Gezielt manipuliert: Luftströmung am Flügel

Forschung Erleben

Künftige Flugzeuggenerationen sollen umweltverträglicher fliegen
[Foto: Adobe Stock/ Airbus/A.Doumenjou]

Das Triebwerk ist eine der Stellschrauben, um Lärm, Treibstoffverbrauch und Abgasemissionen in der Luftfahrt zu mindern. Allerdings führen die künftig effizienteren Triebwerke im Zusammenspiel mit den Flugzeugtragflächen zu Nachteilen. Im Projekt INAFLOWT, das Teil des EU-Forschungsvorhabens CleanSky 2 ist, arbeitet ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Instituts für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) der Universität Stuttgart an einer Lösung.

Flugzeughersteller rechnen für die kommenden beiden Jahrzehnte mit jährlichen Steigerungsraten des Luftverkehrs von mehr als vier Prozent. Schon allein aufgrund dieses Wachstums ist es notwendig, dass Flugzeuge weniger Treibstoff verbrauchen und weniger Lärm erzeugen. Das EU-Beratungsgremium ACARE hat diesbezüglich ehrgeizige Empfehlungen für die europäische Luftfahrtbranche ausgegeben: Verglichen mit der besten Technologie, die im Jahr 2000 in Betrieb war, sollen die CO 2 -, Stickoxid- und Lärm-Emissionen bis 2020 um 50, 80 beziehungsweise 50 Prozent sinken. Bis 2050 gar um 75, 90 beziehungsweise 65 Prozent.

Ein Ansatzpunkt für Verbesserungen in diesen Bereichen sind die Triebwerke. Sie verleihen den Flugzeugen den nötigen Schub. Dafür saugen sie große Mengen Luft ein und blasen diese wieder aus – wodurch insbesondere beim Start enormer Lärm entsteht. Als besonders vielversprechend, um diesen Lärm zu reduzieren, gelten Triebwerke mit einem extrem hohen Nebenstromverhältnis. Das heißt, bei ihnen strömt ein großer Teil der ins Triebwerk eintretenden Luft außen an der Brennkammer vorbei, während nur der kleinere Teil durch sie hindurchgeht. Dies erhöht den Wirkungsgrad des Triebwerks.

Luftströmung an Flügel und Triebwerk im Modell: Bei Triebwerken mit einem extrem hohen Nebenstromverhältnis strömt ein großer Teil der ins Triebwerk eintretenden Luft außen an der Brennkammer vorbei, während nur der kleinere Teil durch sie hindurchgeht. Dies erhöht den Wirkungsgrad des Triebwerks und reduziert den Lärm.

Aktuatoren sorgen für Auftrieb

Allerdings haben diese sogenannten Ultra-High-Bypass-Ratio-Triebwerke (UHBR), die bislang noch Gegenstand der Forschung sind, deutlich größere Durchmesser. „Dadurch stören sie die Aerodynamik des Flügels, unter dem sie befestigt sind“, sagt Dr. Thorsten Lutz, Gruppenleiter Luftfahrzeug­ aerodynamik am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik der Universität Stuttgart. Die UHBR-Triebwerke beeinträchtigen diese Umströmung des Flügels, sodass es bei Start und Landung zu Strömungsablösungen kommen kann. Die Folge: „Der erreichbare Auftrieb wird geringer“, erklärt Lutz. Abhilfe könnten sogenannte Aktuatoren bringen, die in die Tragflächen integriert werden. Aktuatoren sind Antriebselemente, die elektrische Signale wie etwa Befehle eines Steuerungscomputers in mechanische Bewegung oder andere physikalische Größen wie beispielsweise Druck oder Temperatur umsetzen. Wie sie zu dimensionieren wären, das untersucht das Stuttgarter Institut gemeinsam mit vier weiteren Partnern aus Israel, Tschechien und Russland im Rahmen des EU-Projekts INAFLOWT.

Modifiziertes Strömungsfeld

„Solche Aktuatoren können über kleine Öffnungen an der Vorderkante des Flügels Luft ausblasen oder absaugen“, erklärt Lutz. Sie modifizieren dadurch das Strömungsfeld und wirken so quasi den Strömungsablösungen entgegen, die durch die UHBR-Triebwerke entstehen. „Für die richtige Dimensionierung und zeitliche Steuerung dieser Aktuatoren muss man eine durch das Ausblasen und Absaugen sehr kompliziert werdende Strömung verstehen, die auch numerisch nur sehr schwer zu berechnen ist“, erklärt Lutz.

Die Aufgabenverteilung im Projekt sieht daher wie folgt aus: Die beiden israelischen Partner entwickeln die Aktuatoren und bauen ein kleines Modell für Tests in ihrem Windkanal. Die beteiligten tschechischen Wissenschaftler simulieren die Strömung im Innern der Aktuatoren, um deren Geometrie zu verbessern. Lutz und sein Team sind für die Simulation der Wechselwirkungen in der Strömung um Triebwerk und Flügel in Anwesenheit der Aktuatoren zuständig. „Am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart stehen uns Supercomputer zur Verfügung, mit denen sich dieses komplizierte Modell überhaupt erst berechnen lässt“, so Lutz. Schließlich werden die russischen Partner, die Ergebnisse mit einem größeren Modell in einem der weltweit größten Windkanäle testen. Ende 2020 sollen die Projektergebnisse vorliegen.
Michael Vogel

Kontakt

 

Hochschulkommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

Zum Seitenanfang