Jun. -Prof. Maria Wirzberger

Klug digital bilden

forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart (Ausgabe März 2021)

Bildungsexpertin Jun.-Prof. Maria Wirzberger macht Lehrkräfte fit für die Digitalisierung – mit kreativen Methoden und Forschung, die Fachgrenzen überwindet.
[Foto: Sven Cichowicz]

Digitale Systeme wie virtuelle Klassenzimmer, zielgruppenorientierte Lernportale oder mobile Apps öffnen große Chancen, um alle Lernenden individuell zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre Potenziale optimal zu entfalten. In der Praxis fehlen allerdings nach wie vor geeignete Konzepte, um die vielen technischen Innovationen in den Bildungsalltag zu integrieren. „Es passiert ganz viel, aber vieles läuft leider auch am Bedarf vorbei“, sagt Maria Wirzberger. Die Bildungsexpertin will intelligente Bildungstechnologien auf den Weg bringen, die später zielgerichtet genutzt werden können. Hierbei setzt sie in der Forschung auf multidisziplinäre Netzwerke. Und in der Lehre hält sie es mit Sokrates: „Ich gehe davon aus, dass ganz viel Wissen in den Lernenden schon vorhanden ist und meine Aufgabe darin besteht, es hervorzubringen.“

Jun.-Prof. Maria Wirzberger

Wirzberger leitet am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart die Abteilung „Lehren und Lernen mit intelligenten Systemen“ (LLiS) und ist mit ihrem Team Teil des Cyber Valley, einer der größten KI-Forschungskooperationen Europas.Die Übernahme der Juniorprofessur war für sie ein weiterer Schritt in einer vielseitigen Karriere. „Ich habe ein ziemlich buntes Profil“, sagt sie. Wirzberger studierte Heilpädagogik, Psychologie und Human Factors und hat eine Ausbildung zum Personal Coach. Sie kennt sich ebenso gut in der Bildungsarbeit mit Kindern und Erwachsenen aus wie mit computergestützten kognitiven Modellen, Digitalisierung und Softwareentwicklung.

Ihr „roter Faden“ ist das Lernen. Um herauszufinden, wie die Menschen dies tun, analysiert sie unter anderem, wie Lernende ihre kognitiven Ressourcen beanspruchen. Oder sie simuliert kognitive Prozesse mittels Computermodellen und gleicht die Modelldaten ab mit menschlichen Bildgebungsdaten. Das Wissen und die Methoden aus Pädagogik, Psychologie und Informationstechnologie zusammenzuführen steht für sie im Fokus, wenn sie Instrumente wie zum Beispiel ein KI-basiertes Training zur Aufmerksamkeitskontrolle weiterentwickelt und in unterschiedlichen Bildungskontexten erprobt.

Digitaler Unterricht per App

Bei der Ausbildung angehender Lehrkräfte setzt sie neben dieser Interdisziplinarität auf Interaktivität und das eigene Tun der Studierenden. In ihre Grundlagenvorlesung zur Pädagogischen Psychologie baut sie beispielsweise „aktive Pausen“ ein. In ihren Seminaren lässt sie neue Ideen und Konzepte mit Lego visualisieren. „Den Studierenden tut es gut zu sehen, was man jenseits der klassischen didaktischen Methoden bewirken kann“, beobachtet sie. Ihre Philosophie transferiert sie beispielsweise mithilfe von Gedankenspielen, kleinen Experimenten oder eingebetteten Quizfragen auch in den digitalen Raum. Ihr eigentliches Ziel aber ist es, das Analoge und Digitale miteinander zu verbinden und das Beste aus beiden Welten zu nutzen. Sie sagt: „Wir müssen uns nicht entscheiden. Selbst wenn wir digitalen Unterricht machen, bewegen wir uns in unserer eigenen physischen Welt.“ Ein Blick auf ihr kürzlich gestartetes Projekt „BeeLife“ zeigt, was damit gemeint ist. 

Neue Konzepte werden auch mal mit Lego visualisiert.

Hier entwickelt Wirzberger mit Forschenden an der Technischen Universität Chemnitz in einem standortübergreifenden Projektteam eine mobile Lern-App, die sich vor allem an jüngere Schülerinnen und Schüler richtet. Sie soll Fünft- und Sechstklässler dafür sensibilisieren, was sie selbst im Alltag tun können, um die Umwelt und bedrohte Wildbienenarten zu schützen. Die Nutzung der App ist deshalb eingebettet in schulische Projektwerkstätten. Konkret geht es im Projekt darum, die natürlichen Lebensräume von Wildbienen zu schützen und damit die Biodiversität zu erhalten. Zu Beginn der App schlüpft eine virtuelle Wildbiene, die von den Kindern wie ein Haustier versorgt wird und zu der die Kinder im Laufe der Zeit eine Bindung aufbauen. 

