) unterstützten Schwerpunkt laufen nicht nur Arbeiten an mehreren Projekten, das ISS pflegt darin auch die enge Zusammenarbeit mit der diagnostischen und interventionellen Radiologie des Universitätsklinikums Tübingen.

Technisierung schafft neue Spielräume

Aus Sicht von Doktorandin Liebgott ist gerade das Zusammenspiel von Medizin und Ingenieurwesen äußerst fruchtbar. Am ISS werden methodische Untersuchungen über Signalverarbeitung und maschinelles Lernen, in den vergangenen Jahren besonders intensiv über Deep Learning und KI, durchgeführt. Diese methodischen Kenntnisse werden dann auf medizinische Fragestellungen übertragen, die in enger Kooperation mit den Experteninnen und Experten in Tübingen sind. „Wir sind zwar begeistert vom Thema, aber eben keine Mediziner“, erklärt die 29-Jährige. „In der Zusammenarbeit mit Tübingen können wir unsere Ergebnisse immer sofort auf ihren medizinischen Wert hin überprüfen.“

Annika Liebgott und Radiologen
Das Team um Annika Liebgott (Mitte) vom ISS der Universität Stuttgart und Radiologen des Universitätsklinikums Tübingen wollen mithilfe von KI in Aufnahmen des menschlichen Körpers nach schwerwiegenden Erkrankungen suchen.

Aktuell wird am ISS zum Beispiel an der Detektion von Bewegungsartefakten gearbeitet. Diese entstehen unter anderem, wenn sich Patienten im MRT versehentlich bewegen. Ein Modell der Zukunft könnte sein, störende Bewegungsartefakte noch während des Scans zu erkennen und einzelne Körperpartien erneut aufzunehmen. Dies würde Kosten sparen und die Patientinnen und Patienten schonen, die nicht erneut „in die Röhre“ müssten. Auch die automatische Korrektur von unvermeidbaren Bewegungsartefakten, beispielsweise durch den Herzschlag, wird am ISS erforscht.

Ein weiteres Projekt befasst sich mit der Immuntherapie bei Krebserkrankungen. Anhand von Bildern, die vor und nach Behandlungsbeginn erstellt werden, versucht man abzuschätzen, wie sich der Behandlungsverlauf entwickeln wird. „Wir können den Radiologen viel Zeit abnehmen“, ist Annika Liebgott überzeugt. Zwar gibt es heute mehr Bilder vom menschlichen Körper denn je. Allerdings muss zum Beispiel die Vielzahl an Bildschichten eines MRT-Scans manuell durchgesehen werden. Hin und wieder lässt es sich außerdem nicht vermeiden, die Bilder für bestimmte Fragestellungen zunächst aufzubereiten. „Mediziner haben aber besseres zu tun, als Bilder zu bearbeiten“, ist sich die Doktorandin sicher. „Die manuelle Segmentierung von Organen ist beispielsweise enorm zeitaufwendig. Am ISS forschen Kollegen daher an automatisierten Ansätzen mithilfe von Deep Learning.“ Nehme man ihnen Routineaufgaben ab, senke dies zum einen die Kosten, vor allem aber bleibe den spezialisierten Ärztinnen und Ärzten mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe – die Diagnose.

Die Akzeptanz steigt mit dem Nutzen

Diese Aussicht, sich mehr auf die eigenen Kernkompetenzen konzentrieren zu können, war auch ein entscheidender Faktor für die Kooperation mit Tübingen, erzählt Annika Liebgott. Zu Beginn hätten manche Radiologinnen und Radiologen dem Thema Künstliche Intelligenz eher skeptisch gegenübergestanden. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre habe sich das jedoch gewandelt: Immer öfter kämen heute auch Mediziner mit speziellen Fragestellungen auf die Stuttgarter Signalspezialisten zu. Die Frage der Akzeptanz stellt sich selbstverständlich auch bei den Betroffenen. Wie werden Menschen darauf reagieren, wenn Künstliche Intelligenz in so sensible Bereiche wie die Diagnose schwerer Erkrankungen vordringt? „Das wird auf die jeweilige Anwendung ankommen“, sagt Liebgott. Gegen eine Bewegungskorrektur auf den Bildern werde sich kaum jemand verwehren. Je mehr sich „Maschinen“ tatsächlicher Diagnose näherten, umso großer könnten Bedenken sein.

Mediziner haben aber besseres zu tun, als Bilder zu bearbeiten.

Annika Liebgott

Auch hier verweisen die Forschenden am ISS vor allem auf die unterstützende Funktion der KI und die realistischen Potenziale der Technologie. Ein Rechner, der komplette Diagnosen erstellen kann, braucht zunächst riesige Datenmengen für seinen Lernprozess. Spätestens bei selteneren Krankheiten ist die verfügbare Datenmenge viel zu gering, um damit einen Rechner zu „trainieren“. Viel sinnvoller erscheint es daher, Künstliche Intelligenz so weit zu entwickeln, dass sie dem Diagnostiker Hinweise und praktische Hilfestellung geben kann. Untersucht ein Arzt beispielsweise gezielt die Lunge eines Patienten, könnte ein Algorithmus parallel die Aufnahmen weiterer Organe und Körperpartien auf Auffälligkeiten hin untersuchen.

Neben dem Projekt zur Immuntherapie untersucht Annika Liebgott derzeit, ob sich in Aufnahmen aus dem Computertomografen Strukturen sichtbar machen lassen, die bislang nur auf Bildern des Positronen- Emissions-Tomografen (PET) erkennbar sind. Da den Patienten für die PET-Untersuchung radioaktiv markierte Stoffe verabreicht werden müssen, ist das Verfahren relativ belastend. Die Forscherin hofft, die Zahl solcher Untersuchungen mit radioaktiv markierten Stoffen reduzieren zu können.

Jens Eber

Annika Liebgott, M. Sc.
Doktorandin am Institut für Signalverarbeitung und Systemtheorie, Universität Stuttgart

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