Von Stratosphärenflügen bis Nachhaltigkeitsforschung

August 31, 2010, Nr. 89

Exzellenzinitiative II: Uni Stuttgart mit sechs neuen Anträgen am Start

Die Antragsskizzen, die die Universität Stuttgart am 1. September 2010 für die zweite Phase der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder einreicht, sind mit je 25 Seiten kurz und prägnant. Doch dahinter steht ein intensiver Vorbereitungsprozess, an dem zeitweise mehr als 100 Experten verschiedenster Disziplinen mitgewirkt haben. Das Ergebnis sind insgesamt sechs Anträge in allen drei Förderlinien: Zwei Exzellenzcluster, drei Graduiertenschulen sowie ein Zukunftskonzept mit dem Namen „Kooperativer Forschungscampus Stuttgart – Wissenschaft für die Menschen“. Selbstverständlich gehen auch die Erfolgsprojekte der ersten Phase – der Exzellenzcluster „ Simulation Technology“ sowie die Graduiertenschule „Advanced Manufacturing Engineering“ – wieder an den Start.

Bei der Auswahl wurden sehr sorgfältig Themenfelder definiert, die zukunftsweisend sind und auf denen die Universität durch ihre Wissenschaftler sowie bisherigen Forschungsleistungen bereits heute hervorragend aufgestellt ist. „Wir gehen nach einem sehr harten internen und externen Evaluierungsverfahren mit fünf Antragsskizzen und einem Zukunftskonzept ins Rennen, die uns trotz der extrem scharfen Konkurrenz hoffen lassen, über den bisherigen Exzellenzcluster „SimTech“ und die Graduiertenschule „GSaME“ hinaus weitere Projekte an Land ziehen zu können“, so Uni-Rektor Prof. Wolfram Ressel. „Mit dem Zukunftskonzept eröffnen wir uns zudem eine völlig neue Dimension der Kooperation mit unseren Partnern in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, die höchstem internationalen Niveau entspricht und unabhängig von dem Wettbewerb richtungsweisend ist für die Zukunft unserer Universität.“

Das Zukunftskonzept mit dem Titel „Kooperativer Forschungscampus Stuttgart – Wissenschaft für den Menschen“ rückt die Vision der Universität Stuttgart, zentrale Zukunftsthemen der Menschen vorzudenken und aufzugreifen, in den Mittelpunkt und verknüpft dies mit den besonderen Chancen des Standorts Stuttgart inmitten einer europaweit einzigartigen High-Tech-Region. Für das Zukunftskonzept hat die Universität, basierend auf ihren Stärken, Forschungsleitthemen definiert, um daraus zusammen mit den am Standort ansässigen Akteuren zukunftsrelevante Fragestellungen abzuleiten und diese als Leuchtturmprojekte richtungweisend zu erforschen. Dafür hat die Universität Stuttgart die Idee des kooperativen Forschungscampus Stuttgart entwickelt, mit dem sie die europaweit einzigartige Konstellation der vier Kräfte aus Universität, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Gesellschaft der Region nutzt, um die lokalen Ressourcen im Sinne der globalen Herausforderungen der Zukunft zu vereinen. Der Forschungscampus treibt durch seine gelebte „Open-Innovation-Kultur“ die Erforschung der Themen in einer ganzheitlichen und interdisziplinären Herangehensweise auf höchstem Niveau voran. Diese Synergie wird maßgebliche Erkenntnisse und Innovationen hervorbringen, die eine substanzielle Stärkung der Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft für die Zukunftsfähigkeit des Standortes bewirken und einen nachhaltigen Beitrag zur Lösung globaler Fragestellungen der Zukunft liefern.
Der Untertitel „Wissenschaft für den Menschen“ spiegelt auch das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs während seines gesamten Lebenszyklus, unter anderem auch durch herausragende Lehre, für Wissenschaft zu begeistern, zu gewinnen, zu fördern und zu halten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen im Sinne einer Wissenschaft für den Menschen einen reflektierenden Umgang mit den Themen und Ergebnissen ihrer Forschung pflegen.