Ziel ist es, für die eigene Wildbiene durch ökologisch umsichtiges Handeln gute Lebensbedingungen zu schaffen. In der Interaktion lernen die Kinder zum Beispiel, welche Blumen oder Kräuter ihre Wildbiene als Nahrungsquelle braucht. Werden diese Pflanzen dann im Rahmen einer Projektwerkstatt im Schulgarten gepflanzt, lässt sich in der App direkt erleben, wie es dem Insekt nach und nach besser geht. „Solche Erfolgserlebnisse steigern die Motivation und letztlich auch die Lernleistung“, ist Maria Wirzberger überzeugt.

Lehramtsstudierende an reflektierten Umgang heranführen

Wirkmechanismen wie bei BeeLife lassen sich auch auf andere Themen übertragen. Wichtig ist der interdisziplinären Wissenschaftlerin dabei immer, einen niedrigschwelligen Zugang zu intelligenten Lernsystemen zu schaffen, Transparenz über die Nutzung der Daten herzustellen und vor allem die Lehrkräfte zu einem sicheren und reflektierten Umgang mit den neuen Instrumenten zu befähigen. „Wenn wir Digitalisierung in Schulen nachhaltig umsetzen wollen, müssen wir bei den Lehramtsstudierenden anfangen“, betont sie. Hierzu gehört es nach ihrer Überzeugung auch zu vermitteln, welche Auswirkungen KI-gesteuerte Systeme auf die Gesellschaft haben können. Etwa, wenn Algorithmen unbewusste Vorurteile schüren. Wirzberger verweist in diesem Kontext gerne auf den „rassistischen Seifenspender“, der durch die sozialen Medien ging, weil er Seife nur an Menschen mit heller Hautfarbe herausgab. Der Grund: Die Infrarottechnologie wurde vorher nicht mit dunkelhäutigen Händen trainiert.

„Den Studierenden tut es gut zu sehen, was man jenseits der klassischen didaktischen Methoden bewirken kann.“

Jun.-Prof. Maria Wirzberger

„Hier entstehen Fragen, die uns im Alltag alle betreffen“, findet sie. Studierenden schon früh und in unterschiedlichen Zusammenhängen diese Fragen bewusst zu machen: Dies ist auch das Ziel des Lehrforums „Reflecting on Intelligent Systems in the Next Generation“ (RISING). Es entsteht im Rahmen des neuen Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems (IRIS) an der Universität Stuttgart, das Maria Wirzberger gemeinsam mit Steffen Staab als Sprecherin vertritt. Mit RISING will die Hochschule künftig das Thema „KI und Gesellschaft“ quer durch alle Fachrichtungen direkt in der Lehre verankern, zum Beispiel über Module im Bereich der Schlüsselqualifikationen oder im Rahmen von Grundlagenvorlesungen. Hierfür soll ein übergreifendes Lehrforum entstehen, das im ersten Schritt bestehende Angebote bündeln, Zug um Zug aber auch neue Formate und Methoden bereitstellen soll. Die Lehrangebote baut Maria Wirzberger mit ihrem Team und gemeinsam mit allen Stakeholdern auf.

Entscheidend sei zu klären, was die Lehrenden brauchen, um bei ihren Studierenden einen Reflexionsprozess anzustoßen, und welche Themen sie beschäftigen. „Wir schaffen mit unserem Lehrforum einen generischen Rahmen, in den wir dann vielfältigste Inhalte integrieren können“. Bereits 2021 sollen die ersten Reflexionsmodule an der Universität Stuttgart starten. Wirzberger selbst hat schon losgelegt und in ihre eigene Vorlesung zur Pädagogischen Psychologie das Thema „Unbewusste Stereotype und Vorurteile in (digitalem) Lehrmaterial“ aufgenommen. Es ist einer von vielen Bausteinen, mit denen sie angehende Lehrkräfte fit macht für die Digitalisierung – und eine Lehr- und Forschungskultur fördert, in der die „Potenziale des Informationszeitalters für eine bessere und intelligentere Bildungswelt genutzt werden“.

Text: Jutta Witte

Jun.-Prof. Dr. Maria Wirzberger, E-Mail, Tel.: +49 711 685 81176

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