Bei den Exzellenzclustern soll sich ein Cluster mit Stratosphärenflügen, also mit Flügen in und durch die obere Schicht der Erdatmosphäre hindurch befassen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die derzeit verfügbaren Flugtechnologien innerhalb der Erdatmosphäre angesichts der Abnahme von Rohstoffen, des Bevölkerungswachstums sowie zunehmender Umweltprobleme den zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht werden. Weltweit wird daher nach neuen, ökonomisch, ökologisch und sozial verträglicheren Lösungen gesucht. Aufgrund ihrer anerkannten Tradition in der Luft- und Raumfahrttechnik kam der Universität Stuttgart in vielen Forschungsprogrammen auf diesem Feld schon bisher eine zentrale Rolle zu. Zudem stellt die Universität Stuttgart die größte Luft- und Raumfahrt-Fakultät Deutschlands und deckt in breitem Maße sowohl Grundlagenforschung als auch Anwendung ab. Dies demonstrieren zum Beispiel die Konstruktion und der Bau des bekannten Solarflugzeugs ICARE.

Der zweite Cluster-Antrag beschäftigt sich mit vernetzten kybernetischen Systemen. Er hat eine völlig neue Klasse technischer Systeme im Fokus, bei der eine Vielzahl unterschiedlichster Komponenten hochgradig vernetzt ist und die häufig in direkter Interaktion mit dem Menschen stehen. Beispiele hierfür sind automatisierte Verkehrsnetze, die intelligente Stromversorgungsnetze oder auch  Produktionsstätten der Zukunft, die der zunehmenden Dynamik des Marktes mit einer hohen Wandlungsfähigkeit begegnen. Mit einer intelligenten Informationsverarbeitung und einem hohen Automatisierungsgrad bergen diese Systeme das Potential für gewaltige Effizienzsteigerungen mit positiven Auswirkungen in ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereichen. Der Standort Stuttgart mit einer hohen Forschungsdichte in den Bereichen Regelungstechnik, Informationsverarbeitung und Kommunikation bietet für dieses Themenfeld hervorragende Voraussetzungen. In dem Cluster wollen die Wissenschaftler der Universität Stuttgart eng mit Kollegen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen wie etwa der Max Planck und der Fraunhofer Gesellschaft, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt oder dem Institut für Mikroelektronik Stuttgart zusammenarbeiten.

Bei den Graduiertenschulen, die der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses dienen, setzt die Universität Stuttgart zum einen auf ein Themenfeld, das den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen wie Energie, Fläche, Wasser, Rohstoffen und Abfall als Energie- und Rohstofflieferant untersucht. Ziel ist die Entwicklung und Anwendung methodischer Ansätze für den Einsatz und die Bewertung ressourceneffizienter Systeme und Technologien sowie die Analyse, Abschätzung und Bewertung der von ihnen ausgehenden Umweltauswirkungen. Die Universität Stuttgart greift dabei auf eine langjährige Kompetenz im Umweltbereich zurück und ergänzt diese durch elf weitere Fachbereiche und Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
Eine weitere Graduiertenschule soll sich mit den Eigenschaften kondensierter Materie (Materie in gebundenem, nicht gasförmigem Zustand) beschäftigen und knüpft an die hervorragende wissenschaftliche Stellung der Festkörperforschung in Stuttgart an. Sie soll das Gebiet von der Grundlagenforschung in hoch aktuellen Bereichen der Physik und Chemie bis zur angewandten modernen Materialforschung abbilden.
Die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen von IT-Diensten wie zum Beispiel die Nutzung von komplexen Softwaresystemen aus dem Internet soll die dritte Graduiertenschule erforschen. Ziel ist es, Service-Ingenieure zum Entwurf, zur Realisierung und zur Wartung von dienstorientierten Plattformen und Lösungen zu befähigen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Zahl der dienstleistungsorientierten Unternehmen ständig zunimmt und die „Service-Ökonomie” in vielen Hochlohnländern den größten Teil der Wertschöpfung bildet.

Darüber hinaus bringt sich die Universität Stuttgart in einen Exzellencluster auf dem Bereich der Quantenforschung ein, mit dem sich die Universität Ulm für die zweite Phase der Exzellenzinitiative bewirbt.

Träger des wissenschaftsgeleiteten Wettbewerbs sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie der Wissenschaftsrat. Wie in der ersten Phase der Exzellenzinitiative  ist das Auswahlverfahren mehrstufig: Welche Projekte einen Vollantrag stellen können, entscheidet sich Mitte März 2011. Was am Ende tatsächlich gefördert wird, wird im Juni 2012 bekanntgegeben. Die erfolgreichen Projekte werden über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert. Hierfür stehen insgesamt gut 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung, die zu 75 Prozent vom Bund und zu 25 Prozent von den Ländern bereitgestellt werden.

To the top of the page